Klangkunst in ehemaliger Edelsauna

Ein Kunstprojekt von Roseline Rannoch lädt dazu ein, den städtischen Zerfall der City West aus der Höhe zu be­trach­ten: ­beim zugewandten Musikhören in der provisorischen Ambivert Listening Bar

Von Robert Mießner

Die Untergangssauna befindet sich, der Name verpflichtet, im 13. Stock. Bis in die 12. Etage fährt ein Fahrstuhl. Die Technik ist abergläubisch, ab da geht es zu Fuß weiter. „Achtung! Alarmanlagen! Zutritt nur nach Anmeldung“, markiert ein Schild über der Treppentür das Terrain. Nicht das schlechteste Entrée für eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel „Doom Spa City West 2“.

Die Nummerierung deutet es an, das Heilbad zum Schiffbruch gibt es schon länger: Seit 2022 veranstaltet die Künstlerin Roseline Rannoch in Berlin, zuerst am Ernst-Reuter-Platz, jetzt im Dachstudio eines Schöneberger Wohnhochhauses, „Doom Spa City West“. 2023 feierte sie den Internationalen Tag der Introvertierten. Den gibt es tatsächlich, und zwar an jedem 2. Januar, pünktlich nach Neujahr.

Seit Januar 2024 laden Rannoch und Doom Spa jeden Dienstagabend bis zum März in die Ambivert Listening Bar ein. Hören als ernste Angelegenheit: In luftiger Höhe ist ein nüchtern anmutender Raum eingerichtet, keine Kunst an den weißen Wänden, dafür ein großzügiger Ausblick auf die Westberliner Nacht und ihr abnehmendes Licht. Ein Glasdach gibt den Himmel frei. An der Stirnseite ist auf einem Rollenregal ein Kassettenrekorder aufgebaut. Seine Anzeigen leuchten in dem Dunkel, das Rannoch mit einem Klick auf den Lichtschalter herabsenkt.

Das Ganze mutet sakral an. In ihrem früheren Leben beherbergten die Räumlichkeiten die Sauna eines Edelbordells, wird Rannoch später erzählen. Die einstmals stolze Gegend ist mittlerweile eine der Berliner Schattenseiten, fügt sie an, und berichtet von Leerstand und Beschaffungskriminalität. Das ist der wilde Westen.

Als Musikprogramm hat Rannoch Kassettenalben mit Klangkunst herangezogen und aus dem weiten Feld der experimentellen und improvisierten Musik Beispiele ausgewählt, die minimalistisch und nachdenklich klingen. Diesen Dienstag war das „Mal De Terre“ von Farida Amadou und Pavel Tchikov aus Belgien. Sie ist Bassistin und hat mit der HipHop-Künstlerin Moor Mother und dem Free Jazz-Saxofonisten Peter Brötzmann musiziert, er ist Gitarrist und kombiniert im Oktett Ogives klassische Klangsprache mit Rock und elektronischer Musik.

Im Duo spielen Amadou und Tchikov entrückte Miniaturen, ihre vorsichtigen Klopfzeichen geraten an neuralgischen Punkten zu Kratzern und Ausbrüchen. „Mal De Terre“ dauert 58 Minuten und umfasst neun einfach durchnummerierte Stücke. Einzelne Titel braucht es keine. Es geht um das visuelle Element dieser Klänge. Man hört das Auf und Ab der Musik und sieht gegenüber Menschen im Hotel. Lichter gehen aus und an, bilden ein Muster wie aus einem Schaltplan. Und noch ein Kniff: Rannoch spielt die Kassetten bewusst so ab, dass sie die Stadtgeräusche nicht vollständig übertönen. Die Ambivert Listening Bar ist kein Raum für Eskapismus, Amadous und Tchikovs Album ließe sich als „Blade Runner“-Musik bezeichnen, frei nach dem dystopischen Filmklassiker von Ridley Scott aus den frühen Achtzigern mit seinen wehmütigen Bildern von städtischem Zerfall.

58 Minuten dauert die Kassette. Der Weg zurück aus der Untergangssauna führt abwärts auf den Boden der Berliner Tatsachen. Am selben Tag hat das KaDeWe Insolvenz angemeldet. „Final Sale“ ist in den Schaufenstern zu lesen. Die beiden Brunnen am Wittenbergplatz sind ausgeschaltet. Die Polizei spricht mit einer Delinquentin, ihre Unterhaltung wirkt alltäglich. Leuchtreklamen werben für Versicherungen: „Feuersozietät“ leuchtet in roten Lettern im Dunkel. Pünktlich zu Neujahr hat an der Straßenecke ein Ertüchtigungstempel eröffnet, „Elite Kickboxing“ sein Name. Das wird nicht reichen.

Dienstags 18–22 Uhr, Anmeldung unter: info@doomspa.org