Bundesweite Warnstreiks: Wann die Räder stillstehen

Wenn die mächtigen Gewerkschaften im Verkehr streiken, ist das Land blockiert. Beschäftigte in anderen Branchen werden dagegen leider kaum wahrgenommen.

Mehrere Personen mit Fahne bei Protesten.

Warnstreik von Verdi bei den Verkehrsbetrieben in Essen am 2. Februar Foto: Markus Matzel/imago

Auch nach mehr als 160 Jahren scheint die alte Zeile aus Georg Herweghs „Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ nichts von ihrer Aktualität verloren zu haben: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“

Erst zwei mehrtägige Streiks bei der Deutschen Bahn, dann die beiden jeweils eintägigen Arbeitsniederlegungen an den Flughäfen und im ÖPNV: Eindrucksvoll haben GDL und Verdi seit Jahresanfang de­mons­triert, wie machtvoll Gewerkschaften immer noch sein können. Steht Deutschland vor einer Renaissance des Arbeitskampfes?

Tatsache ist, dass sich die Gewerkschaften kämpferischer geben als noch vor ein paar Jahren. Das ist allerdings auch dringend erforderlich. Angesichts der stark gestiegenen Lebenshaltungskosten ist der Leidensdruck vieler Beschäftigter hoch, während die Bereitschaft der Arbeitgeberseite, ihnen wenigstens Reallohnverluste zu ersparen, gering ist. Hinzu kommt vielfach noch die Ignoranz der Arbeitgeber gegenüber als unzumutbar empfundenen Arbeitsbedingungen. Das lässt zumindest Warnstreiks in vielen Fällen unvermeidbar erscheinen.

Das ist das eine. Das andere ist, dass die Macht der Gewerkschaften in den vergangenen Jahren nicht größer, sondern kleiner geworden ist. Auch wenn sich der DGB vor allem dank der Verdi-Zuwächse erstmals 2023 wieder über ein kleines Mitgliederplus freuen konnte, sollte das nicht vernebeln, dass insgesamt die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gesunken ist. Und das bei insgesamt steigenden Beschäftigtenzahlen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Zudem arbeiten nur noch 51 Prozent der Beschäftigten in einem tarifgebundenen Unternehmen. So täuschen öffentlichkeitswirksame Streiks wie die im Verkehrssektor darüber hinweg, dass mehr als 80 Prozent der Beschäftigten noch nie in ihrem Berufsleben an einem Streik teilgenommen haben.

Ob in der Druck- oder der chemischen Industrie, im Hotel- und Gaststättengewerbe, in der Systemgastronomie oder im Dachdeckerhandwerk: In diesem Jahr stehen unzählige Tarifauseinandersetzungen an. Von Ausnahmen wie der Metall- und Elektroindustrie oder Volkswagen abgesehen, dürften nur wenige von einer breiten Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen werden – selbst wenn es hier und da zu Warnstreiks kommen sollte.

Ein Beispiel dafür ist die festgefahrene Tarifrunde im Einzelhandel, wo es seit Mitte vergangenen Jahres keinerlei Bewegung gibt. Die Arbeitgeber haben einfach auf stur geschaltet, weil Verdi zwar immer wieder zu Warnstreiks aufruft, der Gewerkschaft jedoch die Macht fehlt, die Supermärkte dichtzumachen. Bei zu schwachen Armen stehen die Räder nicht still. Das gilt leider für viele Branchen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.