Komiker Frank-Markus Barwasser: „Humor hilft, Distanz zu halten“

Die Weltlage ist beängstigend. Der Komiker Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig hofft, dass Lachen befreien und Satire aufklären kann.

Porträt von Frank-Markus Barwasser, er sitzt am Tisch vor einem Laptop

Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig Foto: Dita Vollmond

wochentaz: Wenn Sie heute Nachrichten sehen, können Sie da überhaupt noch lachen?

Frank-Markus Barwasser: Heute hab ich noch gar keine Nachrichten geguckt. Hab ich was verpasst?

Ich meinte: heutzutage.

Nein, lachen kann ich da nicht. Ich bin oft eher ratlos. Ich versuche das einzuordnen und zu verarbeiten, aber ich wüsste nicht, was es darüber zu lachen gibt, dass es – was ich gerade gelesen habe – für Trump sehr gut aussieht und er demnächst seine Diktatur in den USA errichten könne.

Der Echte

Frank-Markus Barwasser wird 1960 in Würzburg geboren, absolviert ein Volontariat bei der Main-Post in seiner Geburtsstadt und studiert Neuere Geschichte und Ethnologie in München und Salamanca. Nach ersten Erfahrungen mit Marionettentheater beginnt er 1985 mit dem Kabarett. Mittlerweile lebt er mit Frau und Kind in Mainz.

Sein Alias

Erwin Pelzig wird 1993 ebenfalls in Würzburg geboren, genauer: auf der Bühne des Theaters am Neunerplatz. Mit fränkischem Dialekt, zerknautschtem Cordhut, rot-weiß kariertem Hemd und Herrenhandtasche wird er zur Kultfigur auf Bühnen, in Radio und Fernsehen. In verschiedenen Talk-Formaten befragt er andere Menschen, 2010 bis 2013 sendet er „Neues aus der Anstalt“ (ZDF). 2007 dreht Pelzig den Kinofilm „Vorne ist verdammt weit weg“, 2008 die TV-Serie „Unterwegs nach woanders“. Seit 2021 ist er mit dem Programm „Der wunde Punkt“ unterwegs.

Konnten Sie das denn früher, über Nachrichtensendungen lachen?

Ich frage mich schon manchmal: Waren die Zeiten früher harmloser? Oder war ich es?

Und, was denken Sie?

Ich weiß es nicht. Aber ich habe eher das Gefühl, beides war früher harmloser. Man hat ja früher vieles als apokalyptisch empfunden, manche Phasen des Kalten Krieges, das Waldsterben, Tschernobyl. Aber die Situation jetzt ist vielleicht doch eine andere. Es laufen so viele parallele, miteinander zusammenhängende Transformationsprozesse ab, sodass wir in eine neue Phase der Geschichte einzutreten scheinen. Geopolitisch werden die Machtzentren neu sortiert, die Klimaveränderungen, die künstliche Intelligenz, alles wird gewaltige Auswirkungen auf unser Leben haben. Ich stelle das erst mal fest, und man muss da nicht gleich eine Endzeit anbrechen sehen. Aber es sieht gerade auch nicht so aus, als ob die schöne Privilegiertheit, mit der meine Generation in Mitteleuropa aufgewachsen ist, noch lange erhalten bleibt.

Hört der Humor auf an solch einer Zeitenwende? Oder braucht man da erst recht einen guten Witz?

Umberto Eco hat mal gesagt: Komik ist die Kunst der Vernichtung von Angst. Und Angst ist aktuell ja ein weit verbreitetes Lebensgefühl. Und von dieser Angst profitieren vor allem Populisten und die entsprechenden Parteien, die diese Ängste sehr erfolgreich bewirtschaften. Ich sehe es nicht als meine Aufgabe, jetzt auch noch die Apokalypse zu reiten. Ich habe nicht vor, mich zwei Stunden auf die Bühne zu stellen und anschließend legen wir uns alle zusammen aufs S-Bahn-Gleis. Stattdessen kann Humor Distanz schaffen, kann dafür sorgen, sich mal neben sich zu stellen und die Perspektive zu wechseln. Wir leben in einer Aufregungsgesellschaft – und da mal das Tempo rauszunehmen und nicht an der Eskalationsschraube zu drehen, da kann Humor ganz hilfreich sein. Es gibt verschiedene Wege in diesem Humorgeschäft, mit Krisen und Verzweiflung umzugehen.

Welche?

Ich kann die Themen, die uns alle bedrücken, komplett ausblenden und zwei Stunden für gute Unterhaltung und Ablenkung sorgen. Das ist prima. Oder ich stelle mich diesen Themen ganz bewusst, das ist dann eher mein Ding, und versuche zu zeigen, wie wir damit umgehen können. Für alle aber gilt: Humor wirkt verbindend. Wenn man bedrückenden Themen mit einer gewissen humoristischen Respektlosigkeit begegnet, sind sie zumindest für diesen Moment etwas weniger bedrückend. Ich persönlich brauche das auch manchmal.

In Ihrem aktuellen Programm, „Der wunde Punkt“, gibt es jede Menge bedrückender Momente, in denen Sie die Krise der Demokratie oder die Probleme des Klimawandels zu Ende denken.

Ja, aber ich breche das dann auch wieder auf, es gibt schon viele komische Momente. Es soll ein Wechselbad sein, ich spreche ja viele verschiedene Emotionen an. Man muss doch auch nicht immer komisch sein. Man darf alles sein, nur nicht langweilig. Ich werfe vor allem Fragen auf, und ich teile mich mit, gerade auch in meinen Zweifeln. Ich stelle mich nicht hin und sage: Es geht schon gut, weil es ist ja bislang noch alles gut gegangen. Aber ich hoffe auch, dass ich nicht das Gefühl vermittele, es sei alles zwecklos. Karl Popper hat einmal gesagt, Optimismus ist Pflicht. Und Heiner Müller hat gesagt: Optimismus ist nur ein Mangel an Informationen. Immer deutlicher stelle ich fest: Sie haben beide recht.

Wie steht es um Ihren ganz persönlichen Zweckoptimismus?

Da ist Luft nach oben. Das 2-Grad-Ziel ist gegessen, fürchte ich. Die Idee von Demokratie hat stark nachlassende Strahlkraft bei unter 30-Jährigen, da gibt es neue Studien. Überall Kriege. Aber was soll ich denn machen?

Gibt es Grenzen des Humors? Kann es Witze über den Hamasterror am 7. Oktober geben?

Direkt über diese Ereignisse, über diese grauenhaften Ermordungen natürlich nicht. Aber dass im Kriegsgebiet Webcams stehen, deren Live-Übertragung von Werbung für Ballerspiele unterbrochen werden, darüber bestimmt. Grundsätzlich würde ich niemals Witze über Sterbende machen, wohingegen der Tod an sich schon ein Thema ist, das humoristisch bearbeitet werden kann. Zum 7. Oktober fällt mir dann vor allem der nie weg gewesene, sich neu breitmachende Antisemitismus ein. Ich habe mich schon gewundert, warum sich nach dem 7. Oktober niemand israelische Flaggen ins Fenster gehängt hat. Bei der Ukraine haben das viele gemacht. Ich fand das auch okay bei der Ukraine, aber ich habe bislang kein Auto gesehen, auf das eine israelische Fahne geklebt wurde. Dieses Auto stünde wohl auch keine zwei Nächte auf der Straße, ohne dass es zerstört würde. So grausig es ist, aber auf solchen Gedanken kann man etwas Bitterwitziges aufbauen.

Sollte sich Humor Grenzen setzen? Oder muss er nicht gerade dorthin gehen, wo es wehtut?

Ja, natürlich kann und soll Humor dahin gehen, wo’s wehtut. Aber die Grenzen definiert ja jeder für sich selbst, und in meiner Rolle bin ich halt nicht so ein Raufbold. Das heißt ja nicht, dass meine Themen andere wären, ich bearbeite sie nur anders. Ich bewundere die Raufbolde auch durchaus, denn die nehmen ja auch etwas in Kauf, benötigen unter Umständen Personenschutz. Das ist mir noch nicht passiert, was vielleicht aber nur daran liegt, dass ich im Fernsehen keine Dauerpräsenz habe.

Es gibt immer mehr Menschen, die sich über Satire-TV-Sendungen sogar politisch informieren, in den USA bei Jon Stewart und John Oliver, hierzulande bei Böhmermann und der „heute-show“. Ist das gut oder stimmt da was nicht?

Ob das noch gut ist, das sollten sich die Leute im klassischen Journalismus mal fragen. Mir passiert das auch gelegentlich, dass mir jemand schreibt: Warum erfahre ich das bei Ihnen und nicht aus der Zeitung? Dann antworte ich: Meine Quellen sind nicht geheim, jeder interessierte Mensch könnte da­drauf kommen. Aber es ist natürlich so: Man ist aufnahmebereiter in einer humorvollen Situation. Der Wechsel zwischen Unterhaltung und Information erleichtert es, die Informationen aufzunehmen. Sich durch 600 Seiten Buch oder stundenlange Talkshows zu quälen, ist etwas mühsamer. Das find ich weder schlecht noch gut, das ist einfach so. Ich persönlich informiere mich sehr klassisch über Print- und Onlinemedien, über Fachliteratur, aber ich habe dafür auch die Zeit, das ist mein Beruf. Allerdings gibt es dann, wenn immer mehr Menschen Satiresendungen mit Nachrichten verwechseln und Satiriker immer journalistischer arbeiten, natürlich ein Problem: Die Satire muss sich nicht um Objektivität bemühen, das darf sie ja gar nicht, das wäre ihr Ende. Ich würde aber Fakten niemals bewusst einer Pointe opfern und mich dabei auf die Kunstfreiheit beziehen. Der klassische Journalismus kann sich ja auch nicht dahinter verstecken, oder er sollte es zumindest nicht, er sollte trennen zwischen Bericht, Kommentar und Glosse.

Haben Sie denn das Gefühl, dass man mit politischem Kabarett etwas bewirken kann?

Nein.

Warum machen Sie’s dann noch?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ich stehe gerne auf der Bühne, und ein gewisses Mitteilungsbedürfnis würde ich nicht bestreiten. Aber ich kann ja mal zurückfragen: Haben Sie das Gefühl, die taz bewirkt etwas? Was bewirke ich denn, was bewirken Sie, was bewirkt Olaf Scholz?

Gute Frage.

Klar schreiben mir manche Menschen immer mal wieder, es sei wichtig, was ich tue. Und ja, vielleicht gibt es ein paar Gedankenanstöße. Man hat dem Kabarett ja gerne – und nicht ganz zu Unrecht – vorgehalten, da treffen sich immer nur die Gleichgesinnten, man bestätigt sich gegenseitig. Ich gebe es zu: Man versammelt letztlich die Interessierten und Informierten – und bedient die in gewisser Weise. Das habe ich bislang auch kritisch gesehen, kann dem aber mittlerweile durchaus etwas abgewinnen, weil ich dann merke: Du bist doch nicht so allein. Außerdem: Wenn ich jetzt behauptete, ich bewirke etwas im Sinne von Veränderung, würde ich mir eine unglaubliche Hybris zugestehen. Ich mache nur ein Angebot – und therapiere mich wohl auch selbst ein bisschen damit. Wie gesagt, ich bin doch selbst oft ratlos – und werde bisweilen immer ratloser, je weiter ich in ein Thema reingehe. Dabei ist die Sehnsucht nach Eindeutigkeit größer denn je. Mir fällt es aber zusehends schwerer, eindeutig zu sein, denn die Dinge sind nicht mehr eindeutig – aber vielleicht waren sie es auch noch nie und ich verkläre nur die Vergangenheit.

Tatsächlich kommen in Ihrem Programm aktuelle Politik und Po­li­ti­ke­r:in­nen eigentlich nicht vor. War das eine bewusste Entscheidung?

Allerdings. Ich beackere das Thema der menschlichen Kränkung und die möglichen Auswirkungen auf Gesellschaften und Politik. Da muss ich nicht jeder Sau hinterherrennen, die gerade durchs Mediendorf getrieben wird. Ich wollte mir Gedanken zu grundlegenderen Themen machen. Ich kann gegen die Aktualität des Internets eh nicht anstinken. Das ist doch auch das Problem jeder Tageszeitung. Ich brauche keine Zeitung, die mir morgens noch mal erzählt, was ich schon letzte Nacht um 0.15 Uhr erfahren habe. Und die Pointe über ein tagespolitisches Thema, die ich morgen Abend auf der Bühne erzählen will, ist höchstwahrscheinlich schon tags zuvor in den sozialen Medien zehnmal so oder so ähnlich geliefert worden. Zum Teil ist da ja wirklich viel Originalität zu erleben. Diesen Wettbewerb brauche ich gar nicht erst anzutreten, den hab ich schon verloren. Also interessiert mich eher die Grundsätzlichkeit.

Deshalb kommen in Ihrem Programm auch nicht die Leute der Letzten Generation vor, die sich auf Straßen festkleben, dafür aber ausführlich die alten weißen Männer.

Die alten weißen Männer sind als Thema noch ergiebiger als die Klimakleber, aber das liegt vielleicht nur daran, dass ich noch nicht im Stau gestanden bin. Die Klimakleber haben noch keine so lange Geschichte, die alten weißen Männern schon, und ich kenne mich mit denen einfach besser aus. Als Boomer-Kind bin ich ja selber einer, da kann ich von Privilegien aus erster Hand reden.

So ganz aus erster Hand sprechen Sie nicht, Sie haben immer noch Ihre Figur Erwin Pelzig.

Ja, man kann durchaus fragen: Warum braucht der noch diese Figur? Manche winken da auch sofort ab, wenn sie sehen: Verkleidung und Dialekt. Dabei steht die Figur Pelzig in ihrer äußeren Erscheinung längst nicht mehr für das, was sie antreibt und was sie beschäftigt. Ich breche das Klischee über jede Schmerzgrenze. Einen Deppen zu spielen, über dessen Einfältigkeit alle lachen dürfen, wäre ja völlig uninteressant. Die Figur hat sich über die Jahrzehnte verändert. Anfangs war sie etwas rustikaler, bis ich gemerkt habe, ich fühle mich da nicht mehr wohl – also ist mir Pelzig viel ähnlicher geworden als ich ihm, und das Publikum ist zum Glück mitgegangen.

Warum setzen Sie das Hütchen dann überhaupt noch auf?

Zum Teil setze ich es auf der Bühne schon ab und spreche Hochdeutsch, um einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Aber noch brauche ich den Pelzig, weil ich dann ein anderer bin, anders denke und anders reagiere. Der ist offensiver, unbekümmerter als ich. In den Talkshows hatte Pelzig eine Schlagfertigkeit, um die ihn Frank-Markus Barwasser direkt beneidet. Das ist eine ziemlich deutliche Persönlichkeitsspaltung. Wenn ich mir vor einem Auftritt oder einer Live-Sendung die Hosen vollmache, sag ich mir immer: Der Pelzig macht das schon. Und manchmal finde ich den perfekten Satz oder die gute Pointe nicht zu Hause am Schreibtisch, sondern erst um fünf vor acht Uhr hinterm Vorhang, wenn ich im Kostüm stecke.

Warum setzen sie das Hütchen dann nicht auch zu Hause auf, wenn Sie Texte schreiben?

Der Gedanke gefällt mir. Muss ich mal ausprobieren. Obwohl ich schon versuche, da sauber zu trennen. Außerdem schützt mich die Figur natürlich, weil ich mich dahinter verbergen kann.

Warum brauchen Sie diesen Schutz?

Weil es Distanz schafft. Zu mir selbst und zu den Themen, die mich manchmal doch anfassen. Humor hilft immer, Distanz zu halten – und diese Distanz ist manchmal sehr nötig, denn manches ist sehr schwer zu ertragen – für das Publikum, aber auch für den Menschen, der sich an dieses Publikum wendet.

Im aktuellen Programm raten Sie, um mit den schweren Zeiten umzugehen, sich an die Philosophie der altgriechischen Stoiker zu halten.

Ja, denn ich verstehe die Stoiker so: Es muss nicht unbedingt schlimmer werden, aber es kann schlimmer werden, also genieß deine heutigen Probleme.

Das macht jetzt auch nicht wirklich Hoffnung, oder?

Ja, natürlich – wenn das jemand im schwarzen Rollkragenpullover vortragen würde, der dabei eine distanzierte und letztlich zynische Haltung einnimmt. Aber wenn das der Pelzig sagt, dem das ans Herz geht, dann bekommt das eine rührende Verzweiflung. Ich gehe im Programm aber auch weiter und sage: Wenn uns die KI unser Alleinstellungsmerkmal, unsere kognitive Überlegenheit nimmt, dann sollten wir uns ein neues Alleinstellungsmerkmal suchen, die Freundlichkeit.

Einfach mal nett sein, das löst unsere Probleme?

Ja, das klingt banal, aber ist es letztendlich nicht. Es geht doch nicht nur um ein bisschen Nettsein, sondern um ein inneres Wohlwollen gegenüber der Außenwelt. Und daran mangelt es, denn wir haben Angst – da wären wir wieder beim Thema – und die Angst macht uns weniger kooperativ und brutaler. So werden wir aber diese Veränderungen, die uns erwarten, nicht überstehen. Das Erfolgsgeheimnis der Spezies Mensch war in der Vergangenheit immer die Kooperationsbereitschaft. Das dürfte wohl auch für die Zukunft gelten.

Wenn sich Ihr Prinzip Freundlichkeit durchsetzt, hat sich Satire allerdings erledigt – und Sie wären arbeitslos.

Ja, und viele andere auch. Es wäre dramatisch für die Branche. Aber die Verantwortung würde ich voll und ganz und dankbar übernehmen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.