Wiederholungswahl zum Bundestag: 54 Tage im Winter

Sosehr sich Berlins Landeswahlleiter mühte: Viel Aufmerksamkeit hat die Wiederholungswahl am Sonntag nicht gefunden. Das lag auch an den Parteien.

Großplakatwand ohne Plakat

Wer hier warb – ab Montag eh wieder wurscht Foto: imago / Stefan Zeitz

BERLIN Eigentlich ging es in Berlin ­gerade um ganz andere Dinge: Das Abgeordnetenhaus hatte soeben einen stark um­strittenen Haushalt beschlossen, zwei Wochen später sollte der Regierungschef bekannt geben, dass die Bildungssenatorin seine Freundin ist. In Karlsruhe aber entschied am 19. ­Dezember das Bundesverfassungsgericht, dass die Bundestagswahl 2021 in Berlin zumindest teilweise zu wiederholen sei. Es folgte der kurios-kürzeste und unauffälligste Wahlkampf der jüngeren Berliner Geschichte.

Sollte der später einmal seinen Niederschlag als Buch oder Film finden, könnte nach „3 Tage in Quiberon“ und „5 Tage im Juni“ nun „54 Tage im Winter“ ein passender Titel sein, auch wenn es weder so traurig noch so dramatisch zuging. Laut Gesetz musste Landeswahlleiter Stephan Bröchler für die Wiederholung einen Termin maximal 60 Tage nach dem Urteil suchen – in einem Zeitraum, in den auch die Weihnachts- und die Winterferien fallen. Er entschied sich für den letztmöglichen Sonntag, 54 Tage nach Karlsruhe.

Nach Neujahr durften Plakate hängen, die erste größere Wahlauftaktveranstaltung fand erst am 11. Januar statt. Da versuchte die SPD-Bundesspitze, ihre Berliner Kandidaten und Mitgliedschaft wider den desaströsen Trend zu motivieren. Lagen die Sozialdemokraten bei der in Berlin so vermurksten Wahl im September 2021 noch knapp vor der CDU, sind die Christdemokraten aktuell in den meisten Umfragen doppelt so stark wie sie. Passenderweise begleitete schlimmstes Glatteis die Teilnehmer auf dem Weg ins Kreuzberger Willy-Brandt-Haus. Die selten um eine positive Interpretation verlegene Landes­chefin Franziska Giffey kommentierte: Einmal bei der SPD angekommen, sei man „auf sicherem Boden“.

Außerhalb der Parteizentrale aber ist die Lage für die SPD eher schwieriger geworden. Plakatmäßig machte sie es der Wählerschaft in den folgenden Wochen auch nicht einfach: Während CDU – „Zeig der Ampel das Stopp-Zeichen“ – oder AfD – „Jetzt“ – eingängigst formulieren, setzt die SPD auf gleich drei inhaltsschwere Aussagen pro Plakat.

Sorge um die Wahlbeteiligung

Wahlleiter Bröchler sorgt sich derweil um die Beteiligung: Die lag 2021 in Berlin bei 75 Prozent, knapp unterm Bundesdurchschnitt. Nun wären viele schon froh, wenn bis Sonntagabend 60 Prozent jener rund 550.000 Berliner abstimmen, die diesmal wählen dürfen. Bröchler drängt darauf, ein Zeichen für die Demokratie zu setzen, unterstützt das mit Wahlaufrufen von Prominenten wie Tim Bendzko und Katrin Sass – und veröffentlichte vier Tage vor dem Wahltag noch ein eigenes Video.

Großveranstaltungen waren in den 54 Tagen dagegen rar, die sonst üblichen Spitzenkandidatenrunden gibt es gar nicht. Die Grünen luden in dieser Woche mit ihrer Bundesprominenz ins Kultkino Colosseum, die SPD rundet am Freitag ihren Wahlkampf ab – wieder im Willy-Brandt-Haus. Und die Spitze der CDU wirbt Stunden vorher noch mal am Wittenbergplatz um Stimmen.

Auf den Straßen hält sich die Wahllust in diesen Wintertagen in engen Grenzen. „Wenn jetzt Bundestagswahlen wären, wüsste ich nicht, was ich wählen sollte“, sagt der taz eine Frau, die vor einem Jahr der niedrigeren Miete wegen vom Bötzwoviertel nach Hohenschönhausen umgezogen ist. Nur die AfD komme für sie nicht in Frage. Auf Nachfrage stellt sich heraus: Sie hat gar nicht mitbekommen, dass und wer wieder zu wählen ist.

Ihr Fall zeigt eine Besonderheit der Wahl, die ja eigentlich eine möglichst genaue Wiederholung jener von 2021 sein soll: Im Bötzowkiez wird am Sonntag gewählt, wegen des Umzugs ist die Frau dort aber nicht mehr stimmberechtigt – und am Wahlverlauf in ihrem neuen Kiez hatte das Verfassungsgericht nichts zu bemängeln. Solche Ungerechtigkeiten ließen sich nicht vermeiden, sagt Wahlleiter Bröchler.

„ Ändert ja doch nichts“

Wahlberechtigt ist eine andere Frau, die die taz in Prenzlauer Berg vor zwei einsamen Wahlplakaten von Grünen und Linken befragt. Ob sie ihr Stimmrecht nutzt, lässt sie offen – sie zweifelt am Sinn: „Wie ich es verstanden habe, könnten die Wahlkreise, die wiederholen müssen, am Ergebnis der damaligen Wahl nichts ändern.“

Ein Mann, der seinen Namen mit Wolfgang angibt, will auf jeden Fall wählen gehen – die zehn Minuten Fußweg zum Wahllokal nehme er gerne in Kauf. Auch an wen seine Stimme geht, sagt er offen: „Ich wähle immer Grün.“ Daran ändere für ihn nichts, dass seit 2021 die Zustimmung für die Ampel kontinuierlich gesunken ist. „Ich wähle nicht nach Moden und Stimmungen und auch nicht nach Menschen“, er entscheide nach dem politischen Programm.

Ein paar Schritte weiter äußert sich ein anderer Mann dann wohl ganz nach dem Geschmack von Wahlleiter Stephan Bröchler. „Die ganze Sache ist schlecht gelaufen, aber das war’s jetzt auch“, sagt er. „Jetzt geh ich wieder wählen und fertig. Keine große Aufregung.“

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