Prozess im Mordfall Samuel Paty: Für eine Handvoll Euros

Ihr Alter hat die Schüler, die wegen ihrer Verwicklung in den Mord an einem französischen Lehrer vor Gericht standen, nicht vor einer Strafe bewahrt.

Blumen, Kerzen und ein Blatt mit der Aufschrift „Je suis Samuel“

Samuel Paty wurde am 16. Oktober 2020 in Conflans-Sainte-Honorine, Frankreich brutal ermordet Foto: Kira Hofmann/dpa

PARIS taz | Am 16. Oktober 2020 ist der französische Mittelschullehrer Samuel Paty von einem jungen islamistischen Terroristen in Conflans-Sainte-Honorine im Norden von Paris hinterhältig ermordet worden. Der Attentäter, der aus Tschetschenien stammende Abdullah Anzorow, der sich in einer Videobotschaft zu seiner Tat bekannte, wurde beim Festnahmeversuch von der Polizei getötet.

Doch gegen mehrere Personen, mit denen er vorher in Kontakt stand und die ihm in der einen oder anderen Art geholfen hatten, wurden Strafuntersuchungen eingeleitet. Und etwas mehr als drei Jahre später fand in Paris ein erster Prozess statt. Nach zweiwöchigen Verhandlungen vor dem Pariser Jugendgericht ist am Freitagabend das Urteil gegen sechs wegen ihrer Rolle angeklagte Mittelschüler ergangen.

Alle sechs wurden schuldig befunden und zu Haftstrafen von 6 bis 22 Monaten verurteilt, die aber entweder zur Bewährung ausgesetzt werden oder – in einem Fall – mittels einer elektronischen Fußfessel verbüßt werden können. Zudem wurden erzieherische Maßnahmen angeordnet. Das Gericht wollte somit die Rolle und die Beteiligung der sechs Angeklagten nicht einfach mit jugendlichem Leichtsinn entschuldigen oder die Ausrede gelten lassen, dass ihnen ihre Mitverantwortung nicht klar gewesen sei.

Vor Medien äußerten sich die Anwälte der Familie Paty vom Urteil enttäuscht. Beim Prozess drohte den Minderjährigen eine Höchststrafe von zweieinhalb Jahren Gefängnis.

Da der Prozess des Jugendgerichts hinter verschlossenen Türen stattfand, weiß man nur wenig von der erklärten Reue und den um Entschuldigung und Verständnis bittenden Worten der sechs jugendlichen Angeklagten und ebenso wenig vom Stil und exakten Inhalt der Plädoyers. Auch die Presse hatte keinen Zugang zum Gerichtssaal, den Journalisten war es zudem untersagt, die Anwälte und Angehörigen zu befragen.

Am ersten Tag der Verhandlungen waren die jungen Angeklagten mit Schutzmasken und Sonnenbrillen vermummt zu ihrem Prozess erschienen. Bereits vor dem Prozessbeginn aber hatten die Anwälte der fünf zur Tatzeit 14- bis 15-jährigen Schüler des Collège Le Bois d'Aulne in Conflans-Sainte-Honorine versichert, wie sehr ihre Klienten es bedauerten, dass sie für ein paar Euro Belohnung, aber ohne sich dessen bewusst zu sein, Helfershelfer eines terroristischen Mörders wurden.

Doch ohne ihre Hilfe hätte der 18-jährige Tschetschene Anzorow sein Verbrechen zweifellos nicht verüben können. Die Schüler hatten ihn gegen Bezahlung vor dem Collège begleitet. Wer ihm den Lehrer beim Verlassen des Schulgebäudes gezeigt hat, ist nicht mit Sicherheit belegt. Anzorow habe erwähnt, er wolle Paty bloß zur Rede stellen und eventuell ein für ihn erniedrigendes Video in die Netzwerke stellen. Angeblich habe keiner von ihnen sich auch nur im Entferntesten vorgestellt, dass Ansorow gekommen war, um einen äußerst brutalen Mord zu begehen. Wenige Minuten danach aber wurde der 47-jährige Samuel Paty auf seinem Heimweg vom Terroristen Anzorow überfallen und enthauptet.

Der Ausgangspunkt der kriminellen Tragödie war die Lüge einer damals erst 13-Jährigen. Sie hatte zu Hause erzählt, Paty habe im Unterricht die umstrittenen Mohammed-Karikaturen aus Charlie Hebdo gezeigt und dabei die muslimischen Mitschüler aufgefordert, das Klassenzimmer zu verlassen. Sie habe als Muslimin gegen diese unerhörte Maßnahme protestiert und sei daraufhin vom Lehrer bestraft und zum Verlassen des Raums aufgefordert worden.

In Wirklichkeit war sie gar nicht in der Schule, als Paty im Rahmen der im Lehrprogramm vorgesehenen Diskussion über die Laizität und Meinungsfreiheit die fraglichen Karikaturen zeigte und lediglich sagte, wer sich daran störe, könne wegschauen. Dass anschließend ihr Vater sich über die vermeintliche Diskriminierung bei der Schulleitung beklagen und in den Netzwerken eine Hetzkampagne gegen den Lehrer lancieren würde, die Anzorow auf seine Spur brachte, hatte sie wohl nicht erwartet. Sie ist nun wegen verleumderischer Anschuldigung verurteilt worden.

Gegen ihren Vater und sieben weitere Erwachsene soll voraussichtlich Ende 2024 ein zweiter Prozess wegen Anstiftung und Beihilfe vor dem Sonderschwurgericht für Terrorismus beginnen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.