Jugendarbeit in Berlin: „Zu Silvester noch präsenter sein“

Der Verein Outreach will den Jahreswechsel auch mit Partys befrieden. Jugendliche hätten ein Recht aufs Feiern, sagt Geschäftsführerin Tabea Witt.

Erste Hilfe vor einem Feuerwehrwagen beim Fußballspiel der Outreach-Jugendlichen gegen die Feuerwehr im September

Erste Hilfe: Kennlerntreffen zwischen Feuerwehr und Jugendlichen in Neukölln Foto: Florian Boillot

taz: Frau Witt, freuen Sie sich schon auf Silvester?

Tabea Witt: Das ist jetzt eine Fangfrage, oder? Also unsere Teams sind überzeugt, dass wir gute Angebote machen und dass die Jugendlichen und jungen Menschen ein schönes Silvester erleben werden. Aber natürlich besteht auch die Sorge, dass es wieder knallen könnte – und dass dann wieder pauschale Verurteilungen und rassistische Diskussionen losgehen.

Wie bereiten Sie sich bei Outreach auf Silvester vor?

Wir bereiten uns schon das ganze Jahr darauf vor, weil wir in der Jugendsozialarbeit auf langfristige, nachhaltige Arbeit und Beziehungen setzen. Direkt nach dem letzten Silvester haben wir viel mit den Jugendlichen geredet über ihre Sichtweise auf die Nacht. Wir organisieren inzwischen Begegnungen zwischen Jugendlichen und Feuerwehr. Wir beraten und begleiten und achten darauf, dass noch mehr zu jugendgerechten Zeiten zu tun, also besonders in den Abendstunden. Und wir haben unsere Präventionsangebote ausgeweitet, etwa im Mitternachtssport.

Was ist das genau?

Das sind Sportangebote bis Mitternacht oder teils auch darüber hinaus, insbesondere Freitagnacht. Zu Zeiten also, in denen es besonders sinnvoll ist, eine Alternative zur Straße anzubieten. Der Sport fördert soziale Kompetenzen, etwa Impulskontrolle, Konfliktfähigkeit und Teamfähigkeit. Wir können dabei auch destruktive Gruppendynamiken beobachten und mit den Jugendlichen besprechen, wie sie solche Dynamiken drehen können oder sich rausziehen. Das sind gute Lernfelder. Der Sport baut auch viel Stress ab.

Arbeiten Sie auch konkret zu Silvester?

Wir leisten zu Silvester gezielte Aufklärungsarbeit. Wir sprechen mit den Jugendlichen über ihre Pläne, fragen sie nach ihren Sorgen und tauschen uns mit ihnen dazu aus, was man tun kann, wenn etwas ausartet. Wir bestärken sie darin, Verantwortung zu übernehmen, also etwa auch in ihren Freundeskreisen mit anderen darüber zu sprechen. Mit drei Gruppen werden wir über Silvester verreisen, das hatten sie sich gewünscht. Und wir planen auch Partys.

Tabea Witt, 41, ist Sozialarbeiterin und Geschäftsführerin von Outreach, einem gemeinnützigen freien Träger der Mobilen Jugend(sozial)arbeit in Berlin.

Ja? Was ist der Plan?

Uns ist es wichtig, die Jugendlichen ernst zu nehmen in ihrem Bedürfnis zu feiern. Sie haben ein Recht auf Partys und auf einen schönen Jahreswechsel. Für die Tage vor Silvester und den Abend selbst bereiten wir Angebote und Feiern vor. Die Jugendlichen gestalten mit: Sie übernehmen Aufgaben, etwa als DJ, bei Karaoke, Bingo, oder indem sie Fotos machen. Das sind je nach Standort Partys für 15 bis sogar 200 Personen, mit Einlass- und Sicherheitskonzept. Ich denke, darüber erreichen wir insgesamt um die 700 Jugendliche. Außerdem sind wir an Silvester in Neukölln, Schöneberg, Spandau und Kreuzberg auch mit Streetwork-Teams unterwegs.

Waren die Streetwork-Teams in den vergangenen Jahren auch an Silvester auf den Straßen präsent?

Ja, aber in diesem Jahr werden wir das noch verstärken. Wichtig ist uns, dass wir als Teil der Straße dort sind und nicht, um ordnungspolitisch zu wirken. Wir beobachten Dynamiken und können bremsen, wenn sich etwas unglücklich entwickelt.

Nervt es Sie, dass Sie Ihre Arbeit nun so stark auf Silvester ausrichten müssen? Das ist meistens ja eh kein Tag, an dem Mit­ar­beit­er*innen gern arbeiten.

Wir haben niemanden dazu verpflichtet. Unsere So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen bereiten die Angebote vor, weil sie gern etwas beitragen und weil wir auch Verantwortung übernehmen wollen. Es hat eher genervt, wie viel Jugendfeindlichkeit in der Debatte nach dem letzten Silvester ans Licht kam.

Und jetzt? Sie sagen, dass Ihre Arbeit das ganze Jahr läuft. Trotzdem werden alle darauf gucken, was in der Silvesternacht in Neukölln passiert – oder besser nicht passiert.

Wir haben schon das Gefühl, dass die Politik unsere Arbeit ernst nimmt und sieht, dass sie das ganze Jahr über wichtig ist.

Tatsächlich? Es sind dieselben Politiker, die im vergangenen Jahr die rassistische Debatte angestoßen haben. Die CDU, die jetzt regiert, hatte nach den Vornamen der Täter gefragt.

Die Vornamen-Abfrage war aus unserer Sicht höchst problematisch, weil sie Stigmatisierungen Vorschub leistet. Stattdessen brauchen wir die Frage nach den sozialen Verhältnissen. Nicht nur in der Sozialarbeit wurde darüber sehr kritisch diskutiert. Im Ergebnis hat auch die jetzige Landesregierung die geplanten Präventionsmaßnahmen weitergetragen und nun in die Umsetzung gebracht. Wir hoffen sehr, dass es dabei bleibt.

Erwartet die Politik, dass Silvester dieses Jahr besser läuft?

Das müssen Sie die Politik fragen. Wir bemerken tatsächlich eine hohe Aufmerksamkeit, viele haben uns gefragt, was wir machen.

Fühlen Sie sich da auch mit überzogenen Erwartungen konfrontiert?

Eins ist klar: Es braucht Zeit, um langfristig zu wirken. Mittel aus den Gipfeln zur Prävention von Jugendgewalt werden tatsächlich erst im kommenden Jahr richtig wirksam. Denn nennenswerte Gelder sind erst seit Oktober und November geflossen. In der High-Deck-Siedlung in Neukölln …

… dort, wo letztes Silvester der Reisebus ausgebrannt ist …

… stellen wir jetzt erst ein Team auf. Wir hoffen, dass wir mit unserer Arbeit da dann Stück für Stück an die Ursachen herankommen, wenn wir dort ganzjährig präsent sind.

Was ist aus Ihrer Sicht besonders wirksam?

Nach wie vor würden wir gern mehr anbieten, und wir hoffen, das bringt im kommenden Jahr noch mehr sichtbare Erfolge. Wo wir schon länger tätig sind, da merken wir, dass die Jugenddelinquenz zurückgeht und dass die Jugendlichen mehr Verantwortung übernehmen. Wir würden auch gern die Zusammenarbeit mit der Feuerwehr weiterführen: Mit ihr hatten wir in Neukölln, Reinickendorf, Schöneberg, Marzahn und Spandau Sportturniere, und die Feuerwehr hat ihre Arbeit vorgestellt. Außerdem haben sich Feuerwehrleute und Jugendliche bei Workshops getroffen. Die Feuerwehren haben nun Kiezbeauftragte, die für die Jugendlichen ansprechbar sind. Am Interesse der Jugendlichen merken wir schon jetzt, dass sich das gut entwickelt. Noch liegt aber keine Entscheidung vor, ob das Projekt weiter gefördert wird.

Vieles ging sehr schleppend los, und eine weitere Förderung ist nicht überall gesichert.

Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass alles früher startet. Dann wären wir schon weiter. Da hat sich wegen der Wiederholungswahl viel verzögert. Es ist das alte Thema: Projekte werden für ein Jahr bewilligt, und dann ist unsicher, wie es weitergeht. Wir würden uns längere Laufzeiten wünschen, über drei oder fünf Jahre, auch wegen des Fachkräftemangels: Wir finden besser Mitarbeiter*innen, wenn wir Stellen für mehrere Jahre zusagen können.

Was, wenn es am Silvesterabend doch wieder knallt?

Das können wir natürlich nicht verhindern. Dazu sind zu viele Menschen in der Stadt, und wir müssen auch mit einem gewissen Krawalltourismus rechnen. In unseren Angeboten können wir die Settings gut kontrollieren, und wenn es doch zu Ausschreitungen kommt, können wir gut deeskalieren.

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