Musik mit Seele

Der Musikpoet gilt als die Stimme Südafrikas. Bis zum Ende der Apartheid sang und spielte Vusi Mahlasela im Verborgenen. Danach begann seine internationale Karriere auf den großen Bühnen. Zum Kontext-Jubiläum kommt Vusi Mahlasela am Donnerstag, 10. Mai, um 19.30 Uhr ins Theaterhaus Stuttgart. Karten zu 15 Euro gibt es ab sofort im Vorverkauf. Ein Besuch in seinem Township Mamelodi

von Meinrad Heck

Hast du die Gesichter gesehen?“ – „Welche Gesichter?“ – „Na, die im Publikum“ – „Ja klar, aber ich weiß nicht, was du meinst.“– „Da waren 30.000 Menschen, und du siehst kein einziges weißes Gesicht. Wir haben keine Rassentrennung mehr, aber es ist noch nicht vorbei.“ Morgens um drei stellt Vusi Mahlasela seinen Gitarrenkoffer in die Ecke und sinkt in einen Sessel seines Backsteinhäuschens im Township Mamelodi. Er hat eine schweißtreibende Performance hinter sich.

Einmal im Jahr treffen sich die großen Namen der südafrikanischen Musikszene in Mamelodi zum „South African Heroes Concert“. Ein Township-Spektakel, das manche Weiße immer noch ängstigt. Dabei ist das mit Abstand bedrohlichste Lebewesen im Wohnviertel dieses Musikpoeten schneeweiß, läuft auf vier kurzen Beinen, hört folgerichtig auf den Namen Snowy und knurrt mit aller Leidenschaft stundenlang jeden fremden Zweibeiner an, bis ihn Vusis Tochter Mounjou zurückpfeift.

Mamelodi liegt bei Pretoria. Das Township steht in kaum einem Reiseführer und ist dennoch die Seele der südafrikanischen Musik. Mamelodi kommt von „Mama of Melodies“, weil es hier an fast jeder Ecke klingt und singt. Reverend Stemela klärt einen Besucher auf: „Weißt du“, sagt er, „ihr in Europa habt in euren Kirchen wunderschöne Lieder. Aber ihr singt sie aus dem Gesangbuch. schau nach Amerika, wohin sie uns einst als Sklaven verschleppt haben. Da kommen die Gospelsongs aus dem Bauch. Bei uns in Afrika kommt die Musik aus der Seele.“

Abraham etwa stellt im Osten Mamelodis am Wochenende einen leeren Bierkasten vor sein Haus, und dann wissen die Nachbarn, jetzt ist sein Jazzclub wieder offen. Dann nimmt er einen tiefen Schluck, greift sein Saxofon und spielt Coltrane. „Bei uns“, sagt Vusi Mahlasela, „stirbt jeder irgendwann, aber hier stirbst du ganz bestimmt nicht an Einsamkeit.“ Im ganzen Land nennen sie ihn nur „The Voice“, die Stimme. Eine Stimme, auf die Hunderttausende gehört hatten, während der Apartheid und danach. Zuerst vom Regime gehetzt, danach als Versöhner geschätzt. In den Zeiten des Freiheitskampfes hatten ihn die Sicherheitspolizisten meist vorsorglich in den Knast gesteckt. Sie waren nicht zimperlich mit ihm umgegangen. Sie kamen an den Gedenktagen der blutigen Massaker von Sharpeville oder Soweto. Weil das Regime Angst hatte und Massenkundgebungen fürchtete. Angst nicht etwa vor Vusi Mahlaselas Fäusten, sondern vor seiner Gitarre und vor dem, was er zu singen hatte. „Schau hin, diese hochschwangere Frau, siehst du, wie sie über den Stacheldraht springt, und nachts schenkt sie einem gesunden Kind das Leben.“

Das hatte sie stolz gemacht in den Gettos. Manchmal hatte Großmutter Ida den verhassten Polizisten mit einem Topf kochenden Wassers gedroht und sie zum Teufel gejagt. Oder Antje Sharifa, die Großmutter seines besten Freundes Lance, hatte die beiden in ihrem Hinterhof versteckt. Manchmal hatte sie ihnen zugeflüstert: „Haut ab auf die Müllhalde.“ Da suchten sie meistens nicht. Antja Sharifa schlägt immer noch die Hände vors Gesicht, wenn sie daran denkt.

Heute spielt Vusi Mahlasela auf den großen Festivals rund um den Globus. Rio, New York, London, Singapur. Er wird von Präsidenten eingeladen, ist eng befreundet mit der Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer. Sie hatte ihm einst seine ersten Gitarrenstunden bezahlt, weil sie ihn für einen nationalen Schatz hält. Er sagt: „Du musst verzeihen können, sonst bleibst du ein Leben lang Gefangener deiner selbst.“ Er wurde mit Preisen überhäuft, er könnte längst in einer mondänen Villa in einer dieser vornehmen Vorstädte wohnen, statt einen Großteil seiner Gagen an Stiftungen zu verschenken. „No, no, no, hier sind meine Leute, hier in Mamelodi. Das ist meine Inspiration.“ Es ist spät geworden. „Legt euch schlafen“, sagt er, „da ist mein Bett, ich nehm die Luftmatratze.“

Autor Meinrad Heck hat den Musiker viele Male in seinem Heimattownship Mamelodi bei Pretoria besucht. Der Text stammt aus Hecks Bildband „Südafrika – Wir weinen nicht, wir singen“, der 2010 im artur-Verlag erschienen ist.

Vusi Mahlasela kommt am 10. Mai um 19.30 Uhr zum Kontext-Jubiläumskonzert ins Theaterhaus Stuttgart. Karten gibt es unter www.theaterhaus.com. Ein erstes Gastspiel anlässlich der Verleihung des Stuttgarter Friedenspreises an die kenianische Menschenrechtsaktivistin Fatuma Abdulkadir Adan (auf Vorschlag der Kontext:Wochenzeitung) scheiterte vergangenen November am dicht gedrängten Tourneeplan des Südafrikaners. Sein Versprechen, einen späteren Termin zu finden, hat er jetzt eingelöst.