Mikrobiologische Forschung: Ur-Enzyme fressen Plastik

Ein Forschungsteam hat Enzyme entdeckt, die Plastik effektiver zerlegen können, als bislang bekannt. Die entstehenden Moleküle sind unschädlich.

Leichtverpackungen und Gelbe Säcke liegen auf einer Deponie. Im Vordergrund steht ein Mitarbeiter.

Zum Zersetzen ist genug da: Plastikmüll-Deponie in Hannover Foto: Julian Stratenschulte/dpa

HAMBURG taz | Eine Welt ohne Plastik – kaum vorstellbar. Noch vor 70 Jahren schleppten Menschen Milch in Glasflaschen herum, roch es in neuen Autos nicht nach parfümiertem Kunststoff, und Kinder spielten mit Holz statt mit glattem Polyethylen. Damals suchte die Welt nach einem unzerstörbaren Material, mit der Folge, dass in den Weltmeeren nun Abermilliarden winzige Plastikstückchen treiben.

Etwa 360 bis 450 Millionen Tonnen synthetischer Polymere werden pro Jahr hergestellt. Zum Vergleich: Eine Boeing 747 wiegt etwa 200 Tonnen. Das Plastik kann weder zerstört noch wiederverwendet werden und reichert sich somit immer weiter an.

Aber es gibt Hoffnung: kleinste Teilchen, die vor Milliarden von Jahren entstanden sind. Sogenannte Archaeen (gesprochen: Ar-chä-en) zersetzen Plastik und können künstlich hergestellt werden. Ein Forschungsteam der Universitäten Kiel, Hamburg und Düsseldorf hat jetzt einen vielversprechenden Mikroorganismus-Kandidaten entdeckt.

„Entdeckt“ ist eigentlich nicht das richtige Wort, um zu beschreiben, was die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen gemacht haben. Um verschiedene Mikroorganismen in einer Probe zu finden, gibt es zwei Methoden, erklärt Ruth Schmitz-Streit. Sie ist Mikrobiologin an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und hat die Studie maßgeblich geleitet.

Das Enzym existiert, seit die Erde von Vulkanen und warmen Ozeanen bedeckt war

Die klassische Methode sei es, in einer Probe verschiedene Organismen zu testen. So könne man einer heißen Quelle Wasser entnehmen, in dieses Wasser Plastikteilchen geben und dann gucken, ob es abgebaut wird. Danach könne man einzelne Mikroorganismen in der Probe testen, indem man sie vermehrt und wieder das Ergebnis betrachtet – Trial-and-Error sozusagen.

Das ist zeitaufwendig, und deshalb hat das Forschungsteam jetzt einen anderen Weg gewählt: die metagenom-basierte Methode. Auch ihr liegt eine Probe zugrunde. In diesem Fall wurde sie von einem anderen Team vor der Küste Venezuelas entnommen. Statt nach einzelnen Organismen zu suchen, wurde die gesamte Probe zusammengekocht, sodass nur noch die DNA-Stränge erhalten blieben.

Das Ergebnis dieses Zusammenkochens ist das Metagenom. In der Abfolge aus Thymin, Cytosin, Adenin und Guanin – den desoxy- Ribonukleinsäuren, aus denen alle Erbinformationen bestehen – suchten die Forscher*in­nen dann nach bestimmten Abfolgen oder Motiven. Welche Motive auf plastikfressende Enzyme hindeuten, wussten sie aus vorherigen Studien. Sind die richtigen Motive gefunden, kann man sie künstlich in Bakterien übertragen. Die nehmen dann die gewünschten Eigenschaften an und können geklont, getestet und benutzt werden.

Das gefundene Enzym tauften sie PET46. Es baut Plastik effektiver ab als zuvor gefundene Enzyme und ist vermutlich uralt. Es existierte lange vor McDonalds-Happy-Meal-Spielzeugen, Frischhaltefolie und verschmutzten Meeren.

„Es gibt nichts auf der Welt, was nicht von solchen Enzymen abgebaut werden könnte“, sagt Ruth Schmitz-Streit. Es dauere nur manchmal lange. Enzyme sind biologische Strukturen in Organismen, die Substanzen abbauen können. Im menschlichen Körper zersetzen Enzyme zum Beispiel Nahrung, sodass wir aus einer Karotte das Vitamin A aufnehmen können.

Das von den For­sche­r*in­nen gefundene PET46 befindet sich nicht im Menschen, sondern in Archaeen. Das ist klar, weil links und rechts neben den Enzyminformationen in der Probensuppe entsprechende Hinweise aus Archaeen liegen. „Die Archaeen sind widerstandsfähig, weil sie unter ursprünglich extremen Bedingungen entstanden sind und auch heute noch unter solchen Bedingungen leben können“, sagt Schmitz-Streit.

Archaeen sind mikroskopisch kleine Lebewesen. Generell kann man lebende Organismen in drei Klassen aufteilen: Bakterien, Eukaryoten (mehrzellige Lebewesen, zu denen Menschen gehören) und Archaeen. Archaeen haben keinen Zellkern, genau wie Bakterien, und eine ähnliche Zellmembran. Abgesehen davon sind Archaeen den mehrzelligen Eukaryoten sehr ähnlich: Müssen DNA-Stränge vermehrt werden, funktioniert das wie bei Eukaryoten mithilfe von mRNA.

Was kleinteilig klingt, hat große Bedeutung für die Entschlüsselung der Geschichte unserer Erde. Wenn Archaeen sowohl Bakterien als auch Eukaryoten ähneln, wie sind alle drei dann entstanden? „Seit Kurzem ist bewiesen, dass die Eukarya sich aus den Archaeen entwickelt haben“, sagt Schmitz-Streit. Anders als bisher angenommen sind Menschen, Tiere und alle mehrzelligen Organismen nicht aus Bakterien entstanden. Archaeen sind vielmehr die Grundlage für alles, unsere winzigen Vorfahren.

Künstliche Veränderung der DNA

Das erklärt, warum Achaeen bei 70 Grad besonders gut Plastik zerstückeln können. Sie sind hier, seit die Erde von Vulkanen und warmen Ozeanen bedeckt war. Weil sie unter widrigen Bedingungen entstanden, können sie so arbeiten, sagt Schmitz-Streit. Selbst extrem schwer zu spaltende Plastikverbindungen können sie nicht aufhalten. Treffen sie auf ein solches Stück Plastik, kann PET46 es aufnehmen und hinter einem Deckel zersetzen, bis nur noch Monomere, also einzelne Moleküle übrig sind.

Damit ist das Plastik nicht verschwunden, aber es kann wiederverwendet werden. Und als Monomer ist Plastik nicht mehr belastend für die Umwelt. Es müsste so kein neues Plastik hergestellt werden. Anstelle andauernder Anreicherung könnte ein Kreislauf entstehen.

Wie das aussehen könnte, zeigt sich jetzt schon in Frankreich. Dort wird Plastik in sogenannten Fermentern mithilfe von Enzymen zersetzt und wiederverwendet. Fermenter kann man sich als große Tonnen vorstellen, in denen es warm ist, sodass die Enzyme gut arbeiten können.

Der Plan ist nun, PET46 durch künstliche Veränderung der DNA weiter zu verbessern – es noch effektiver zu machen. Neben der praktischen Anwendung sei aber auch die Grundlagenforschung über Archaeen wichtig, sagt die Forscherin. Die zeige, wie die Erde mit dem Plastik klarkommen würde, auch lange nach dem Ende der Menschheit.

In einer früheren Version des Textes hieß es in Absatz acht: „Das Ergebnis dieses Zusammenkochens ist das Metagenom. In der Abfolge aus Thymin, Uracil, Adenin und Guanin – den Aminosäuren, aus denen alles Leben besteht – suchten die Forscher*in­nen dann nach bestimmten Abfolgen oder Motiven. Das war nicht korrekt. Wir haben den Fehler korrigiert (siehe oben) und Danken für den Hinweis. Die Redaktion.

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