Künstlerin Sandra Mujinga in Leipzig: Zwischen Alien und Ding

Sandra Mujingas kreatürliche Installationen im Museum der bildenden Künste Leipzig erzählen von einem Zusammenleben über Spezies und Zeit hinweg.

Ausstellungsansicht mit zwei Skulpturen, die aus Gittern bestehen, über die ein Netz aus Stoffen geworfen wurde

Stoff, Haut, Oberfläche, Kreatur: Sandra Mujingas „Fleeting Home“ Foto: MdbK Leipzig, 2023, © Künstlerin; Courtesy von Croy Nielsen, Wien und The Approach, London

„2100“, „2077“, „2090“, „2045“ – es scheinen Jahreszahlen aus einer nicht mehr allzu fernen Zukunft zu sein, die Sandra Mujinga ihren Objekten im Museum der bildenden Künste in Leipzig als Titel gegeben hat. Vier ungewöhnliche Gebilde stehen auf der lichtdurchfluteten Terrasse in der 2. Etage. Wie Zeichnungen im Raum wirken die geometrischen Stahlkonstruktionen, die an Skelette von Dinosauriern oder Elefanten erinnern.

Über dem harten Metall liegen verschlungene Netze aus Stoff in Grau, Braun und Lila. Offenbar von Hand fest geknüpft, scheinen sie miteinander zu interagieren, Informationen auszutauschen und die Stahlkörper zu überwuchern. Auch ein Zelt ist zu erkennen, ein kaputtes Fußballtor, ein ausgebranntes Auto. Dahinter ist eine Giraffe in sich zusammengesunken.

Im vergangenen Jahr hat Museumsdirektor Stefan Weppelmann die Künstlerin Sandra Mujinga eingeladen, in Leipzig eine ortsspezifische Arbeit zu entwickeln, die nun erstmals ausgestellt ist. Je länger man die Terrasse mit ihrer enormen Deckenhöhe, dem Muschelkalk am Boden und das Fensterraster auf sich wirken lässt, umso deutlicher wird, dass diese Kreaturen nicht zufällig hier gelandet sind.

Subtil spielen die Formen und gedeckten Farben auf die Museumsarchitektur an. Die bietet zum wiederholten Male Raum für Kunst, die sich als erweiterte Skulptur fassen lässt. Im letzten Jahr tobten über 100 Schulklassen auf dieser Terrasse – Performancekünstler Tino Sehgal hatte sie eingeladen, sich hier Spiele auszudenken.

Goma, Oslo, Berlin, Venedig

Sandra Mujinga, geboren 1989 in Goma, Demokratische Republik Kongo, kam als Kind nach Norwegen, lebt und arbeitet heute in Berlin und Oslo. Sie studierte in Malmö und Wien und nahm 2022 an der 59. Biennale in Venedig teil. Ihre Themen sind Identität, queer-feministische Fragen und historisch-futuristische Fiktionen.

Die Haut sei Ausgangspunkt für ihre Kunst, erklärte Mujinga Ende November in Leipzig bei einem Artist Talk, der bald in Auszügen vor Ort nachzuhören sein wird. Mit verschiedenen Techniken schaffe sie Oberflächen und versuche, andere Körper und andere Formen des Zusammenseins sichtbar zu machen.

Auch Octavia E. Butler, eine der wenigen US-amerikanischen, schwarzen Schriftstellerinnen des Science-Fiction-Genres, sei eine wichtige Referenz für sie. Die entwarf etwa mit der Erzählung „Lilith’s Brood“ Ende der 1980er Jahre eine dystopische Welt: Nach einem apokalyptischen Ereignis treffen Überlebende auf Aliens mit einem dritten Geschlecht. Mujingas zeitlose Kreaturen scheinen so nicht nur als Überreste aus der Vergangenheit, sondern auch als Boten aus der Zukunft.

Als Fleeting Home, als schwebendes Zuhause bezeichnet Sandra Mujinga ihre Leipziger Installation. Wer gibt hier wem ein Zuhause? Die Architektur den Objekten? Oder sind es die Objekte, die auch Behausungen sein könnten und temporär Schutz bieten?

„Fleeting Home“: Sandra Mujinga, Museum für bildende Künste Leipzig, bis 20. Mai 2024

Hybride Gestalt auf neun Metern LED

2021 erhielt Sandra Mujinga für ihre in Grün getauchten Wesen von einem anderen Planeten den Preis der Neuen Nationalgalerie Berlin. Zuletzt zeigte sie in der historischen Halle des Hamburger Bahnhofs Berlin eine hybride Gestalt auf einem neun Meter hohen LED-Screen, begleitet von einem düster-langsamen Sound. Im hallenden Museumsraum in Leipzig sind es nun die Besucher:innen, die für die vier Kreaturen kontinuierlich einen neuen Soundtrack erzeugen.

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