Debatte um Waffenlieferungen an Ukraine: Gamechanger dringend gesucht

Die Ukraine erzielt gegen Russland nur mäßige militärische Erfolge. Der Druck auf die Bundesregierung steigt, den Marschflugkörper Taurus zu liefern.

Selenskyj zeigt auf seine Kopfhörer

Selenskyj will sich in Davos Gehör verschaffen Foto: Markus Schreiber/ap

BERLIN taz | In wenigen Wochen jährt sich der Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zum zweiten Mal. Seit Februar 2022 ziehen sich die militärischen Einsätze auf beiden Seiten, ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht. Allerdings ringt die Ukraine international um militärische und finanzielle Unterstützung. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mehr Hilfen von den westlichen Verbündeten, um gegen die russische Aggression bestehen zu können. Wegen der Sorge im Westen, Russland könne den Konflikt weiter eskalieren, habe sein Land im Kampf gegen den Aggressor Zeit verloren, prangerte Selenskyj an.

Der Faktor Zeit und die wenigen militärischen Fortschritte, aber auch die enorm hohe Zahl an toten Sol­da­t:in­nen auf beiden Seiten lässt Forderungen nach einem Waffenstillstand lauter werden. Gesprächen wird sich die Ukraine nicht verweigern. Aber, so machte Selenskyj unmissverständlich klar, Voraussetzung für eine wie auch immer geartete Einigung sei, dass Russland das ukrainische Territorium verlasse. US-Außenminister Antony Blinken zeigte sich skeptisch, was einen Waffenstillstand angeht. Dafür müsse Russland bereit sein, „in gutem Glauben zu verhandeln, basierend auf den Grundprinzipien, die durch seine Aggression infrage gestellt wurden – territoriale Integrität, Souveränität, Unabhängigkeit“, sagte Blinken ebenfalls in Davos.

Auf die Unterstützung der Nato kann die Ukraine aber offenbar hoffen. „Die Ukraine wird unsere Unterstützung an jedem Tag haben, der noch kommt, weil dieser Krieg über das Schicksal der Welt entscheiden wird“, sagte der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, Admiral Rob Bauer, in Brüssel. In diesem Krieg sei es nie, wie von Putin kolportiert, um eine Bedrohung der russischen Sicherheit durch die Ukraine oder die Nato gegangen. Vielmehr gehe es um die Furcht Russlands vor der Demokratie. Schwerpunkt des zweitägigen Treffens des Nato-Militärausschusses ist die Militärübung Steadfast Defender, die größte Übung seit dem Kalten Krieg.

Die militärische Situation in der Ukraine stagniert, aus den theoretischen Zusagen müssen praktische Lieferungen werden. Es braucht also dringend einen sogenannten „game changer“ in der militärischen Kriegsführung. Große Hoffnung liegt dabei auf der Lieferung von deutschen Marschflugkörpern vom Typ Taurus. Seit Monaten fordert die Ukraine von der Bundesregierung solches Kriegsgerät, das mit seinem Jetantrieb über 500 Kilometer weit fliegen kann.

Durchschlagend und panzerbrechend

Der Taurus wird von Kampfflugzeugen aus gestartet, ist mit Sprengstoff gefüllt und gilt als besonders durchschlagend und panzerbrechend. Zudem kann der Marschflugkörper feindliches Radar quasi unterfliegen und dadurch besonders zielgerichtet eingesetzt werden. Zerstört werden können damit auch Munitionsdepots oder gut gesicherte Kommandoposten. Während aus den Reihen der Grünen und der FDP Zustimmung für eine solche Lieferung an die Ukraine kommt, zögert Kanzler Scholz. Die Unionsfraktion erhöhte am Mittwochabend mit einem Entschließungsantrag den Druck auf die Bundesregierung.

„Gerade angesichts des desaströsen Bildes, das die EU mit mangelnder Munitionsproduktion und der gebrochenen Zusage, der Ukraine eine Million Artilleriegranaten zu liefern, abgibt, ist Taurus dringend geboten“, sagte der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter der taz. Aus Sicht des CDU-Politikers könnten über den Einsatz des Marschflugkörpers die Versorgungslinien über die Krim abgeschnitten werden, die russischen Soldaten würden ohne großes Blutvergießen zum Aufgeben gezwungen und „Putins Machtbasis wäre zumindest angekratzt“. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung lag zu Redaktionsschluss noch nicht vor.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) versicherte in einer Befragung durch das Parlament im Bundestag am Mittwochmittag allerdings, dass es vor allem darum gehe, immer abzuwägen, dass Deutschland nicht direkt zur Kriegspartei werde. Entscheidungen würden gemeinsam im Kabinett vorgenommen.

Großbritannien und Frankreich liefern bereits ähnliches Kriegsgerät an die Ukraine. Die Möglichkeit, dass damit auch russisches Staatsgebiet beschossen werden kann, gilt als eines der Hauptargumente für die Blockade des Bundeskanzlers. Der ukrainische Präsident Selenskyj hatte aber bereits zugesagt, Waffen der westlichen Verbündeten nicht auf russischem Gebiet einzusetzen.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Mittwoch in Berlin, die Unterstützung der Bundesregierung für die Ukraine sei ungebrochen. Bei einem Telefonat zwischen Kanzler Scholz und US-Präsident Joe Biden am Dienstag hätten Waffensysteme für die Ukraine keine Rolle gespielt.

Auch in der Nacht zu Mittwoch gingen die russischen Angriffe auf die Ukraine weiter. Zwei Raketen, die auf die Stadt Charkiw im Nordosten zielten, trafen Wohngebäude und eine medizinische Einrichtung. 17 Menschen seien dabei verletzt worden, teilten Behördenvertreter mit. Die Raketen des Typs S-300 seien nach Einbruch der Dunkelheit eingeschlagen, teilte der Charkiwer Gouverneur Oleh Synjehubow mit. Die Boden-Luft-Raketen wurden von Russland angepasst, um gegen Ziele an Land eingesetzt werden zu können.

Sie lassen sich günstiger produzieren als ballistische Raketen oder Marschflugkörper. Zugleich sind sie weniger treffsicher und haben eine kürzere Reichweite, wie Analysten sagen. Tiefer in der Region Charkiw gerieten frontnahe Gebiete nach Angaben von Behördenvertretern unter Artilleriebeschuss. Die ukrainische Luftwaffe teilte mit, sie habe 19 von 20 von Russland über Nacht in Bewegung gesetzten Schahed-Drohnen aus iranischer Fertigung abgefangen. Zugleich meldeten regionale Behördenvertreter, dass einige Drohnen Lücken in der Luftverteidigung gefunden hätten.

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