Degrowth-Ökonom über Transformation: „Auf Welt ohne Wachstum einstellen“

Deutschland braucht ein anderes Wohlstandsdenken, fordert Niko Paech. Die Industrie einfach auf erneuerbare Energien umzustellen sei keine Lösung.

Eine viel befahrene Autobahn nahe Bad Wünnenberg mit vielen Windrädern drumherum

Viel Wind um Wachstum: Für seine grüne Transformation benötigt Deutschland, wie hier in Bad Wünnenberg, viele Windräder Foto: Jochen Tack/imago

taz: Herr Paech, die Bundesregierung hat im Jahreswirtschaftsbericht ihre Prognose gesenkt. Demnach wird die deutsche Wirtschaft dieses Jahr nur um 0,2 Prozent wachsen. Wie schlecht ist die Lage?

Niko Paech: Will man das aktuelle Wohlstandsmodell mit der Brechstange retten, dann ist es natürlich eine schlechte Nachricht, wenn die Wirtschaft nicht so schnell wächst.

Das klingt so, als ob Sie eine Konjunkturflaute für weniger schlimm halten als die meisten Wirtschaftskommentatoren.

Wenn die Erde für künftige Generationen erhalten werden soll, ist Wachstum keine Option, zumal es der Natur den letzten Rest gibt. Die Gesellschaft sollte sich schrittweise auf eine Welt ohne Wachstum einstellen.

Paech, 63, lehrt und forscht als Professor für Plurale Ökonomik an der Universität Siegen. Er hat in Deutschland den Begriff der „Postwachstumsökonomie“ geprägt.

Forderungen nach Steuersenkungen für die Wirtschaft, wie sie zum Beispiel Finanzminister Christian Lindner mit der Abschaffung des Soli ins Spiel gebracht hat, lehnen Sie dann vermutlich auch ab?

Unternehmen haben jahrzehntelang nicht für ihren ökologischen Verbrauch zahlen müssen. Sie nun obendrein mit Steuervergünstigungen zu pampern ist nicht zu rechtfertigen. Stattdessen sollten Maßnahmen ergriffen werden, die eine Verkleinerung des Industrie- und Verkehrsbereichs sozial abfedern.

Warum ist Wirtschaftswachstum Ihrer Meinung nach schlecht?

Alle Versuche, Wachstum von ökologischen Schäden abzukoppeln, sind nicht nur gescheitert, sondern schlagen inzwischen sogar ins Gegenteil um. Sich um eine Reduktionsstrategie herumdrücken zu wollen entspricht einer Konkursverschleppung.

In der aktuellen Diskussion geht es auch um die Frage, wie die sozial-ökologische Transformation gelingen kann. Sind Sie auch gegen Maßnahmen, die Unternehmen befähigen, klimaneutral zu produzieren?

Natürlich nicht, aber es geht nicht allein um Klimaziele, sondern auch um Artenvielfalt, Naturgüter und Flächenverbrauch. Deshalb reicht es nicht aus, die Industrie einfach nur auf Erneuerbare umzustellen, sie muss auch graduell zurückgebaut werden.

Ist es nicht besser, wenn ThyssenKrupp mit grünem Wasserstoff statt mit fossilen Energieträgern Stahl produziert?

Wo die Flächen und der Wind herkommen sollen, um das aktuelle Industriesystem auf Wasserstoff umzustellen, kann niemand beantworten. Deshalb läuft diese Strategie auf eine Brechstange hinaus, mit der ­gegen den Rest an Natur und Landschaften angegangen wird, gemäß dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“. Überdies soll der motorisierte Individualverkehr, der Güterverkehr, die Beheizung der Häuser elektrifiziert werden. Daneben mausert sich die Digitalisierung ungebremst zu einem der größten Stromverbraucher.

Und ein Rückbau der Industrie wäre Ihrer Meinung nach die Lösung?

Zunächst gilt es, den Lebensstil unabhängiger von Industrieproduktion werden zu lassen, nämlich durch eine partielle Selbstversorgung in Form von Reparatur, Instandhaltung, achtsame Verwendung, Gemeinschaftsnutzung und, wo immer möglich, durch eine Mitwirkung an der Produktion wie bei Solawis. Das spart nicht nur Energie, Ressourcen und Abfall, sondern hat den indirekten Effekt, Verkehre zu reduzieren. Eine Verdopplung der Nutzungsdauer halbiert den Güterverkehr. Derzeit scheinen die Straßen fest in der Hand von DHL, GLS, DPD, Amazon und Hermes zu sein. Klimaschutz geht anders.

Eine Verkleinerung der Industrie würde aber gutbezahlte Jobs kosten.

Der Bedarf an Einkommen würde sinken, wenn die Versorgung weniger von Geld als eigenen und in Netzwerken organisierten Leistungen abhängt. Folglich müsste weniger gearbeitet werden, sodass Vollbeschäftigung auf Basis verkürzter Arbeitszeiten auch in einer kleineren Ökonomie möglich wäre. Es kommt also zuvorderst auf die Nachfrageseite an.

Können Sie das weiter präzisieren?

Eine Verringerung der Reiseaktivitäten und des Konsums hat nicht nur den Zweck, die ökologische Belastung zu mildern, sondern schlicht weniger Geld zu benötigen. Die Pointe besteht darin, nicht das Wachstum von Ressourcen zu entkoppeln, was schlicht unmöglich ist, sondern ein gutes Leben vom Geld, folglich vom Wachstum zu entkoppeln.

Reiche haben einen größeren ökologischen Fußabdruck als arme Haushalte. Geht es da nicht auch um eine andere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums?

Über eine Verkürzung und Umverteilung der Arbeitszeit kann vieles aufgefangen werden. Gleichzeitig wäre eine Vermögensteuer ratsam und eine konsequente Einschränkung jener Aktivitäten, die ökologisch ruinös sind und vor allem von höheren Einkommensklassen praktiziert werden.

Welche Maßnahmen könnten schon heute umgesetzt werden?

Sinnvoll wäre ein Förderprogramm für Architekten, die, statt neue Häuser zu bauen, die Haushalte nach Energieeinsparpotenzialen durchkämmen. Weiterhin bräuchte es in jeder Kommune ein Postwachstumsmanagement, um Lernorte, Subsistenzprojekte und vor allem Ressourcenzentren zu unterstützen. Dort können Menschen Versorgungspraktiken erproben, die sie mit weniger Geld auskommen lassen.

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