Hamas-Kämpfer: tot oder umzingelt

Netanjahu sieht Hamas am Ende. Doch die Kämpfe in Gaza dürften noch einige Wochen dauern

Von Jannis Hagmann

„In den letzten Tagen haben sich Dutzende Hamas-Terroristen unseren Streitkräften ergeben“, behauptet Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in einer Video-Botschaft und forderte die Kämpfer auf, es ihnen gleichzutun. „Zu den Terroristen sage ich: Es ist aus. Sterbt nicht für Sinwar. Ergebt euch!“ Das Haus von Jahia Sinwar, dem Anführer der Hamas im Gazastreifen, war vergangene Woche von Israels Armee umstellt worden, doch konnte er fliehen.

Kritik an ihm kommt unterdessen aus den eigenen Reihen. Jusuf al-Mansi, ehemaliger Kommunikationsminister der Hamas, sprach von einer Gruppe von „Verrückten“ unter der Führung Sinwars. „Sie haben den Gaza-Streifen zerstört. Sie haben ihn um 200 Jahre zurückgeworfen“, sagte al-Mansi. „Ich habe im Gaza-Streifen niemanden gesehen, der Sinwar unterstützt; niemand mag Sinwar.“ Allerdings stammen die Aussagen aus einem Verhör der israelischen Armee und sind mit Vorsicht zu bewerten. Die Aufnahmen hatte der Inlandsgeheimdienst am Sonntag veröffentlicht. Al-Mansi war Anfang Dezember von israelischen Truppen festgenommen worden.

In den vergangenen Tagen gab es Berichte über die Kapitulation von Hamas-Kämpfern. Hinweise, dass sich die Führung der Terrororganisation demnächst ergeben könnte, gibt es jedoch nicht. Mehr als 20.000 Kämpfer sollen sich noch in Gaza befinden und wenig weist darauf hin, dass die Organisation vor dem Hintergrund des massiven israelischen Bombardements, das auch die Zivilbevölkerung trifft, den Rückhalt in der Bevölkerung verliert.

„Sterbt nicht für Sinwar. Ergebt euch!“

Benjamin Netanjahu

Wie die Nachrichtenseite Axios unter Berufung auf einen hochrangigen israelischen Verteidigungsbeamten beichtete, rechnet Israel vielmehr damit, dass die heftigen Kämpfe in Süd-Gaza noch bis ins neue Jahr anhalten. In etwa zwei Monaten könnte die Offensive gänzlich vorbei sein. Während der Fokus der Armee derzeit auf dem Süden liegt, gehen auch die Kämpfe im Norden weiter. Von „intensiven Bodenoperationen und Kämpfen zwischen israelischen Streitkräften und bewaffneten palästinensischen Gruppen, insbesondere in den östlichen Teilen von Gaza-Stadt“, berichtet die UN-Nothilfsorganisation Ocha. Indes geht auch der Beschuss Israels aus dem Gazastreifen weiter. Am Montag heulten unter anderem im Großraum Tel Aviv erneut die Sirenen. Eine Person wurde verletzt.

Der Gazakrieg ist bereits jetzt enorm verlustreich für alle Seiten. Israel teilte am Montag, dass 104 israelische Sol­da­t*in­nen seit Beginn der Bodenoffensive getötet worden sind. Zusammen mit den seit dem 7. Oktober getöteten Sol­da­t*in­nen belaufe sich die Zahl auf 433. Im Gazastreifen stieg die Zahl der Getöteten auf 18.000. Sie beruht auf Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums. Nach israelischen Angaben waren 7.000 von ihnen Kämpfer der Hamas, was darauf schließen lässt, dass die aus Gaza vermeldete Zahl realistisch ist. Hilfsorganisationen sind angesichts der enormen Zahl an getöteten Zi­vi­lis­t*in­nen alarmiert. Aber auch die vergleichsweise ruhige Front an der libanesisch-israelischen Grenze ist bei genauerem Hinsehen nicht so ruhig: Die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah teilte mit, dass bereits 100 ihrer Kämpfer durch israelischen Beschuss getötet wurden. Im Libanonkrieg zwischen der Hisbollah und Israel 2006 hatte die Miliz rund 250 Kämpfer verloren. Damit ist der jetzige Konflikt auch für die Hisbollah bereits der verlustreichste seit Jahren.