Nachruf auf Shoah-Überlebende Sara Rus: Verfolgt von zwei Diktaturen

Die Nazis steckten die Jüdin Sara Rus ins KZ, die argentinischen Militärs ließen ihren Sohn verschwinden. Jetzt ist Sara Rus mit 96 Jahren gestorben.

Porträt der Holocaustüberlebenden Sara Rus.

Holocaustüberlebende Sara Rus 2010 in Buenos Aires Foto: Guillermo Ronis/dpa/picture alliance

„Wenn ich meine Geschichte erzähle, die von meinen Erfahrungen als Kind in Auschwitz und von Daniels Verschwinden unter der argentinischen Militärdiktatur durchzogen ist, fühle ich keinen Schmerz, sondern eine Befreiung … Ich will und muss es erzählen, denn es gibt nur noch wenige Überlebende. Ich kämpfe dafür, nicht zu vergessen. Ich kämpfe für die Erinnerung“, sagte Sara Rus vor zwei Jahren. Am Mittwoch ist sie in Buenos Aires gestorben, einen Tag vor ihrem 97. Geburtstag.

Sara Rus wurde am 25. Januar 1927 in der polnischen Industriestadt Łódź geboren. Im Alter von 12 Jahren wurde sie von den Nazis mit ihrer Familie ins Ghetto von Łódź verbracht. Im Juli 1944 wurden sie ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert und schließlich kam sie ins KZ Mauthausen, wo sie von den alliierten Truppen befreit wurde. Nach Kriegsende emigrierten sie und ihr Ehemann Bernardo nach Argentinien. Die beiden hatten sich im KZ kennengelernt. In der neuen Heimat kamen Daniel und Natalia zur Welt.

„Als es 1976 hieß, es käme ein Putsch, hatten wir schon eine Vorahnung“, erzählte Sara Rus bei einem Gespräch anlässlich des 30. Jahrestags des Putsches. Die Leute begannen darüber zu sprechen, dass Menschen, vor allem junge Menschen, verschwanden, so Rus. „1977 merkten wir, dass der Freundeskreis meines Sohnes in Bewegung geriet und plötzlich verschwand ein Freund.“ Am 15. Juli 1977 verschwand ihr Sohn Daniel im Alter von 28 Jahren. Seither fehlt von ihm jede Spur.

Keine Hilfe von jüdischen Organisationen und Israel

Daniel Rus arbeitete als Physiker in der Nationalen Atomenergiekommission CNEA und wurde zusammen mit 17 anderen Physikern verschleppt. „Warum unser Sohn?“, fragten sie sich. „Wir kennen keinen Grund.“ Überall wandte sie sich hin. „Aber weder von den jüdischen Organisationen noch der israelischen Botschaft erhielten wir Antworten.“ Und sie kritisierte die DAIA, die politische Organisation der jüdischen Gemeinschaft in Argentinien: „Die DAIA tat nicht viel für uns. Alle hatten zu dieser Zeit Angst. Die Panik war so groß, dass jeder sich nur um sich selbst kümmerte.“

Die jüdische Gemeinde in Argentinien zählte in den 1970er Jahren rund 250.000 Menschen. Dennoch machten sie weniger als ein Prozent der argentinischen Bevölkerung aus. Unter den während der Militärdiktatur Verschleppten/Verschwundenen ist ihr Anteil mit über 10 Prozent deutlich höher. „Wenn sie folterten, behandelten sie die Juden schlimmer. Die überlebenden Juden berichteten von Hakenkreuzen an den Wänden“, so Sara Rus. Eine Gedenktafel im Innenhof der jüdischen Hilfsorganisation AMIA erinnert an die jüdischen Opfer der Diktatur von 1976 bis 1983.

Auf der Suche nach ihrem Sohn traf sie andere Mütter, die ebenfalls ihre verschwundenen Kinder suchten. „Ich sagte ihnen: ‚Ich bleibe bei euch. Was immer ihr tut, werde ich auch tun.‘“ Schon 1977 hatte sie sich den Madres de Plaza de Mayo angeschlossen. Dass ihre Erinnerung präsent ist, bewies am Mittwoch Taty Almeida von den Madres, als sie auf der Bühne vor dem Kongressgebäude beim Generalstreik über den Tod von Sara Rus sprach. Was folgte, war ein stiller Moment des Gedenkens.

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