berliner szenen
: Ein Treffen, ein Jahr später

Ihre Körpergröße, die Grübchen, wenn sie lächelt, der kuschelige Pulli, den sie immer im Winter trägt. Nach einigen Minuten wird sich das alles vertraut anfühlen. Doch erst, als sie ihren Mantel auszieht und mit dem Kopf gegen die Lampe im Café stößt, erinnere ich mich, wie groß sie eigentlich ist. Ein Jahr lang sahen wir uns nicht. Zufällig nicht, obwohl wir 5 Minuten voneinander entfernt wohnen. Kann man nach einem Jahr vergessen, wie eine Person aussieht, die einem sehr nahesteht?

Ich warte auf sie in einem Café in der Wildenbruchstraße, gegenüber der Polizeiwache an dem einzigen Tisch, auf den die Sonne direkt scheint. Wir entscheiden uns, dort nicht zu bleiben, sondern einen Kaffee to go zu nehmen und spazieren zu gehen.

Nebeneinander und schweigsam laufen wir eine Weile am Kanal entlang, und dann bleiben wir irgendwo am Ufer stehen. Wir schließen die Augen und genießen die klare Luft und das schöne morgendliche Licht. Es fällt weiterhin kein Wort, bis sie sagt: „Als wären wir in einem Nouvelle-vague-Film und Godard würde uns heimlich filmen“, und damit das Eis bricht.

Keine von uns scheint Lust darauf zu haben, über ernste Sachen zu reden. Weil das der Grund unseres Wiedertreffens ist, geben wir uns allerdings Mühe, es hinter uns zu bringen. Wir klären, was wir klären können, und dann ziehen wir weiter. Wir kaufen ein Baguette bei einer französischen Bäckerei, schauen uns Ohrringe an, essen Bananenbrot in einem Café in der Friedelstraße und begleiten uns bis zur U-Bahn.

Wir können gar nicht sagen, ob wir uns wiedersehen werden. Doch nach einem Jahr konnten wir miteinander lachen über dieselben Dinge wie früher. Mit diesem Gefühl und nach einer kurzen Umarmung trennen sich unsere Wege.

Luciana Ferrando