Handelsabkommen zwischen EU und Chile: Raubbau ohne Grenzen

Im Februar soll vom EU-Parlament ein Handelsabkommen mit Chile verabschiedet werden. Es gefährdet Nachhaltigkeit, Finanzen und Demokratie vor Ort.

Luftbild zeigt die Lithium-Mine von oben, leuchtend grüne Flächen

Ökologisch sehr bedenklich: Die SQM-Lithium-Mine in der Atacama-Salzebene in der Region Antofagasta, Chile Foto: Ivan Alvarado/reuters

Die Atacamawüste im Norden Chiles beherbergt einen wertvollen Rohstoff: Lithium. Weil dieses Metall als Bestandteil von Akkus heute in fast allen Computern, Telefonen und E-Autos zu finden ist, ist die Nachfrage nach diesem „weißen Gold“ weltweit geradezu explodiert. Doch Lithiumabbau verbraucht enorme Mengen an Wasser: Eine Tonne Lithium zu produzieren benötigt etwa 900.000 Liter Wasser – und das in einer der trockensten Regionen der Erde. Die Folge: Das Wasser für Menschen und Felder wird immer knapper. Der Abbau von Rohstoffen in Chile führt regelmäßig dazu, dass Äcker, Wasser und Luft kontaminiert, Arbeits- und Menschenrechte massiv verletzt und indigene Gemeinschaften vertrieben werden.

Um möglichst billig an Lithium und andere Rohstoffe wie Kupfer zu gelangen, schloss die EU-Kommission zahlreiche Handelsabkommen ab, im Jahr 2005 auch eines mit Chile. Unter dem Deckmantel einer Modernisierung wurde in den letzten 15 Jahren über ein aktualisiertes Abkommen verhandelt. Dieses soll noch im Februar vom EU-Parlament verabschiedet werden. Der Ausschuss für internationalen Handel des EU-Parlaments stimmte am vergangenen Mittwoch mit 66 zu 12 Stimmen und vier Enthaltungen dafür, diesem die Zustimmung des Abkommens zu empfehlen.

Um den Zugang zu den Rohstoffen schnell zu sichern, wurde es in zwei Vertragsteile aufgespalten: einen Handelsteil und das große Rahmenabkommen. Für den Handelsteil ist allein die EU zuständig, er kann an den nationalen Parlamenten vorbei verabschiedet werden. Das große Rahmenabkommen hingegen, das die Vereinbarungen zur nachhaltigen Zusammenarbeit festlegt, muss den langen Weg über die Parlamente nehmen.

Ein eigenes Kapitel zu Energie und Rohstoffen entlarvt, welche Vorteile sich die EU sichern möchte: Europäischen Unternehmen soll der uneingeschränkte Zugang zu Rohstoffen und öffentlichen Vergabeverfahren in Chile gewährt werden. Gleichzeitig wird chilenischen Unternehmen sowohl im eigenen Land als auch beim Export eine Monopolstellung untersagt und ihre Preise dürfen nicht die der europäischen Konkurrenz übersteigen. Im Agrarsektor schafft das Abkommen alle Zölle außer diejenigen auf Zucker ab. Die Agrarproduktion soll also für den Export ausgerichtet werden. Dabei ist die Anbaufläche für landwirtschaftliche Produkte in Chile in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken, kleine Produzenten wurden verdrängt, die lokale Lebensmittelversorgung ist gefährdet.

Mit Sonderklagerechten gegen Demokratie

Die weitreichendste Neuerung betrifft die Demokratie im Kern: Die EU-Kommission möchte in allen neuen oder überarbeiteten Handelsabkommen verankern, dass ausländische Investoren Staaten vor Sondergerichten verklagen dürfen. So könnten Investoren voraussichtlich entgangene Gewinne einklagen. Das birgt für finanziell schwächere Staaten wie Chile ein erhebliches Risiko und kann dazu führen, dass schon Klageandrohungen notwendige Regulierungen zum Schutz von Mensch und Umwelt verhindern. Damit würden ausländische Investoren begünstigt, andere gesellschaftliche Gruppen von der Klagemöglichkeit ausgeschlossen und demokratisch gewählte Parlamente und Regierungen eingeschränkt.

Bei Verträgen zwischen EU-Staaten sind diese Verfahren inzwischen illegal. Es ist daher völlig unverständlich, warum die EU in Abkommen mit Drittstaaten auf dieses gefährliche Konzept der Schiedsgerichte setzt. Bereits heute bereitet es Chile große Probleme: Ein kanadischer Lachszüchter wollte mitten in einem Nationalpark eine Massenzucht eröffnen und hat Klage angedroht, falls ihm die Genehmigung verweigert werden sollte. Es wurde gegen Sozialprogramme im Tagebau geklagt, und die Rücknahme privater Wasserkonzessionen nach großen Wasserverunreinigungen führte zu erfolgreichen Milliardenklagen gegen Chile.

Internationale Handelsverträge folgen einem durchschaubaren Muster: Während die Handelskapitel mit Sanktionen bewehrt sind, werden die Abschnitte zu Menschenrechten und Naturschutz als bloße Absichtserklärungen deklariert. Für die EU-Kommission ist das kein Grund zur Bescheidenheit. So schwärmte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen letzten Sommer über das überarbeitete EU-Chile-Abkommen: Dieses Abkommen wird ein neues Kapitel in unserer Partnerschaft aufschlagen und unsere gemeinsamen Werte ins Zentrum unserer Beziehungen stellen: Achtung der Menschenrechte, Gleichstellung der Geschlechter, Transparenz und Nachhaltigkeit.“

Das zeichnet ein verzerrtes Bild. Denn auch beim Abkommen zwischen der EU und Chile sind die Bestimmungen zu Nachhaltigkeit, zu Frauen und Handel sowie zur nachhaltigen Ernährung unverbindlich, schwer durchsetzbar und bieten keine wirksamen Sanktionsmechanismen.

Neustart statt Modernisierung

Es ist eine Frage der Zeit, bis die Menschen in Lateinamerika und überall sonst in der Welt die Ungerechtigkeit der europäischen Handelspolitik erkennen. Statt warmer Worte muss Schluss sein mit einer Außenwirtschaftspolitik, die darauf beruht, Rohstoffe und Agrarland für den Export maximal auszubeuten. Wenn Menschenrechte und Naturschutz der EU wirklich so wichtig sind, wie Ursula von der Leyen behauptet, muss die EU den Mut haben, das geplante Abkommen zu stoppen und grundlegend neu zu verhandeln.

In einem neuen Vertrag mit Chile müssen Regierungen die Regulierungsfreiheit zum Schutz von Arbeitsplätzen, Gesundheit, Ver­brau­che­r:in­nen und der Umwelt behalten. Statt Gentechnik und industrieller Landwirtschaft sollten in Zukunft eine ökologische Landwirtschaft und regionale Lebensmittelversorgung gefördert werden. Alle Handelsabkommen mit Sonderklagerechten für Investoren schaden dem Rechtsstaat und der Demokratie. Sie gehören deshalb in den Papierkorb.

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Ludwig Essig ist Experte für Handelspolitik am Umwelt­institut München und Koordinator des bundes­weiten Netzwerks gerechter Welthandel. Er studiert Sozialwissenschaften an der Universität Stuttgart.

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