Diskriminierende Sprache im Kinderbuch: Jim Knopf jetzt ohne Rassismus

Der Stuttgarter Thienemann-Verlag streicht rassistische Begriffe aus seiner beliebten Kinderbuchreihe. Droht eine neue Zensur-Debatte? Eher nicht.

Eine neue (l) und eine alte Ausgabe des Buches Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer werden im Verlag gezeigt.

Jim Knopf raucht nicht mehr in der Neuauflage des Kinderbuchklassikers Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Ab sofort kann man wieder bedenkenlos zu „Jim Knopf“ greifen. Der Kinderbuchklassiker über den schwarzen Jungen Jim Knopf und seinen Freund, den weißen Lokomotivführer Lukas, kommt künftig ohne rassistische Begriffe aus. Der Stuttgarter Thienemann-Verlag, bei dem die Rechte an der Buchreihe liegen, hat in Abstimmung mit den Erben des Autors Michael Ende die Neuausgaben überarbeitet. Damit geht eine lange Debatte zu Ende. Michael Ende, der 1995 gestorben ist, war einer der erfolgreichsten deutschen Kinder- und Jugendbuchautoren. Er schrieb Klassiker wie „Die unendliche Geschichte“ (1979), „Momo“ (1973) und eben „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, die weltweit übersetzt, verlegt und vielfach verfilmt wurden.

Vor mehr als zehn Jahren hatte derselbe Verlag das Kinderbuch „Die kleine Hexe“ von Ottfried Preußler bearbeitet und damit einen Sturm der Empörung ausgelöst. Als die taz 2013 als erstes Medium darüber berichtete, brachte sie damit eine „Kinderbuch-Debatte“ ins Rollen. Der ehemalige Literatur-Chef der Zeit, Ulrich Greiner, bemühte Artikel 5 des Grundgesetzes und sah die Meinungsfreiheit gefährdet, und seine Wochenzeitung druckte das N-Wort groß auf ihrer Titelseite.

Der TV-Literaturkritiker Denis Scheck malte sich sogar das Gesicht schwarz an, um gegen eine angebliche „Zensur“ zu protestieren. Das war peinlich, aber erhellend.

Solche Reaktionen muss der Verlag heute vermutlich nicht mehr befürchten. „Es gibt positive und kritische Reaktionen“, sagte Verlagssprecherin Svea Unbehaun am Freitag salomonisch. Mit der Zeit haben sich manche Wogen geglättet, und das deutsche Feuilleton ist in Hinblick auf rassistische Sprache sensibler geworden. Auch aus den Neuauflagen von „Pippi Langstrumpf“ und anderen Büchern von Astrid Lindgren sind diskriminierende Begriffe längst verschwunden.

Fester Bestandteil deutscher Popkultur

Konkret geht es jetzt um die beiden Bücher „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ und „Jim Knopf und die Wilde 13“. Beide stammen aus den 1960er Jahren und begründeten damals Michael Endes Ruhm als Kinderbuchautor. Die Geschichten wurden von der „Augsburger Puppenkiste“ adaptiert und für das öffentlich-rechtliche Fernsehen verfilmt – zunächst in Schwarz-Weiß, später in Farbe.

Jim Knopf ist längst ein fester Bestandteil deutscher Popkultur. Die beiden Kinderbücher wurden mehrfach verfilmt, unter anderem als mehrteilige Zeichentrickserie, und kamen zuletzt als Film mit echten Schauspielern ins Kino. 2018 feierte der erste Jim-Knopf-Film seine Premiere – mit fast 25 Millionen Euro eine der teuersten deutschen Produktionen aller Zeiten. Die Schauspieler Christoph Maria Herbst treten darin als „Herr Ärmel“, Milan Peschel als „Herr Tur Tur“ und Uwe Ochsenknecht als „König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte“ auf. 2020 folgte die Fortsetzung „Jim Kopf und die Wilde 13“, wieder mit Solomon Gordon als Jim Knopf.

Die Hamburger Band Tocotronic setzte dem einflussreichen Schöpfer dieser Figuren mit dem mehrdeutigen Song „Michael Ende, du hast mein Leben zerstört“ bereits 1995 ein musikalisches Denkmal. Ungefähr zur gleichen Zeit stürmte „Eine Insel mit zwei Bergen“ in einer fragwürdigen Technoversion die Charts. Beim FC Augsburg erklingt das Lied bei jedem Treffer des Klubs im Heimstadion als Torhymne. Michael Endes Erbe wirkt ungebrochen fort.

Mehr als eine Stelle überarbeitet

Einige Passagen aus den beiden Jim-Knopf-Büchern könnten aus heutiger Sicht jedoch als rassistisch empfunden werden, teilte der Stuttgarter Thienemann Verlag zur Begründung für seinen Schritt in einer Pressemitteilung mit. Weitere Stellen in den Büchern seien geändert worden, um „stereotype Beschreibungen zu reduzieren“. In den neuen Ausgaben wurde zum Beispiel das N-Wort gestrichen. Außerdem ist statt von einem „Indianerjungen“ nun von einem „Jungen“ die Rede, und statt von einem „Eskimokind“ von einem „Inuitkind“.

Auch die Hautfarbe von Jim Knopf werde nicht länger thematisiert, und bildlich werden Jim Knopf und Lukas ebenfalls anders abgebildet. Die Darstellung von Jim Knopf fällt weniger stereotyp aus als beim Original: Statt dicken rosafarbenen Lippen und fehlendem Übergang zwischen schwarzer Haut und Haaren zeigen die neuen Cover ihn mit leicht hellerer Haut und Strichlippen, und aus dem Mund des Minderjährigen ist die Tabakpfeife verschwunden. Nur Lokomotivführer Lukas schmaucht weiter.

Der Verlag bringt die 2015 erschienenen, farbig illustrierten Ausgaben von diesem Samstag an in neuer Fassung heraus. Neben dieser Neuausgabe sollen die Originalausgaben mit den ursprünglichen schwarz-weißen Original-Illustrationen aber unverändert lieferbar bleiben, betont die Verlagssprecherin. Diese sollen aber künftig um ein einordnendes Nachwort ergänzt werden.

Michael Ende und die NS-Zeit

In seiner Jim-Knopf-Reihe erzählt Michael Ende von der Freundschaft zwischen dem weißen Lokomotivführer Lukas und dem schwarzen Findelkind Jim Knopf. Das diskriminierende N-Wort hatte Michael Ende laut Verlag bewusst nur der Figur des Herrn Ärmel in den Mund gelegt, „um auf die fehlende Weltoffenheit dieses typischen Untertans hinzuweisen“. Doch auch dieser distanzierte Gebrauch könne heute als diskriminierend gewertet werden, so der Verlag.

Das gelte auch für die gedankliche Verbindung von schwarzer und schmutziger Haut. Der Autor habe dies als „Stilmittel“ eingesetzt, um die persönliche Verbindung zwischen Jim Knopf und dem Lokomotivführer Lukas zu betonen, schreibt der Verlag. Eine rassistische und diskriminierende Absicht sei Michael Ende fern gewesen, betont sein Verlag: Der Autor habe seine Geschichten damals als „ein Gegenbild zur nationalsozialistischen Ideologie gezeichnet, mit der er in seiner Jugend selbst konfrontiert war“.

Der 1929 geborene Michael Ende hatte die Nazi-Zeit als Kind in München noch bewusst miterlebt. Sein Vater Edgar Ende (1901 – 1965) war ein surrealistischer Maler, dessen Werke von der NS-Reichskulturkammer als „entartete Kunst“ eingestuft wurden. Der 15-jährige Michael Ende schloss sich kurz vor Kriegsende einer Gruppe an, die eine Kapitulation der Deutschen anstrebte. Mit seinen Büchern hat er das Nachkriegsdeutschland geprägt.

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