Musikerin Barbara Morgenstern: Der Mond ist ein Ohrwurm

Weltuntergangsstimmung als Kammerpop: Musikerin Barbara Morgenstern sinniert auf ihrem neuen Album über Natur und Menschen.

Barbara Morgenstern steht im Wald

Während der Pandemie wurde ihr fundamental klar, dass der Mensch keineswegs außerhalb der Natur steht: Barbara Morgenstern Foto: Mara von Kummer

Dass es unserer Spezies schwerfällt, sich als Teil der Natur zu verstehen, hat nicht zuletzt durch die Klimakrise neue Brisanz bekommen. Und das, obwohl die Rede vom Anthropozän sehr stichhaltig ist, also der wissenschaftlichen Theorie, die besagt, dass um 1950 eine neue Epoche begonnen hat, in der die Menschheit zu einem biologischen Einflussfaktor auf der Erde geworden ist.

In Puncto Metaphernbildung bedienen wir uns trotzdem gern bei der Tierwelt. In den Songzeilen „Ich krebs herum/ Tapps hinterher/ Mein dickes Fell/ Wird nass und schwer“ steckt nur eine Auswahl der Redensarten, die Barbara Morgenstern für ihren assoziationsreichen, rhythmisch federnden Song „Creatures (One Health)“ zusammengetragen hat.

Während der Pandemie, so erzählt die Berliner Musikerin anlässlich der Veröffentlichung ihres neuen Albums „In anderem Licht“, sei ihr auf eine ganz grundsätzliche Weise klargeworden, „dass der Mensch eben nicht außerhalb der Natur steht, sondern Teil davon ist“ – was sie in dem Song „Creatures (One Health)“ auf spielerische Art verarbeitet.

Polykrisen und Tumultöses

Der eskalierende Wahnsinn in der Welt, die Polykrisen, durch die wir seit einiger Zeit pausenlos schlittern, all das Tumultöse taucht in fast allen von Morgensterns elf Songs auf – in einer sloganfreien, angenehm zurückgenommenen Weise.

Barbara Morgenstern: „In anderem Licht“ (Staatsakt/Bertus)

live: 7. 2. 24 Berlin „Silent Green“, 12. 3. 24 München „Kammerspiele“, 16. 3. 24 Hamburg „Kampnagel, 17. 4. 24 Leipzig „UT Connewitz“

Dieses Understatement spiegelt sich auch in der klassischen, eher zarten Instrumentierung: Neben einem Flügel, den Morgenstern selbst spielt, sind auf dem Album Berit Jung (Kontrabass), Alice Dixon (Cello) und Josa Gerhard (Violine) zu hören; dazu spielt Sebastian Vogel leichtfüßig Schlagzeug und Christian Biegai wunderbar grummelig Saxofon.

Lag auf dem elektroakustischen Vorgängeralbum „Unschuld und Verwüstung“ (2018) Morgensterns Fokus noch auf persönlicher Selbstverortung, etwa der Frage, wie damit umzugehen ist, dass man sich plötzlich in der Lebensmitte wiederfindet – für Menschen mit Subkultursozialisation ja oft besonders überraschend – und „Live fast, die young!“ (so hieß auch ein Titel auf dem Album) nicht mehr so richtig passt, tritt Morgenstern auf „In anderem Licht“ ein paar Schritte zurück.

Und dadurch entsteht Raum, um das große Ganze in den Blick zu nehmen. Im Titelsong lässt die 52-Jährige den Mond auf eine Erde blicken, auf der alles wie immer sein wird, „nur in einem anderen Licht“ – was eben auch mit sich bringt, dass „die alte Welt“ nicht mehr existiert. Denn fast so bedeutend wie die Dinge selbst ist die Frage, wie sie denn zu deuten sind, von welcher Seite man daraufleuchtet.

Morphen und Mäandern

Worauf Morgenstern glücklicherweise keine allzu schlauen Antworten präsentiert, sondern statt dessen Resonanzräume schafft. Die teils sehr verrätselten, inhaltlich durchlässigen Songtexte morphen beim wiederholten Hören immer weiter. Getragen werden sie von mäandernden Melodien, die sich ebenfalls eher tastend voranbewegen und die große Pose vermeiden. Ohrwurm-Qualität entwickeln etliche der Stücke trotzdem.

Auch in „Knallgelber Mond“ übernimmt der so oft romantisierte Himmelskörper eine Beobachterrolle: Der Song entstand nach einer brütendheißen Nacht vorletzten Sommer, die Morgenstern mit Freunden am Kreuzberger Landwehrkanal verbrachte. Der Abend hatte, weil es Wochen nicht geregnet hatte und unerträglich heiß war, „plötzlich einen Touch von Weltuntergang“.

Auch die Pandemiesongs sind so abstrakt gehalten, dass sie sich noch mit Gewinn hören lassen, gerade weil die Coronazeit auch bereits wieder zur fernen Erinnerung verblasst. Das schwelgerische „Der Witz“ handelt von den Freuden des Alleinseins. Trotzdem: Einen Witz kann man sich schlecht selbst erzählen. Doch leider wurde auch der gemeinsame Humor ausgebremst von Verwerfungen, die bis heute nachhallen: „Ich sitz in meiner Kammer/ Das Freundschaftsband/ Scheint von Zeit zu Zeit/ Zum Riss bereit.“

„Große Gefühle im spröden Gewand.“ So beschreibt sie ihr Konzept – wobei ihre Klangweiten diesmal kaum spröde klingen

In Morgensterns Wahrnehmung ging, zumindest hierzulande, das aggressive Hochkochen von Standpunkten mit Covid erst richtig los. Das schön pointierte „Die Liebe zur Sache“ etwa entstand, als sie gerade selbst Corona hatte und „das Querdenken leider auch in meinem Umfeld zum Thema wurde“. Mittlerweile hat sich die Eskalationsschraube noch weiter gedreht. „Vom Impfen waren immerhin noch alle betroffen. Inzwischen zerfleischen sich die Leute über externe Themen, etwa den Nahost-Konflikt.“

Elektronica, Folk und Pop-Kammermusik

Ihr ästhetisches Konzept für die Songs beschreibt sie als „große Gefühle im spröden Gewand“ – wobei zumindest Morgensterns Klangweiten diesmal eigentlich kaum spröde klingen. Die Musikerin, in Hagen am Rande des Ruhrgebiets aufgewachsen, kam Mitte der 1990er Jahre nach Berlin und begann in der sogenannten Wohnzimmerszene Musik zu machen; seither ist sie mit wechselnder Gewichtung zwischen Electronica, Folk und Songwriter-Pop unterwegs. Ihr elftes Studioalbum führt sie nun in kammermusikalische Popgefilde.

2022 bezeichnete sie selbst in einem Interview ihr gegenwärtiges Schaffen als „orchestrale Phase“. Doch vor überwältigendem Pathos oder was man sonst mit orchestraler Wucht assoziieren mag, muss man sich bei ihr nicht fürchten. Sie habe damit eher einen „anderen Klangkörper“ gemeint. Als Mu­si­ke­r:in saß man ja lange genug im stillen Kämmerlein, dementsprechend freue sie sich über „die Möglichkeit, mit diesen unfassbar tollen Musikerinnen und Musikern live spielen zu können“.

Entstanden ist die aktuelle Begleitband aus ihrer Zusammenarbeit mit der Theater-Künstlergruppe Rimini Protokoll. Für das Stück „All right. Good Night“ komponierte sie Auftragsmusik für ein 17-köpiges Orchester – was auch eine Inspiration für das neue Album wurde. Seit 2012 hat sie bei sieben Produktionen der deutsch-schweizerischen Gruppe mitgewirkt – und zudem noch mit dem Performance-Kollektiv Showcase Beat Le Mot gearbeitet.

Rimini-Protokoll und Showcase Beat Le Mot

Theatermusik ist zu einem festen Standbein für Barbara Morgenstern geworden. Ebenfalls Einfluss auf ihre Herangehensweise ans Komponieren hatte die Arbeit mit dem Chor der Kulturen der Welt, den sie über 15 Jahre zusammen mit Philipp Neumann leitete. Kurz vor dem Intendanzwechsel am Haus der Kulturen der Welt in Berlin gab sie Ende 2022 die Leitung aus Zeitgründen auf.

In ihrer Musik wirkt die Kollektiverfahrung des Chorgesangs aber hörbar nach. Vielleicht ist es gerade jene gemeinschaftliche Anmutung, die dafür sorgt, dass „In anderem Licht“ etwas Tröstliches hat – trotz der Abgründe und Ängste, die in den Songtexten des Albums verhandelt werden.

„Wie unter Dauerbeschuss/ Bekommt die Außenhaut schon Risse/ Wer sie gekonnt durchbricht/ Erschafft die größte Drohkulisse“, singt Morgenstern in „Schwarm­intelligenz“ – und zeigt dabei, wie auch gegenwartssatte Musik Balsam für diese Risse sein kann.

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