Politologe über Migrationspolitik: „Das hilft der AfD“

Migration vor allem als Problem zu diskutieren, legitimiere die AfD, sagt der Politologe Werner Krause. Wäh­le­r*in­nen bekomme man so nicht zurück.

Eine Portestmasse steht hinter einem Absperrgitter. In der vordersten Reihe halten Menschen die Buichstaben B-R-A-N-D-M-A-U-E-R in die Kamera.

Berliner Brandmauer: Die Anti-Rechts-Proteste signalisieren Parteien, jede Kooperation mit der AfD klar auszuschließen Foto: Stefan Boness/Ipon

taz: Herr Krause, die AfD ist im Umfragehoch. Gleichzeitig gehen Hunderttausende gegen Rechts auf die Straße. Wird das den Höhenflug der Partei bremsen?

Werner Krause: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Es gibt Studien etwa aus Italien, Frankreich oder Griechenland, die gezeigt haben: Proteste können den Stimmenanteil von Rechtsaußenparteien durchaus negativ beeinflussen. Untersucht wurden da aber meist Proteste unmittelbar vor Wahlen – da sind wir ja noch nicht.

Es könnte also völlig wirkungslos sein?

Erst mal sind diese Proteste ein wichtiges Signal, das zeigt: Sehr viele Bür­ge­r*in­nen nehmen nicht nur die Radikalität dieser Partei wahr, sondern sind bereit, aktiv dagegen zu demonstrieren. Für drei Gruppen könnte das bei einer Wahl durchaus relevant sein: Für jene, die erwägen, zum ersten Mal AfD zu wählen und die nun sehen: Große Teile der Gesellschaft sind mit dieser Partei nicht einverstanden. Dann für Menschen, denen bisher vielleicht das Interesse gefehlt hat, sich mit der AfD zu beschäftigen, und die nun lieber ihre Stimme einer anderen Partei geben, statt gar nicht zur Wahl zu gehen. Und drittens die Mitte-Rechts-Parteien: Die Protestierenden signalisieren ihnen gerade sehr klar, dass die Brandmauer für sie stehen muss.

Was hieße das übersetzt in konkrete politische Handlungen?

Das hieße für die Parteien der politischen Mitte einerseits, jede Kooperation mit der AfD klar auszuschließen. Und andererseits, weniger häufig ihre Themen zu bedienen, sondern politische Debatten zu führen, die tatsächlich zu besseren Lebensbedingungen für die Menschen führen würden. Also etwa über eine bessere Mietenpolitik oder das Bildungssystem, statt sich in der Migrationsfrage von rechts treiben zu lassen.

Viele argumentieren, die AfD sei überhaupt nur so erfolgreich, weil Deutschland die Fluchtmigration nicht unter Kontrolle habe.

Was Rechtsaußenparteien vor allem hilft, sind mediale Aufmerksamkeit und Framing. Für viele von ihnen ist Migration ein zentrales Thema, das sie wie einen Trichter nutzen: Jedes andere gesellschaftliche Thema muss diesen Trichter passieren, sei es Wohnen, Bildung oder der Arbeitsmarkt. Je präsenter das Thema im Diskurs ist, desto besser für Parteien wie die AfD. Die Ampel spürt den Druck und will mit dem Thema Handlungsfähigkeit signalisieren. Stünde es nicht auf der Tagesordnung, würde der AfD ein Stück weit die Existenzgrundlage wegbrechen.

35 Jahre alt, ist Politikwissenschaftler an der Uni Potsdam und Mitautor der 2022 erschienen Studie „Does accommodation work? Mainstream party strategies and the success of radical right parties“.

Aber die anderen Parteien können doch nicht aufhören, über Migrationspolitik zu sprechen, nur weil das ein Lieblingsthema der AfD ist.

Natürlich nicht. Die Frage ist: Welches Maß und welches Narrativ wird gewählt? Im vergangenen Jahr wurde von der Union, aber auch von Ampel-Politiker*innen häufig das Narrativ aufgegriffen, das auch die AfD bedient: Dass das Mittel zur Lösung grundlegender gesellschaftlicher Probleme weniger Migration wäre. Weniger gesprochen wurde hingegen darüber, was es denn bräuchte, um die Herausforderungen zu meistern. Über Integration, über Problemlösungen für den Bildungs- oder Wohnungsbereich.

Die Ampel hat zuletzt die Situation Geflüchteter sehr verschärft – auch mit dem Argument, man verliere sonst Wäh­le­r*in­nen an die AfD.

Das klingt ja auch erst mal ganz rational: Wenn Rechtsaußenparteien mehr Restriktion fordern und außerdem immer mehr Zulauf haben, müssten Parteien in der Mitte diese Wäh­le­r*in­nen doch zurückgewinnen, wenn sie selbst mehr Restriktion fordern oder umsetzen. Wir haben das in unserer Studie oft beobachtet.

Sie haben anhand von 12 westeuropäischen Ländern untersucht, ob Wäh­le­r*in­nen rechten Parteien wieder den Rücken kehren, wenn Mitte-Parteien deren Kurs übernehmen. Was war das Ergebnis?

Der erhoffte Erfolg stellt sich nicht ein. Entweder passiert gar nichts – oder der Zulauf nach Rechtsaußen wird sogar noch größer. Die Debatte in Deutschland zeigt das ja deutlich: Weder Schlagworte des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz wie „kleine Paschas“ oder „Sozialtourismus“ noch die Abschiebeforderungen der Bundesregierung haben dazu geführt, dass die Zustimmung zur AfD gesunken wäre. Eher im Gegenteil.

Die Union hat bei der Landtagswahl in Hessen im vergangenen Jahr ein recht erfolgreiches Ergebnis eingefahren, und im Saale-Orla-Kreis hat der CDU-Kandidat mit seinen harschen Asylforderungen gerade gegen den AfD-Kandidaten gewonnen.

Die AfD war aber bei beiden Wahlen ebenfalls sehr erfolgreich. In Hessen hat sie über 18 Prozent bekommen, im Saale-Orla-Kreis hat sie im zweiten Wahlgang in absoluten Zahlen ebenfalls keine Stimmen verloren, sondern noch dazugewonnen. Viele dürften den CDU-Kandidaten nicht wegen, sondern trotz seiner Positionen in der Asylpolitik gewählt haben. Das kennen wir aus anderen Stichwahlen, etwa um die französische Präsidentschaft: Da haben auch sehr viele Progressive Macron gewählt, um die rechtsextreme Le Pen zu verhindern. Aber die Rechtsverschiebung im Diskurs hat die AfD kein bisschen geschwächt.

Wieso ist das so?

Weil die Mitte-Parteien damit die von rechts gesetzten Narrative bedienen und letztlich auch legitimieren. Schaut her, wir haben es immer gesagt, und jetzt haben die anderen es auch erkannt. Es gibt dieses bekannte Zitat des Front-National-Gründers Jean-Marie Le Pen: Die Leute wählen lieber das Original als die Kopie. Unsere Forschungsergebnisse unterstützen diese These leider.

Sind denn die Wäh­le­r*in­nen in Deutschland so rechts, dass sie sich zwischen einem Rechtsaußen-Original und einer Kopie entscheiden müssen?

Ein Rechtsruck im Diskurs muss nicht unbedingt auch einen Rechtsruck in der Bevölkerung bedeuten. Auch dafür sind die aktuellen Anti-AfD-Proteste ein gutes Beispiel. Die Forschung zeigt, dass vor allem bestimmte Stimmen lauter geworden sind. Wir wissen, dass Teile der Bevölkerung schon in den 1990er und 2000er Jahren migrations- und flüchtlingsfeindliche Einstellungen vertreten haben. Die haben mitunter aber trotzdem nicht Rechtsaußen gewählt, weil andere Themen für sie dringender waren, etwa die soziale Frage. Gerade aber diskutieren wir wie gesagt viele dieser Fragen vor allem durch die Migrationsbrille – und das hilft der AfD.

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