Wirtschaftsgeograf über Klimapolitik: „Das WEF ist der falsche Ort“

Die Klimakrise lässt sich in Davos nicht bekämpfen, sagt der Wirtschaftsgeograf Christian Zeller. Er plädiert für eine ökosozialistische Gesellschaft.

Ein Windradpark in Brandenburg bei Sonnenaufgang

Ein Windenergiepark im brandenburgischen Jacobsdorf Foto: dpa/Patrick Pleul

taz: Herr Zeller, Sie veranstalten einen Workshop bei der Konferenz „Das andere Davos“, einer Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum (WEF). Grob gesagt geht es um die Lösung der Klimakrise durch den Ausstieg aus den Fossilen. Trauen Sie dem WEF nicht zu, gute Lösungen dafür entwickeln?

Christian Zeller: Seit seiner Entstehung ist das WEF ein Forum der herrschenden Eliten. Sie unterhalten sich dort auch über ihre eigenen Widersprüche und wie sie diese kleinarbeiten können. Aber immer im Sinne der Stabilisierung oder auch Erweiterung ihrer eigenen Herrschaft.

Und das ist mit der Klimakrise nicht möglich?

Jahrgang 1962, lehrt und forscht als Professor für Geografie in Salzburg zu industriellen Restrukturierungen und sozialökologischer Transformation.

Natürlich wollen sie beim WEF auch die Erderhitzung managen. Aber sie betrachten dieses Risiko als etwas, das von außen kommt. Sie gehen nicht davon aus, dass die Erderhitzung das Ergebnis der kapitalistisch fossilen Industrialisierung ist, also letztlich Resultat des eigenen Zwanges, Kapital zu akkumulieren.

Weshalb sind Sie sich da so sicher?

Beim WEF treten auch Menschen auf, die wollen schlicht und einfach die fossile Welt weitertreiben. Andere wollen einen scheinbar grünen Kapitalismus, aber ebenfalls ohne wirklichen Ausstieg aus den fossilen Energien. Für eine Alternative, die den Problemen auf den Grund geht, ist das WEF der falsche Ort.

Das WEF hat mittlerweile auch Kri­ti­ke­r*in­nen an Bord.

Das gehört ja irgendwie zum guten Ton, dass man miteinander diskutiert. Aber ich glaube nicht, dass das für die reale Entwicklung irgendeine Relevanz hat.

Wie sehen Sie denn die „reale Entwicklung“?

Man muss eigentlich von einem fossilen Backlash reden. Seit 2022 haben alle großen Öl- und Gaskonzerne ihre Investitionen gesteigert, auch in fossile Anlagen. Das deutet darauf hin, dass die Renditen im fossilen Sektor weiterhin oder wieder höher sind als im Erneuerbaren Sektor.

Wie erklären Sie sich das?

Der erneuerbare Sektor ist mit großen Risiken aus kapitalistischer Sicht belastet. Einige Konzerne wie Siemens Energy erwägen sogar aus dem Onshore-Windgeschäft auszusteigen, weil ihnen das zu unsicher ist. Auch bei den ganzen COP-Konferenzen zeigt sich der fossile Backlash. Diese Konferenzen finden jetzt in Diktaturen und wichtigen ölexportierenden Ländern statt. Es gibt nichts, was darauf hinweist, dass die Herrschenden wirklich ein ernsthaftes Programm verfolgen, die Erderhitzung substanziell abzubremsen – das heißt aus den fossilen Energieträgern auszusteigen.

Und eine ökosozialistische Gesellschaft könnte das?

Wir können natürlich keinen Schalter umstellen, von einer kapitalistischen Gesellschaft in eine ökosozialistische, die alle Probleme löst. So wird es nicht stattfinden, sondern das ist ein Prozess. Der wird von vielen harten Konflikten begleitet sein. Der eine beginnt jetzt. Gehen wir davon aus, dass wir die Erderhitzung durch technologische Maßnahmen wie Carbon Capture (Co2-Abscheidung und Speicherung, Anm. d. Red.) lösen können? Ich gehe davon aus, dass solche Technologien keine Lösung bieten werden. Sie sind unausgereift und die wenigen Ansätze, die es gibt, funktionieren nur auf extrem kleinen Maßstäben. Sie werden nie das Volumen herbringen, was nötig ist. Und diese Technologien werden den fossilen Pfad verlängern, weil sie enorm viel Energie verbrauchen.

Das heißt?

Wenn wir das ganze Energiesystem elektrifizieren wollen, was ja eine Dekarbonisierung bedeutet, dann kann das nur gelingen, wenn wir insgesamt den Energieverbrauch reduzieren. Das bedingt dann aber auch Diskussionen darüber, was produziert wird. Eine Infrastruktur erneuerbarer Energien ist viel rohstoffintensiver als die fossile. Das heißt, sie ist nicht per se ökologisch. Damit müssen wir einen Umgang finden. Wir müssen nicht nur den Energieverbrauch, sondern auch den Materialdurchsatz reduzieren. Und das ist letztlich eine Machtfrage.

Wer soll die stellen? Die Gewerkschaften?

Die Gewerkschaften sind ökologisch weiterhin, das muss man so sagen, unzurechnungsfähig. Sie sind komplett in das kapitalistische Wachstumsmodell integriert. Sie denken, wenn es „unserer“ Industrie gut geht, das heißt, wenn die Unternehmen kräftig exportieren, wenn sie erfolgreich sind auf den Weltmärkten, dann springt auch für uns und alle Lohnabhängigen wieder etwas mehr Lohn raus, oder vielleicht etwas bessere Arbeitsbedingungen. Das ist die Rechnung. Dabei gehen sie davon aus, dass sich eine Art grüne Modernisierung realisieren lässt. Dass sich die Autos grün anstreichen lassen. Dass man das Gas und das Öl grün anstreichen kann und sich die Probleme irgendwie lösen. Das ist ein Trugschluss.

Wer stellt die Machtfrage dann?

Ich habe kein fertiges Rezept. Aber der Schlüssel für mich ist zu versuchen, an der Lebensrealität der Menschen anzusetzen und jegliche Form von Selbstorganisierung zu befördern. Sei das am Arbeitsplatz, im Stadtteil, in der Bildungseinrichtung. Kollektives Handeln kann eine reale Wirkung erzielen. Ich glaube das ist der entscheidendste Lerneffekt – dass man nicht an höhere Mächte appelliert oder an starke Politiker oder an irgendwelche Populisten. Es geht darum, dass die Menschen Selbstvertrauen in die eigene Kraft und die Kraft der gemeinsamen Organisierung erlangen. Das muss natürlich auch eine politische Äußerung in die politische Arena hinein finden. Es braucht große Mobilisierungen und Streiks, nicht nur für mehr Lohn, sondern für bessere Arbeit und andere Produkte.

Angenommen, es entstünde eine neue, ökosozialistische Linke. Was müsste sie konkret tun?

Ein wichtiger Schritt ist die Vergesellschaftung und Entmachtung der großen fossilen Energiekonzerne wie Shell, Exxon Mobile, RWE, E.ON, Wintershall oder in Österreich OMV, und ihres kontrollierten, geplanten Rückbaus. Auch alle mit ihnen verbundene Industrien müssen unter gesellschaftliche Kontrolle gebracht werden. Die Automobilindustrie müsste vielleicht nur noch 10 Prozent der Automobile produzieren, die sie jetzt produziert. Und ansonsten könnte sie andere Dinge produzieren: für den öffentlichen Verkehr, die Eisen- und Straßenbahnen, Minibusse, Ruftaxis. Unter demokratischer gesellschaftlicher Kontrolle könnten wir den Rückbau der Automobilindustrie verbinden mit dem Ausbau der Industrie für öffentlichen Verkehr, also eine ökologisch verträgliche integrierte Mobilitätsindustrie aufbauen. Das alles lässt sich natürlich nicht im nationalen Maßstab verwirklichen, dafür braucht es eine transnationale ökosozialistische Perspektive für den gesamten Kontinent.

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