Salome am Abendbrottisch

Viel Blut und schaurigschöne Regieeinfälle auf den letzten Drücker. Martin Fendrich inszeniert am Schauspielhaus Bochum mit eigener Fassung Oscar Wildes Einakter, der äußerst selten gespielt wird

VON PETER ORTMANN

Klatsch. Spritz. Blut. Der junge Syrer ist tot. Hat sich wegen verschmähter Liebe umgebracht. Prinzessin Salome findet ihr erstes Opfer am schneeweiß gedeckten Abendbrottisch des Herodes. „Was soll dieser Tote hier?“ Der Tetrarch von Judäa ist verwirrt. Hat vor schwermütigen Gedanken an die Stieftochter nichts mitbekommen. Der junge Syrer sitzt immer noch blutverschmiert am Tisch. „Wie schön die Prinzessin Salome ist heute nacht“, sagt er. Der Hauptmann und Königssohn, dessen Mutter Sklavin im Reich Herodes werden musste, wird sich weiter ins Tischgespräch einmischen. So einfach wegsterben ist nicht in Martin Fendrichs „Salome“ im kleinen Bochumer Untertage-Theater. Bei ihm ist jede Inszenierung ein Überraschungsan–griff in ausgefallenen Bildern.

Leider durfte der junge Regisseur nur kurz vorm Intendantenwechsel noch einmal ran. 90 Minuten Oscar Wilde, und das mit hochinteressanter eigener Fassung. Fendrich bekam Unterstützung von blendenden Schauspielern für sein “Actors Studio“, leistete sich ungewöhnliches Lichtdesign und die hyperästhetische Bühne versinkt am Ende schlüssig in ein granatapfel-blutiges Chaos. Schließlich wollte Salome für ein erotisches Tänzchen vor Stiefvater Herodes den Kopf des Propheten Jochanaan auf silbernem Tablett – weil der zwar taufen, aber sie nicht küssen wollte. Den biblischen Stoff machte Wilde auf dem Höhepunkt seines Ruhms zu einer „schrecklichen, kleinen Tragödie“. Fendrich machte daraus ein wundervoll tragisches Abendbrot für eine schreckliche Königsfamilie, die zweimal im Jahr eine Hundertschaft Jungfrauen und Jünglinge irgendwelchen Göttern opfert. „You can‘t always get, what you want“. Die Rolling Stones, gnadenlos gespielt bis zur letzten Note, machen gleich zu Beginn klar, dass heute Abend auch einige Hoffnungen gekillt werden müssen.

Anders als in der Bibel und im Wilde von 1891 darf der schöne Jochanaan, der lautstark in der wilden Meute vor den Palasttoren den Erlöser ankündigt und deshalb die gierige Aufmerksamkeit der Prinzessin erregt, bei Fendrich an die gedeckte Aristokraten-Tafel. Wo die Königin (Veronika Bayer) zynisch, der König (Ralf Dittrich) verbraucht, Salome irre ist und der tote junge Syrer immer noch mitredet, sanft umschwärmt von der schwarzen Sängerin, die live Refrains von Joy Division bis Leonard Cohen intoniert. Für Jochanaan hat der Regisseur richtige Bibelzitate eingebaut.

Doch Manuel Bürgin als revolutionärer Täufer widersteht dem schlanken Rücken Salomes, nackt bis zum Hintern im lasziven Kleid. Herodes nicht. Er will die Tochter seines Bruders jetzt tanzen sehen, gleich was sie fordert und kostete es das halbe Königreich seiner Frau. Der verschmähte Rücken legt also los. Der Tanz der sieben Schleier verpuppt sich zum psychopathischen Schulterblatt- Posing der wunderbaren Lena Schwarz, gut das Herodes eine Binde vor Augen hat. Seine stöhnende Lust ist verflogen, als er den erfährt, welchen Preis er zu zahlen hat. Salome will den Kopf des heiligen Mannes auf Silber und keine dicken Juwelen. Jeder weiß, sie kriegt ihn und hat doch nichts davon, egal wie sehr sie auch hinein beißt und die blutüberströmten Lippen küsst. Der Wahnsinn fordert sein Tribut. Dem Tetrarchen ist das Ungeheuerliche nicht mehr geheuer. „Tötet diese Frau“. Salome zahlt ihren Preis. David Bowie singt vom Leben auf dem Mars. Ende. Donnernder Beifall im Theater unter Tage.

Immer wieder müssen die Akteure auf die Bühne, nur der Regisseur meidet den Triumph. Stiller Protest gegen eine unverständliche Spielplan-Ökonomie, die solche Qualität und Spielfreude nur noch einmal wiederholen lässt? Totale Erschöpfung hinter den Kulissen, wo gleich die mit Anekdoten geschwängerte Kantine liegt? Egal, es wäre schön, diese Salome in eine neue Ära hinüber zu retten.

SalomeSchauspielhaus Bochum12. Juni, 18:00 und 22:00 UhrInfos: 0234-3333111