Faulsein nur mit Schnurrbart

Das Künstlerkollektiv ClaudeHilde reflektiert mit einer sozialen Skulptur über die Möglichkeiten des Nichtstuns als Frau und Künst­le­r*in

Von Mareike Barmeyer

„Wir müssen einfach mal Pause machen, um den kulturellen Wandel einzuleiten“, heißt es im Schnurrbartmanifest des Künstlerkollektivs ClaudeHilde. Das Manifest bekommt man beim Besuch ihrer Performance schon beim Eintreten in die Hand gedrückt. Nichtstun – nichts leichter als das, oder? Mit ihrer sozialen Skulptur „Artist at Work“, die normalerweise im Roten Salon der Volksbühne zu Hause ist, wollen die Schau­spie­le­r*in­nen Julia Thurnau und Margarita Breitkreiz, Dr. Giulia Maria Chesi und Daniel Wittkopp alias ClaudeHilde aufzeigen, dass die permanente Selbstoptimierung in unserer Gesellschaft die weibliche Faulheit unmöglich macht.

ClaudeHilde ist ein utopisches Kollektiv, das es seit 2013 gibt. Eine soziale Skulptur ist ein Begriff zur Bezeichnung von Kunst, die den Anspruch verfolgt, auf die Gesellschaft gestaltend einzuwirken. Joseph Beuys gilt als ihr Erfinder. Worum aber geht es bei der sozialen Skulptur „Artist at Work?“ Worauf will diese einwirken? Eigentlich habe der Konzeptkünstler Mladen Stilinović die Idee schon 1974 erfunden, erklärt Thurnau. Er hat damals die Arbeitsbedingungen von Künst­le­r*in­nen im Osten und Westen verglichen und gesagt: „Ohne Faulheit keine Kunst“. Faulheit an sich wird da zum Gegenstand der Kunst.

Im Zentrum der Performance steht selbstverständlich ein Bett, das im Laufe der Performance abwechselnd von Thurnau und Breitkreitz liegend besetzt wird, mit und ohne Schnurrbart. Die beiden berufen sich, während sie faul herumzuliegen versuchen, auf eine Oxfam-Studie von 2020 zu unbezahlter Care- und Pflegearbeit. Die Studie belegt, dass, wenn diese Arbeit mit dem örtlichen Mindestlohn bezahlt würde, Frauen und Kinder 25-mal so viel wie Amazon, Microsoft und Google zusammen verdienen würden. „Ein Kapitalismus mit Menschen an der Spitze, die zur Fürsorge fähig sind, ist umgehend ausprobierenswert“, plädiert Thurnau aus ihrem Bett heraus, während der Performance: „Wir rufen zur Revolution der faulen Frauen auf, um die Welt zu retten“. Die zentrale Aussage der sozialen Skulptur sei, so Thurnau, kollektiv bleiben zu lassen, was uns stört, zumindest bis sich was verändert.

Der Schnurrbart sei notwendig, erklärt sie, damit klar sei, dass sie hier in diesem Bett auf der Bühne keine Freier suchen oder auf einen Prinzen warten, der sie rettet. Wenn sie sich ohne Schnurrbart in das Bett legen würde, kämen beim Publikum gleich ganz andere Assoziationen auf. Außerdem würde sie als Frau in dem Bett auf der Bühne die ganze Zeit denken: Wie finden die Leute das? Sehe ich gut aus? Ist mein Arsch zu fett? Da sei man gleich bei Selbstoptimierung oder Prostitution. Und all das, sagt Thurnau, mache weiblich Faulheit unmöglich.

Zudem beeinflussen gesellschaftliche Zuschreibungen, Normen und Stereotype die Bewertung und Verteilung von Arbeit. Da ist ein Schnurrbart einfach preisgünstiger als erotisches Kapital.

Das Kollektiv plädiert für eine gegenstandslose Welt, dennoch sind sie inmitten des kapitalistischen Systems prekäre Künst­le­r*in­nen in Berlin, und deswegen verkaufen die beiden mit der „Einladung in ihr Bett“ während der Performance Faulheit auch als Produkt. Im Bett dürfen die Zuschauenden für eine Spende 10 Minuten lang Faulheit praktizieren und werden damit gleichzeitig Teil der Performance. Weiblich gelesene Personen sind eingeladen, sich den Schnurrbart dabei anzuziehen. Als Epilog werden außerdem im Laufe des Abends in unbezahlter Arbeit hergestellte Werke real versteigert.

„Artist at Work“ gastiert am 27. Januar um 18 h im ZIK Schloss-Straßen-Center