Die Verständnisfrage: Wenn Männer zu viel Platz brauchen

Warum sitzen Männer so oft breitbeinig in Bus und Bahn?, fragt eine Leserin. Ein ehemaliger Manspreader antwortet.

Eine Frau mit übergeschlagenen Beinen sitzt neben einem raumgreifenden Mann in der UBahn

Typische Szene in der U-Bahn Foto: Sabine Gudath/imago

Liebe Männer, warum sitzt ihr so oft breitbeinig da?, fragt Beatriz S., 44, Lehrkraft aus Bremen.

Moritz Schiefer, 22, Sozialarbeiter aus Wien, antwortet:

Heute weiß ich, dass man das „Manspreading“ nennt und es problematisch ist, wenn cis-Männer ganz selbstverständlich Platz im öffentlichen Raum für sich beanspruchen. Metaphorisch, aber auch physisch. Ich glaube, bei den wenigsten steckt eine Absicht dahinter, man übernimmt das automatisch aus dem Umfeld. Auch ich saß als Jugendlicher manchmal breitbeiniger da.

Gerade in der Pubertät ist man in einem Findungsprozess und schaut auf andere, um seinen eigenen Platz in der Welt zu finden. Rückblickend spielten dabei Männlichkeitsbilder in meiner Jungsgruppe eine große Rolle. Wir wollten uns abgrenzen von Männlichkeiten, die abgewertet wurden – „schwul“ zum Beispiel wurde damals noch als Schimpfwort benutzt. Also reproduzierten wir die Bewegungsmuster von Männern, die als cool und stark galten, auch eine bestimmte Art zu sitzen.

Ich dachte mir also nie aktiv: Ich will diesen Platz einnehmen, der steht mir zu. Aber es hat sich auch nicht falsch angefühlt, ich habe das teilweise gar nicht bemerkt. Mir wurde vermittelt, dass ich das darf und kann. Im Gegensatz dazu wird Mädchen gern gesagt, dass sie sich ordentlich hinsetzen sollen, ihnen wird beigebracht, sich zurückzuhalten und ja nicht zu viel Raum zu beanspruchen. Wir verinnerlichen diese Dinge.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Vor einigen Jahren, ich war um die sechzehn, wurde Manspreading zum Thema im Internet. Ich erinnere mich an Videos, in denen sich weiblich gelesene Personen breitbeinig in die U-Bahn setzen. Sie wollten damit zeigen, wie seltsam es wirkt, wenn nicht cis-Männer das machen. Das war ein ziemliches Aufregerthema. Es wurde ins Lächerliche gezogen, Leute haben gefragt, ob wir keine größeren Probleme haben. Ich selbst hatte damals keine starke Meinung dazu – auch das sagt ja einiges über meine Nichtbetroffenheit aus. Aber etwas ist hängengeblieben.

Nach der Schule begann ich mich mit Feminismus auseinanderzusetzen. Durch mein Studium der Sozialen Arbeit lernte ich, dass es wichtig ist, sich zu fragen, wer in der Gesellschaft wie viel Raum beanspruchen darf. Dass es keine private Frage ist, wie man am liebsten sitzt, sondern politische Strukturen dahinterstecken. Und dass Gender eine Performance ist. Mittlerweile bin ich in der Offenen Jugendarbeit tätig und versuche, mit den Jugendlichen zu reflektieren: Was bedeutet Männlichkeit? Was bedeutet es, stark zu sein?

Wenn ich mich selbst heute noch manchmal dabei ertappe, dass ich ein bisschen breiter sitze, stelle ich die Beine einfach enger zusammen. Argumente, dass Männer physisch nur breitbeinig sitzen können, finde ich unsinnig. Ich kann ohne Probleme die Beine übereinanderschlagen. Aber man muss das wollen und sich fragen: Bin ich bereit, Raum herzugeben, ein toxisches Männlichkeitsbild abzulegen und zurückhaltender aufzutreten?

Häh? Fragen Sie sich manchmal auch, warum andere Leute so sind? Dann schicken Sie Ihre Frage an verstaendnis@taz.de.

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