Neustart der Linken: Was bleibt, ist der Streit

Die Linke-Gruppe im Bundestag hat ihre neue Doppelspitze gewählt. Auch nach dem Abgang von Sahra Wagenknecht sind die Gräben in der Partei tief.

Heidi Reichinnek, Martin Schirdewan, Janine Wissler und Sören Pellmann auf einer Pressekonferenz

Von links nach rechts: Heidi Reichinnek, Martin Schirdewan, Janine Wissler und Sören Pellmann auf einer Pressekonferenz am Montag Foto: Carsten Koall/dpa

BERLIN taz | Die neuen Vorsitzenden geben sich selbstbewusst. „Wir ziehen an einem Strang“, betont Heidi Reichinnek am Dienstag vor Journalisten im Gebäude des Neuen Deutschlands in Berlin, und Sören Pellmann zählt die Themen auf, mit denen seine Partei Profil zeigen will: Rente, sachgrundlose Befristungen, der allgemeine Rechtsruck. Bei den drei ostdeutschen Landtagswahlen in diesem Jahr wird sich die Linke damit gegen das „Konkurrenzprojekt“ (Pellmann) ihrer ehemaligen Parteifreundin Sahra Wagenknecht behaupten müssen, die auf ähnliche Themen setzt. „Wir sind die Stimme des Ostens und bleiben das auch“, markiert Heidi Reichinnek den Anspruch. „Der Osten ist die Herzkammer der Partei“, ergänzt Pellmann.

Sören Pellmann und Heidi Reichinnek wurden am späten Montagabend zu den neuen Vorsitzenden der Linken-Abgeordnetengruppe im Bundestag gewählt. Bei einer Klausurtagung in Berlin setzten sich beide sehr knapp in zwei Kampfabstimmungen durch. Dass das kein Zeichen der Einigkeit ist, darauf gehen sie nur am Rande ein. „Wir müssen weiter daran arbeiten, dass diese Gruppe geeint bleibt“, sagt Pellmann. Es sei nun ihre „Aufgabe, die Hand auszustrecken“, sagt Heidi Reichinnek.

Als Doppelspitze lösen die beiden Dietmar Bartsch als Linken-Chef im Bundestag ab. Der langjährige Fraktionschef zieht sich nach Jahrzehnten in hohen Parteiämtern – von der PDS bis zur Linkspartei – aus der ersten Reihe zurück. Reichinnek und Pellmann beschwören den Zusammenhalt. „Wir kriegen es nur gemeinsam hin“, sagte Pellmann. Er wolle Brücken bauen.

Das wird nötig sein. Denn die knappe Wahl zeigt, dass die Gräben in der Fraktion auch nach dem Abgang der Gruppe um Sahra Wagenknecht weiterhin tief sind und das Misstrauen gegenüber der Parteispitze um Martin Schirdewan und Janine Wissler fortbesteht. Die beiden Parteivorsitzenden hatten auf eine einvernehmliche Lösung mit breiten Mehrheiten gehofft. Um die Bartsch-Nachfolge hatten sich auch die beiden Linken-Abgeordneten Clara Bünger und Ates Gürpinar beworben – beides waren ihre Favoriten. Gürpinar, Parteivize und seit Januar kommissarischer Bundesgeschäftsführer, zog sich im Laufe des Verfahrens am Montag zurück. Bünger unterlag in zwei Wahlgängen sowohl Reichinnek als auch Pellmann mit jeweils 13 zu 14 Stimmen. Petra Pau nahm wegen einer Verletzung nicht an der Abstimmung teil. Zum Parlamentarischen Geschäftsführer wurde der Brandenburger Abgeordnete Christian Görke gewählt. Er war der einzige Kandidat und erhielt dennoch nur 16 Stimmen – bei 11 Gegenstimmen.

Alte Kon­ku­ren­t*in­nen

„Was wir heute hier hatten, war eine ehrliche Debatte“, sagte Schirdewan anschließend nüchtern. Nun wolle man sich auf das gemeinsame Ziel konzentrieren, nach der Bundestagswahl 2025 wieder ins Parlament einzuziehen. Wissler äußerte sich ähnlich. Reichinnek und Pellmann waren bei der Wahl um den Parteivorsitz 2022 gemeinsam gegen Wissler und Schirdewan angetreten und unterlegen. Dass sie jetzt wieder im Duo für den Vorsitz im Bundestag antraten, konnte man als Signal verstehen. Wissler selbst trat nicht als Kandidatin an – wohl aus Furcht, keine Mehrheit zu erhalten. Auch das lässt tief blicken.

Seit der Abspaltung der Wagenknecht-Truppe sucht die Linkspartei nach einem Neuanfang zwischen den parteiinternen Strömungen. Deren Zwist hatte Partei wie Bundestagsfraktion lange gelähmt. In Umfragen steht die Linke bundesweit momentan nur bei 3 bis 4 Prozent, bei den letzten Landtagswahlen in Bayern und Hessen scheiterte sie an der 5-Prozent-Hürde. Im Bundestag verfügt die Linke jetzt noch über 28 Abgeordnete, darunter Gregor Gysi und Janine Wissler. Zehn ehemalige Mitglieder haben sich in der Wagenknecht-Gruppe zusammengeschlossen.

Die Abstimmung hat noch einmal die Kluft zwischen Parteispitze und Teilen der Bundestagsgruppe offenbart. Dabei haben alle vier Kan­di­da­t*in­nen eines gemein: Sie sind außerhalb der Partei kaum bekannt. Sören Pellmann konnte zwar 2021 in Leipzig wieder ein Direktmandat ergattern – neben ihm gelang das nur Gregor Gysi und Gesine Lötzsch. Ihnen haben es die Linke und Sahra Wagenknecht zu verdanken, dass sie überhaupt im Bundestag sitzen, denn insgesamt errang die Linke nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen. Nur aufgrund der drei Direktmandate konnte sie 2021 in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen, bevor sich die Fraktion im Dezember 2023 auflöste und in zwei Gruppen aufspaltete.

Pellmann ist nicht prominent, gehört aber zum Partei-Urgestein: Schon sein Vater – der Historiker Dietmar Pellmann – saß einst für die PDS im Sächsischen Landtag. Der Sohn studierte Jura und Behindertenpädagogik. Bevor er 2017 in den Bundestag einzog, war er Grundschullehrer, in der Linksfraktion zuletzt deren Ostbeauftragter. Der 47-jährige Pellmann gibt sich bürgernah und verschenkt an Parteiständen gerne mal Tomatenpflanzen oder Marmelade mit Früchten aus seinem Garten.

Reichinnek gilt als Nachwuchshoffnung: die 35-Jährige stammt ursprünglich aus Sachsen-Anhalt, war aber jüngste Landesvorsitzende der Partei in Niedersachsen, bevor sie 2021 über die niedersächsische Landesliste in den Bundestag einzog. Sie hat Nahostwissenschaften studiert und in einer Einrichtung für unbegleitete minderjährige Geflüchtete Deutsch unterrichtet. Im Bundestag kümmerte sie sich um die Kinder-, Jugend-, Familien- und Frauenpolitik.

Wagenknecht möchte nichts kommentieren

Nach der Wahl von Reichinnek und Pellmann brach auf dem Nachrichtendienst X (ehemals Twitter) Streit aus. Obwohl beide Vorsitzenden aus dem Osten des Landes stammen und als Pragmatiker gelten, lässt sich der Konflikt weder auf Ost gegen West noch auf „Bewegungslinke“ versus „Realpolitiker“ reduzieren. Vielmehr zeigten sich viele enttäuscht darüber, dass kein Konsens erzielt werden konnte. Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner bekannte: „Auch ich fühle mich durch die neuen Gruppenvorsitzenden nicht repräsentiert“, dabei sei sie keine „Bewegungslinke“. Die Leipziger Landtagsabgeordnete Jule Nagel schrieb: „Ich finde, dass da vor allem Skills & Empathie fehlen für die Neujustierung der Partei, die in vollem Gange ist.“ Enttäuscht zeigte sich auch die unterlegene Abgeordnete Clara Bünger. „Dies wäre der Moment gewesen, Einigkeit herzustellen. Wir hatten hier die historische Chance, genau das zu tun“, sagte sie der taz. „Das Wahlergebnis ist jetzt sehr eindeutig und spricht leider für sich. Ich hätte mir das anders gewünscht.“ Sie werde als Juristin weiter Fachpolitik betreiben, insbesondere im Bereich Asyl.

Am Nachmittag gab Sahra Wagenknecht ihr erstes Pressestatement ab, seit sie im Bundestag eine eigene Gruppe bildet. Sie kündigte an, im Bundestag einen Antrag einzubringen, den Mindestlohn auf 14 Euro zu erhöhen, und forderte SPD und Grüne dazu auf, sie zu unterstützen. In einem Rundumschlag forderte sie ein Wirtschaftsprogramm, „um zu verhindern, dass Deutschland absteigt“, sprach sich gegen Taurus-Lieferungen an die Ukraine und für die sofortige Freilassung von Julian Assange aus. Auf ihre ehemalige Partei ging sie auch auf Nachfrage nicht ein. „Die Linke muss ihre Probleme selbst lösen“, sagte sie. „Ich möchte das gar nicht kommentieren.“

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