„Ich bin kein besserer Mensch“

Schäuble war der erste Bundesminister im Rollstuhl

Von Barbara Dribbusch

Sechs Wochen lag das Attentat erst zurück, da rollte Wolfgang Schäuble, Bundesinnenminister, in einem blauen Trainingsanzug zu einer improvisierten Pressekonferenz in der Rehaklinik bei Karlsruhe. Er rollte eigenhändig. „Es geht mir den Umständen entsprechend gut. Ich hoffe, so bald wie möglich in Bonn meine Arbeit wieder aufnehmen zu können“, sagte er. Das war im Herbst 1990, Schäuble war damals 48 Jahre alt. Ein verwirrter Mann hatte Schäuble mit zwei Schüssen in Kiefer und Rückenmark schwer verletzt, und Deutschland hatte seinen ersten Bundesminister im Rollstuhl.

„Ich wollte keine Sonderkonditionen, gerade im Hinblick auf den politischen Wettbewerb“, sagte er Jahrzehnte später dem Berliner Tagesspiegel. Und Schäuble wurde zum Beweis, dass die Behinderung eines Politikers nicht mehr automatisch bedeutet, dass dem Menschen nur noch Schwäche zugeschrieben wird. Im Gegenteil. Schäuble wurde zum Beispiel für Resilienz. Das war noch anders gewesen, etwa in den 30er Jahren in den USA: Die Beinstützen des stark gehbehinderten US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt wurden unter seinen Hosen verborgen, Fotografen durften keine Bilder von Roosevelt im Rollstuhl machen.

Schäuble aber räumte selbst einmal ein, dass ihm das Image des Politikers, der einen schweren Schicksalsschlag erlebt und überlebt hat, womöglich sogar nützte. Seine berühmte Rede vor dem Bundestag 1991, wo er für Berlin als künftige Hauptstadt plädierte, sei vielleicht auch deswegen so gut angekommen, weil er damals „im Rollstuhl noch viel erbarmungswürdiger“ ausgesehen habe als heute, sagte er mal in einem Fernseh­interview. Diesem blassen, schmalen Mann im Rollstuhl traute man nichts Unedles zu, er wirkte visionärer als die Bonn-Verfechter, die an Pendlerstress und Umzugskosten durch eine mögliche Verlagerung der Hauptstadt dachten. Schäuble aber wollte nie einen moralischen Bonus wegen seiner Behinderung. Diese habe ihn „nicht zu einem besseren Menschen“ gemacht, sagte er einmal. Was wohl auch stimmte.