Neue Musik aus Berlin: Der Zufall wird ernst

Es ist dystopisch, fürchten muss man sich aber nicht: Das Album „The Commune of Nightmares“ von David Wallraf zerrt an den Nerven. Feinster Noise eben.

Schwarz-weiß-Aufnahme des Musikers David Wallraff auf einer Bühne, vor ihm steht Publikum. Wallraff steht vor einem Mischpult, aus dem unzählige Kabel ragen und dreht an einem Regler.

Vermag den Klang zum unheimlichen zu wenden: David Wallraf Foto: Jann Wilken

Instrumentalmusik, radikaler als die hundertste Vertonung angestaubter Politparolen, ist auf dem neuen Album „The Commune of Nightmares“ des Noise-Künstlers David Wallraf zu hören: sieben Stücke, von denen der Waschzettel mutig als Songs spricht, der kürzeste drei, der längste neun Minuten, insgesamt knapp eine nervenzerrende Unterrichtsstunde. Hintereinander gelesen ergeben die sieben Titel eine Dystopie.

Die Musik und das Gesamtkonzept sind Industrial alter Schule, also nicht Mummenschanz, sondern Aufklärung mittels Verstörung. Wallraf veröffentlicht sein Album in dem Format, mit dem Throbbing Gristle begannen, auf Kassette. Beispielhaft ist „Where Nothing Happens But The Wallpaper“: die Tapete im Titelzitat ist die der Surrealistin Dorothea Tanning, mit dem tristen Bild umreißt die Malerin, Bildhauerin und Schriftstellerin ihre Jugend in Galesburg, Illinois.

Wallrafs Musik ist keine Blümchentapete, sie entwickelt sich aus einer dunkel dräuenden Eröffnung zu einer unheimlichen Klangskulptur. An anderen Momenten des Albums gerät das Unheimliche unschön.

David Wallraf: „The Commune of Nightmares“ (Karlrecords, handnummeriertes Tape mit Downloadkarte); Live (mit hÄK / Danzeisen, Record Release + Labelgeburtstag): 19. 1., 21 Uhr, WestGermany

Es darf davon ausgegangen werden, dass das Absicht ist. David Wallraf, der auch als Wissenschaftler arbeitet und eine 250 Seiten umfassende Theorie der Noise-Musik geschrieben hat, geht auf „The Commune of Nightmares“ nach der Cadavre Exquis-Methode vor, derer sich die Surrealisten in einem ernsten Zufallsspiel bedienten. Ihnen war nach dem Ersten Weltkrieg bestürzend deutlich geworden, was immer noch gültig ist: Die käufliche Vernunft gebiert Ungeheuer.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Robert Mießner, geboren 1973 in Berlin. Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Philosophie und Bibliothekswissenschaft. Flaniert und notiert, hört zu und schreibt auf.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.