Die Bremer Künstlerin Sibylle Springer: Dämonenschar im Nebel

Sibylle Springer beschäftigt sich mit der Distel als feministisches Symbol. Ihre Arbeiten sind in der Bremer Ausstellung „Mein Mann malt auch“ zu sehen.

Eine Distel blüht auf einer Brockenwiese.

Als feministisches Symbol bestens geeignet: die Distel Foto: dpa | Matthias Bein

Auch Frauenhasser schreiben Gedichte: „Ein Mädchen, das nicht lieben will / Kein einer nach ihr sieht / Es steht da wie ein Distelkraut / Das ungepflückt verblüht.“ So klingt es bei Hermann Löns (1866–1914), der meinte, Frauen seien keine „Vollmenschen“, da sie statt einer Seele nur einen Uterus hätten.

Allerdings glauben auch seine heutigen Geistesverwandten, Frauen ließen sich mithilfe von Dickpics wie Blumen pflücken, und wenn sie doch nicht darauf warten, an der Seite eines Mannes zu verblühen, wenn sie sich vielmehr frei entfalten wollen, dann können sie nur verletzende Disteln sein. Wegen dieser Wehrhaftigkeit eignet sich die Distel als feministisches Symbol – viel besser als die kitschige Nelke.

Davon ist auch die Bremer Malerin Sibylle Springer überzeugt. In ihrer aktuellen Ausstellung in der Bremer Galerie K’ – Titel: „Mein Mann malt auch“ – sind fünf Distel-Stillleben zu sehen, daneben zwei kleinformatige Portraits (und ein Kohlkopf). Charakteristisch für den aneignenden Ansatz gibt es für die Distel-Stillleben Referenzbilder, nun malerisch neu interpretiert: Diese Originale stammen von den malenden Schwestern Dietz, Barbara Regina (1706–1783) und Margaretha Barbara (1715–1795).

Die beiden kennt heute niemand mehr, sie wurden verdrängt durch einen männlich geprägten, auf Anpassung verengten Blick auf die Kunstgeschichte. Zu Lebzeiten dagegen waren sie international für die Originaltreue ihrer Bilder bekannt und erfolgreich.

Sibylle Springers Arbeit „Power Plant“

Sibylle Springers Arbeit „Power Plant“ Foto: Die wehrhafte Distel eignet sich als feministisches Symbol doch viel besser als die kitschige Nelke: Sibylle Springer, „Power Plant“ Foto: Benjamin Schlemmer

Zumindest vordergründig. Hintergründig mag der Grund für den Erfolg der Schwestern in der zwar männlich beherrschten, durch die gleichzeitige Betonung von Autonomie und Freiheit des Ausdrucks aber noch janusköpfigen Kultur des 18. Jahrhunderts darin gelegen haben, dass ihre Stillleben autonome Werke sind: Subtil-widerständig machen sie das in dieser Kultur virulente Leid von Frauen, aber auch Männern, erfahrbar.

Die Disteln deuten hin auf den Zwang, sich erwehren und unnahbar machen zu müssen; die Dornen auf erlittene wie begangene Verletzungen und materialisierten Schmerz; die Schmetterlinge auf befreites und die anderen Insekten wiederum auf krankes, abgestorbenes Leben. Zum Gegenstand der Auseinandersetzung werden hier die Erfahrungen gesellschaftlicher Unterdrückung, des Anpassungszwangs, der Gewalt und der Ambivalenzen des Geschlechterverhältnisses; wie sie von Frauen stärker und bewusster gemacht werden als von Männern.

Und es sind diese oft halt auch unbewusst bleibenden Erfahrungen, die Springer immer wieder anhand unterschiedlicher Sujets in ihren Werken verhandelt: Portraits, Blumen- sowie Pflanzenbilder, Gewalt- und Erotikdarstellungen. Das einfach Schöne sei ihr suspekt, heißt es von der Künstlerin, und dass sie sich bei ihrer Arbeit vom Doppelbödigen, Versteckten und Ambivalenten leiten lasse. Springer ist die Malerin der Janusköpfigkeit. Unmittelbar ist hier nur Unheimliches zu haben, das durch ein eigentümliche Changieren zwischen Abstraktion und Figuration entsteht und – ganz im Sinne Freuds – auf verdrängtes Heimelig-Heimliches verweist.

Auch die großformatigen Distel­bilder, die jetzt in der Galerie K’ zu sehen sind, entbehren nicht dieses Unheimlichen. Die Dietz’schen Originalbilder „versteckt“ Springer unter mehreren Schichten ­Acryl, Öl und Tempera, sie blitzen durch eine nebelige, meist grau-silbern erscheinende Oberfläche.

Vereinzelt sind pinke oder grünliche Farbwolken zu sehen. Als im Nebel versteckt, präsentieren sich die Disteln mit etwas Abstand und unscharfem Blick als eine Dämonenschar. Gehängt vor farbigem Grund, der mit den Farben im Bild selbst interagiert, erscheinen zum einen die in Negativ-und Positivflächen gehaltenen Distelblätter wie Messer, aus der Wand ragend. Zum anderen wirken die Bilder aus manchen Winkeln und mit scharf gestelltem Blick transparent und geisterhaft.

Dadurch offenbart und aktualisiert Springer die bereits in den Originalen versteckte Gewalterfahrung und -erwehrung. Zugleich verweisen Springers unheimliche Interpretationen – für sich stehende Werke der Gegenwart, in welche die Vergangenheit ragt – auf immer noch virulente alte Leiden, die weiterhin verdrängt werden und so immer neue Dämonen produzieren.

Sibylle Springer, „Mein Mann malt auch“: bis 3. 2., Bremen, Galerie K-Strich

Weil Springer dazu zwingt, genau hinzusehen, thematisiert sie über das inhaltliche Bildgeschehen hinaus die ideologische Verblendung des Blicks selbst – des kunstgeschichtlichen Blicks, der Frauen aus der Kunst verdrängt, aber auch des Blicks auf die Gesellschaft, der ihre strukturellen Probleme verdrängt. Wer sehen will, der muss sich von Springers Bildern in einen – vom eigenen Sehen distanzierten – Reflexionsraum geleiten lassen und von dort neue Perspektiven einnehmen auf eigentlich Bekanntes.

Weil Springer dies mit malerischen Mitteln gelingt, können ihre Positionen nicht nur international bestehen, so Janneke de Vries, Direktorin des Bremer Museums Weserburg: Nein, Springer ist eine große Malerin, weil in ihrer Kunst eine Haltung zur Welt formale Gestalt annimmt, derer die Menschen bedürfen, wollen sie endlich ihre Dämonen loswerden.

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