Vor Streik der GDL: Signale auf stillstehende Züge

Von Mittwochfrüh bis Freitagabend ruft die GDL ihre Mitglieder zum Streik auf. Bahnreisende müssen trotz Notfallplans mit Einschränkungen rechnen.

Bahngleise in einer Winterlandschaft

Wer könne, solle die eigene Reise verschieben, rät die Bahn: verwaiste Gleise bei Frankfurt beim bislang letzten GDL-Streik vor einem Monat Foto: Michael Probst/ap

BERLIN taz | Alle Weichen stehen auf Streik. Zwar versuchte die Deutsche Bahn bis zuletzt, den Streik der Lokführergewerkschaft GDL juristisch zu verhindern. Ihr erster Versuch scheiterte am Montag vor dem Frankfurter Arbeitsgericht. Am späten Dienstagnachmittag, kurz vor Streikbeginn also, wollte das Landesarbeitsgericht Hessen in zweiter Instanz darüber befinden (nach Redaktionsschluss). Viel spricht dafür, dass der 64-Stunden-Streik wie geplant anlaufen wird. Wer könne, solle die eigene Reise verschieben, empfiehlt die Deutsche Bahn ihren Kund*innen.

Voraussichtlich werden ab Mittwoch um 2 Uhr viele Mitarbeitende der Bahn ihre Arbeit niederlegen und in Streik treten. Ab dann wird der Personennahverkehr bis Freitag um 18 Uhr stark eingeschränkt sein. Im Güterverkehr bei DB Cargo sollte der Streik bereits am Dienstagabend um 18 Uhr beginnen. Neben der Deutschen Bahn richtet sich der Streik auch gegen das private Eisenbahn­unternehmen Transdev sowie die City Bahn Chemnitz.

Nach Schätzungen der Bahn sind Millionen Kun­d*in­nen betroffen. Ihrer Erfahrung nach musste die Bahn beim letzten GDL-Warnstreiks vor Weihnachten jeweils rund 80 Prozent des Fernverkehrsangebotes streichen. In manchen Bundesländern fuhr so gut wie kein Zug mehr. Dieses Mal ist mit ähnlichen Auswirkungen zu rechnen. Auch im Schienengüterverkehr könne es zu massiven Einschränkungen für Industrie und Wirtschaft kommen, schätzt der Konzern. Auch das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft warnte am Dienstag vor Millionenschäden für deutsche Unternehmen.

Auch wenn das Urteil der letzten Instanz noch ausstand, hat die Bahn einen Notfallfahrplan mit stark eingeschränktem Angebot eingerichtet. „Für diese Fahrten setzt die DB längere Züge mit mehr Sitzplätzen ein, um möglichst viele Menschen an ihr Ziel bringen zu können. Dennoch kann eine Mitfahrt nicht garantiert werden“, teilte das Unternehmen mit. Wie auch bei den vergangenen Streiks gilt, dass die Zugbindung für Tickets in diesem Zeitraum ausgesetzt wird und die Fahrten auch zu einem späteren Zeitpunkt angetreten werden können.

„Substanzlos und vergiftet“

Die GDL hatte die Verhandlungen mit der Bahn Ende November für gescheitert erklärt, da der Konzern nicht über Kernforderungen, insbesondere eine Wochenarbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, verhandeln wollte. Während des Weihnachtsfriedens habe die Deutsche Bahn versäumt, ein verhandlungsfähiges Angebot vorzulegen, sagte GDL-Chef Claus Weselsky.

Zwar legte die Bahn am vergangenen Freitag ein Angebot vor, das auch erstmals auf eine Arbeitszeitverkürzung einging. Doch die Gewerkschaft lehnte es als „substanzlos und vergiftet“ ab.

Der Konzern will über ein Wahlmodell für Schichtarbeiter verhandeln. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte Bahn-Personalvorstand Martin Seiler jüngst: „Die können dann statt 38 nur noch 35 Stunden arbeiten – oder auch 40 Stunden. Jeder wählt aus, wie in einer Cafeteria.“ Doch das ginge nur mit Abstrichen bei einer tariflich vereinbarten Lohnerhöhung. Eine 35-Stunden-Woche für alle käme für die Bahn allerdings nicht in Frage, da dies ihre Personallage nicht her­geben würde. „Für uns ist es zentral, dass manche Beschäftigte länger arbeiten, wenn andere kürzer arbeiten“, sagte Seiler. Der Fachkräftemangel sei heute schon Realität.

Mit Blick auf die Entgelte blieb die Bahn bei ihrem bisherigen Angebot von 11 Prozent mehr Geld bei einer Laufzeit von 32 Monaten. Die Gewerkschaft verlangt 555 Euro mehr im Monat sowie eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000 Euro. Über das Angebot der Deutschen Bahn sagte Weselsky, dieses empfänden die „Mitarbeiter als Schlag ins Gesicht“ und es sei eine „Mogelpackung“, die bestehende Regelungen als neuartige Verbesserungen verpacke.

Klage der Bahn

Mit dem Argument, dass der GDL eine rechtliche Grundlage fehle, reichte die Deutsche Bahn am Montag Antrag auf einstweilige Verfügung gegen den Ausstand vor dem Arbeitsgericht Frankfurt ein. „Die Lokführergewerkschaft hat ihre Tariffähigkeit durch die Gründung ihrer Leiharbeiter-Genossenschaft verloren“, begründete Seiler das Vorgehen der Bahn. Die braucht es in Deutschland gesetzlich, um überhaupt in Streik treten zu dürfen. Es geht um die im Juni 2023 von der GDL gegründete Leiharbeitsgenossenschaft Fair Train, bei der Lokführer zu besseren Arbeitsbedingungen angestellt werden und von dieser an Bahnunternehmen verliehen werden sollen. Die Deutsche Bahn sieht darin einen Interessenkonflikt.

In der Sache hat die Deutsche Bahn bereits vergangene Woche eine Feststellungsklage zur Tariffähigkeit erhoben. In den Augen der GDL ist das nicht mehr als „Nebelkerze“. Auch im Eilverfahren geht es um die Frage der Tariffähigkeit. Dennoch unterscheiden sich die beiden Verfahren. Während die Feststellungsklage eine volle Beweisaufnahme umfasst, wird im Eilverfahren zur Zulässigkeit des Streiks lediglich nach Aktenlage geprüft.

Vor dem Arbeitsgericht prallte der Eilantrag ab. „Die GDL ist nicht offenkundig tarifunfähig“, sagte der Richter zur Begründung. Der angekündigte Streik sei eine „Zumutung, die auf Sand gebaut ist“. Ihm fehle die Legitimation und die Grundlage, sagte der Hauptgeschäftsführer des DB-Arbeitgeberverbands AGV Move, Florian Weh, nach der Verhandlung. Stattdessen forderte er in Verhandlungen, zum jüngsten Angebot der Bahn zu gehen, dieses sei eine „hervorragende Grundlage für einen Kompromiss“..

Der Streit zwischen GDL und Deutscher Bahn ist nicht der erste Tarifkonflikt in den letzten Monaten, bei dem es härter zur Sache geht. Denn aufgrund der Lohnzurückhaltung in der Coronakrise und der steigenden Energiepreise haben die Bezüge der Beschäftigten zuletzt ­massiv an Kaufkraft verloren. Allein 2022 betrug der Reallohnverlust durchschnittlich 4,1 Prozent. Und diesen versuchen die Gewerkschaften in letzter Zeit mit besonders hohen Tarifforderungen wieder wett zu machen.

GDL befürchtet, verdrängt zu werden

Vergangenes Jahr machte deswegen ein Wort besonders die Runde: Urabstimmung. Diese müssen die Gewerkschaften durchführen, um zu ihrer schärfsten Waffe, dem sogenannten Erzwingungsstreik zu greifen. Im Gegenzug zu Warnstreiks, die während Tarifverhandlungen üblich und stets zeitlich und räumlich begrenzt sind, können Gewerkschaften mit einem Erzwingungsstreik prinzipiell unbefristet, also tagelang, die Arbeit niederlegen. Deshalb wird er auch „unbefristeter Streik“ genannt. Dafür müssen aber in der Regel mindestens 75 Prozent ihrer Mitglieder für diese Maßnahme stimmen.

Bei der GDL stimmten bereits kurz vor Weihnachten 97 Prozent der Mitglieder für eine Ausweitung der Arbeitskämpfe.­ Damit machte sie seit Längerem einmal wieder den Weg frei für einen großen Erzwingungsstreik. Andere Gewerkschaften schreckten davor in den letzten Tarifverhandlungen zurück. Die Eisenbahngewerkschaft EVG etwa führte bei ihrem Tarifstreit im vergangenen Jahr zwar eine Urabstimmung durch, doch auch sie nahm einen Schlichterspruch an und verzichtete auf einen „richtigen“ Streik.

Dabei spielt bei der Deutschen Bahn das Verhältnis zwischen GDL und EVG eine besondere Rolle. Die zum DGB gehörende EVG ist mit rund 185.000 deutlich größer als die GDL, die rund 40.000 Mitglieder hat. Die GDL gibt sich dafür kämpferischer – auch weil sie Angst hat, verdrängt zu werden.

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