Deutscher Pavillon Venedig-Kunstbiennale: Großes Aufatmen

Gute Wahl: Kuratorin Çağla İlk lässt den Deutschen Pavillon in Venedig von Yael Bartana und Ersan Mondtag bespielen und bringt eine Insel zum Klingen.

Die israelische Künstlerin Yael Bartana gestaltet den Deutschen Pavillon in Venedig Foto: Andrea Rosetti/deutscher pavillon/dpa

Man hatte sich schon gefragt, was Çağla İlk wohl in Venedig zeigen wird. Wie sie, die Architektin aus Istanbul, die im Berlin der nuller Jahre im Schnittfeld von Kunst und Urbanistik als Kuratorin angefangen hat, denn auf der großen internationalen Kunstschau Deutschland repräsentieren würde – und dies in einem von den Nazis errichteten Pavillonbau.

Als Erstes würde sie die Eröffnungsparty organisieren, witzelte sie in einem Filminterview mit der Künstlerin Sonya Schönberger. Das war im September 2023. Bald darauf aber kam der 7. Oktober, das Massaker der Hamas, dann entfachte sich der Krieg in Gaza. Die Kulturszene ist nicht nur in Deutschland seither polarisiert und verunsichert, sondern wird regelrecht an der Frage zerquetscht, wie man zu Israel zu stehen habe.

Eine Party hätte Çağla İlk wahrlich nicht mehr organisieren können. Wie würde sie reagieren, fragte man sich. Ihre künstlerische Wahl für den deutschen Pavillon, die sie nun bekanntgab, ist eine Erleichterung. Denn Çağla İlk entscheidet sich zuallererst für die Kunst. Es wird im Deutschen Pavillon Venedig nicht um eine mutmaßliche politische Wahrheit gehen, nicht um Identität, womit einen Künst­le­r:in­nen und Ku­ra­to­r:in­nen zuletzt so viel belehren wollten. İlk entschied sich für die ästhetische Erfahrung, für die Fähigkeit der Kunst, sinnlich in Frage zu stellen, was uns als gewiss erscheint.

„Thresholds“, „Schwellen“, ist der Titel des deutschen Beitrags. Und schon formal wird İlk dann Grenzen überschreiten lassen, wenn auf der Insel La Certosa abseits des Biennale-Betriebs die mit Klang arbeitenden Künst­le­r:in­nen Michael Akstaller, Nicole L’Huillier, Robert Lippok und Jan St. Werner einen akustischen „Resonanzraum“ entwickeln.

Der Berliner Theaterregisseur Ersan Mondtag Foto: Andrea Rosetti/deutscher pavillon/dpa

Expressionistische Ganzkörperanzüge

Den Deutschen Pavillon in den Giardini mit seiner braunen Baugeschichte werden der Theaterregisseur Ersan Mondtag und die israelische Künstlerin Yael Bartana bespielen. Mondtag entwirft für seine Bühnenstücke surreale Räume, Menschen in schrillfarbigen Kostümen oder expressionistischen Ganzkörperanzügen entziehen sich bei ihm klaren Zuschreibungen. Seine inszenierten Welten sind immer in einem Grenzbereich.

Mit den meisten Künst­le­r:in­nen hat Çağla İlk bereits zusammengearbeitet, unter anderem als Direktorin der Kunsthalle Baden-Baden. Doch Yael Bartana ist nun eine Überraschung. Die in Berlin und Amsterdam lebende Bartana setzt sich viel mit der Geschichte Israels und des Zionismus auseinander und ist ästhetisch durchaus provokativ.

In ihren filmischen Inszenierungen entwirft sie Orte zwischen Utopie und Dystopie, spielt mit Codes des Totalitarismus. Im Jüdischen Museum Berlin ließ Bartana 2021 in einer Filminstallation eine Art weiblichen Fake-Messias auf einem Esel vor der Berliner Siegessäule reiten, die – man weiß es – Albert Speer als „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“ 1939 auf den heutigen Standort an der Prachtstraße am Tiergarten versetzen ließ. Ein schmerzhaftes Bild, den Humor dahinter muss man erst einmal lesen lernen.

Trotzdem ließ die Künstlerin einen im Unklaren zurück. Das wird vielleicht auch in Venedig passieren.

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