HJiroks kurdisch-deutscher Electroclash: Viel Platz für den Flow

Auf dem Album „HJirok“ von Hani Mojtahedy und Andi Toma reiben sich Kulturtechniken respektvoll. Es ist eines der Ereignisse dieses Musikfrühjahrs.

Hani Mojtahedy hält die Hände seitlich an ihren Kopf und schaut gen Himmel

Erinnerung als Rausch: Hani Mojtahedy Foto: Siamand Mohammadi

Untertouriges elek­tri­sches Sirren, das klingelnde Öffnen und Schließen einer Kassenlade, dazu der beschwörende Gesang einer Frauenstimme, die sachte näher kommt, bis sie quasi direkt vor einem im Raum steht.

So beginnt der Song „Sanandaj“ zum Auftakt des Albums „HJirok“ (gesprochen HaSchirok). „HJirok“ ist ein Projekt der kurdisch-iranischen Sängerin Hani Mojtahedy und des Berliner Elektronikproduzenten Andi Toma (bekannt als Hälfte des Duos Mouse on Mars). Ihre gemeinsame Musik als „HJirok“ ist eines der Ereignisse dieses Musik-Frühjahrs.

Denn traditionelle und spirituelle Folkelemente aus Kurdistan und Iran werden dabei von zeitgenössischer Elektronik flankiert und in Aufnahmetechniken des Dub reinszeniert, und zwar so, dass ihre Konturen besser zur Entfaltung kommen.

Den Bass hervorheben

Nichts an dieser Turboklangsignatur verniedlicht das Ausgangsmaterial, im Gegenteil, arabische Klangeigenheiten bleiben bestehen, sie werden raumakustisch und basslastig nur stärker hervorgehoben und geraten dadurch auf eine intensive neue Kommunika­tions­ebene.

HJirok: „HJirok“ (Altin Village& Mine/Morr Music/Indigo)

Statt bekömmlicher Fusion auf dem west-östlichen Diwan und anderen Zwangsehen aus dem Feelgoodbereich gibt es mit „HJirok“ einen überaus konzisen Soundclash zu hören. Sein Flow entsteht, weil in der Musik genügend Platz ist, damit sich verschiedene Kulturtechniken aneinander reiben, immer mit Respekt und Know-how.

Denn es geht nicht darum, kurdische Gesangstraditionen und charakteristische Instrumente ihrer Identität zu berauben. Sie werden auch nicht gesampelt oder verwässert, alle Quellen sind offengelegt. Hani Mojtahedy stammt aus dem kurdischen Teil Irans. Sie ist in der Stadt Sanandaj aufgewachsen. Von Kindesbeinen an hat sie Livemusik fasziniert. Musik war im Haus ihres Großvaters, eines Sufis, allgegenwärtig, berichtet Mojtahedy.

Gegen die Zensur

Heute ist die Künstlerin unter ihrem bürgerlichen Namen in allen kurdischen Regionen (Syrien, Iran, Irak, Türkei) ein Star. Bereits in Iran war sie als Sängerin bekannt, so gründete sie auch die erste Frauenband in Sanandaj Weil ihre Songs immer stärker der Zensur unterworfen wurden und sie insgesamt dreimal im Gefängnis saß, entschloss sich Mojtahedy 2004, Iran zu verlassen, und lebt seither in Berlin im Exil.

„Jedes der Stücke funktioniert wie eine Erinnerung. Wir haben diese zu akustischen Installationen geformt. Ich finde anderswo immer Muster, die ich mit meiner Vergangenheit abgleiche. Wenn ich im irakischen Erbil bin, erkenne ich, wie ähnlich es der iranischen Stadt Sanandaj ist, in der ich aufgewachsen bin.“

Nach dem mysteriösen Anfang wird Mojtahedys Stimme im Song „Sanandaj“ lauter, sie singt melismatisch, betont einzelne Vokale und Silben, dehnt die Pausen durchs Atmen. Die Umweltgeräusche werden selbst zu Musik: Stühlerücken ist zu hören, dann klappern Geschirr und Besteck, und der Strahl eines Wasserhahns spratzelt.

Percussion als physische Erfahrung

Bis nach mehr als zwei Minuten eine Daf-Trommel nach vorn drängt. Diese mit Zimbeln behangene Rahmentrommel gibt nun einen Beat vor, dessen blecherner Klang und das Gleiten der Hände und Finger über die Felle plastisch hörbar gemacht sind.

Die Percussion schiebt Mojtahedys Gesang und die Klangsignatur einer Längsflöte mächtig an. Neben der Daf kommen zwei Bechertrommeln zum Einsatz, die Tombak und die Darbuka. Andi Toma begeistert sich über deren Klangspektrum. „Super interessant empfand ich, dass der Sound, den die Daf-Trommel erzeugt, wie ein Shaker klingt. Was die Spielweise in Kurdistan zudem interessant macht und von anderen Traditionen abhebt, dass die Finger beim Trommeln die Felle ganz anders bearbeiten. Die Beats funktionieren wie ein Morse­code.“

Jedes dieser Instrumente wird bei „HJirok“ basal in Szene gesetzt. Rhythmen setzen jeweils andere Schwingungen in Gang. Auch Hani Mojtahedy hegt zu den Trommeln eine innige Beziehung. „Zu Hause ging es oft um die Harmonien der Derwische bei den Sufizeremonien. Trommeln spielten dabei eine Hauptrolle, ihre Sounds animieren zum Tanzen. Und ich will diese Trance mit meiner Musik nachempfinden.“

Fieldrecordings und Sufibeats

Ausgangsmaterial von „HJirok“ sind Fieldrecordings, die auf mehreren Reisen ins irakische Kurdengebiet und in die Stadt Erbil entstanden sind. „Die Feldaufnahmen haben wir als Grundlage genommen. Die Strukturen der Sufibeats sind sehr alt, aber wir haben sie verbunden mit zeitgenössischen Aufnahmetechniken. An bestimmten Punkten haben wir Elemente hinzugesetzt: Einen tiefen Bass, der in der Musik eigentlich gar nicht im Vordergrund steht, aber doch da ist. Er verstärkt.“

Zwei musikalische Ebenen laufen parallel: Fieldrecordings als mathematisches Gerüst, dazu die gesungenen Erinnerungen von Mojtahedy. Ihre Stimme wurde granular nachbearbeitet, daraus haben Toma und Mojtahedy wiederum Harmonien gebaut und mit vier Musikern ihrer Backingband die Arrangements entwickelt. Und dennoch klingt „HJirok“ aus einem Guss.

„In Sanandaj bin ich aufgewachsen, die Erinnerung an die Stadt funktioniert wie ein Rausch und so ist der Song auch arrangiert.“ Von Effekten verfremdet, aber nicht zu aufgeladen, räumlich nah und zugleich energisch anschiebend aus der Distanz. Mojtahedy hat nicht nur ihre Heimat verlassen, auch ihre Familie konnte sie seit 20 Jahren nicht mehr sehen. „Meine Musik sprengt Grenzen und macht somit das Unmögliche möglich. Chaos und Paradoxa sind Teil davon. Auch das drückt dieses Album aus.“

Friedliche Koexistenz

Neben den spirituellen Vibrationen strahlt aus „HJirok“ auch eine coole Gelassenheit. Der Albumtitel spielt an auf „Geliyê Hjîrokê“, das Tal der Feigen, einer einstmals fruchtbaren Bergregion, 40 Kilometer von Erbil entfernt. In den Dörfern dort leben Jesiden, Juden, Muslime und Christen in friedlicher Koexistenz. „Bei mir geht es musikalisch durcheinander. Es klingt nie nach einem bestimmten Genre. Meine jüdischen Freunde haben gesagt, meine Musik klinge jüdisch. Orientalisch bedeutet ein wilder Mix, und all das fließt in den Sound.“

Längst sind die Gebirgsbäche im Tal der Feigen ausgetrocknet. Die Menschen müssen weit wandern, um an Wasser zu gelangen. Von einem Tempel in den Bergen sei immer noch die Geisterstimme von „HJirok“ zu hören, die vom einstigen Wasserreichtum kündet. Hani Mojtahedy erklärt, dass sie eine spirituelle Verbundenheit zu dieser irakischen Region hat.

„Wenn ich da hin reise, fühle ich mich wohl. Denn ich habe mein eigentliches Zuhause verloren. Dort ist etwas, was mich sofort beruhigt. Vielleicht sind es die Berge und die Menschen. Vielleicht ist es, weil wir das gleiche Leid teilen.“

Stimmen der Peschmerga

Im Track „Meselek“ sind Männerstimmen zu hören. Sie gehören Milizionären der kurdischen Peschmerga, die im Irak gegen den IS gekämpft hat. Toma hat ihre Gespräche aufgenommen, als sie Tee getrunken haben. Der deutschen Orientfaszination von Karl May bis RAF kann er nichts abgewinnen.

„Romantisch empfand ich den Irak null. Ich habe gemerkt, dass rund um Erbil viel zerstört ist. Die Leute dort versuchen, ihre Identität zu bewahren. Aber das fällt ihnen schwer, weil sie existenzielle Sorgen haben. Hier und da flackert das kulturelle Erbe noch auf.“

„HJirok“ endet mit dem Song „Tehran“ und dem Summen einer Biene. Wo zuvor Mojtahedys Gesang war und die Daf getrommelt hat, fadet die Tonspur aus. Es ist eine Verneigung vor der iranischen Frauenbewegung und dem Widerstandsgeist von „Jin, Jiyan, Azadî“. Die Sängerin zitiert ein kurdisches Gedicht, das beschreibt, wie jemand auf einer Straße durch Teheran spaziert und bemerkt, dass sie rot gefärbt ist. Die Passanten sagen dazu nichts. Bis am Ende klar wird, dass das Rot vom Blut einer Person stammt, die nach Freiheit gesucht hat.

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