Detlef Diederichsen
Böse Musik
: Das Ende des Musikjournalismus?

Foto: privat

Eigentlich schien es ja, als sei die Abwicklung von „Pitchfork“ kaum mehr als eine Fußnote unter dem Verglühen des Boomer-Pop, die Unter-28-Jährigen maximal eine Augenbraue um vier Millimeter nach oben verrutschen ließ. Dann wurde aber ein Chor apokalyptischer Stimmen immer lauter und man muss sich doch der Frage stellen: Ist das Ende von „Pitchfork“ das Ende?

Das Ende von „Pitchfork“ ist ärgerlich. Es zeigt einmal mehr die Unfähigkeit zahlengetriebener Betriebswirte, kulturelle Themen zu verstehen, Kultur im Allgemeinen überhaupt und Pop im Speziellen erst recht: seit eh und je von schnellen Umbrüchen bestimmt und seit Beginn der Digitalisierung völlig außer Rand und Band geraten. So wie die Management-Etagen der großen Medienkonzerne nach wie vor über das Internet rätseln und umso eher den Versprechungen sinistrer Spindoktoren zugänglich sind, sind sie natürlich mit einem Medium, das sich im Internet mit Pop auseinandersetzt, im Quadrat überfordert.

Das Ende des Musikjournalismus ist das aber nicht. Dazu hat dieser weise alte Mann zu oft selbiges Ende überlebt und kopfschüttelnd im Gewerk weitergewerkt – etwa bei der Eingemeindung des kritischen Magazins Sounds in den konsumfreundlichen MusikExpress, beim Verkauf und der Einstellung von Spex, der Abwicklung von Stadtmagazinen, Wochenzeitungen, Tageszeitungen, Radiosendungen usw. Die Einstellung eines Mediums kann zu den einschneidenden Ereignissen in der Pop-Historie gehören, am Ende ist es aber wie die Auflösung einer Band, der Bankrott eines Labels oder, größer gedacht, die Ersetzung eines Formats zur Verbreitung von Musik durch ein anderes nur das: ein weiteres Datum in „Steins Kulturfahrplan“. Lebbe geht weider.

Die Eighties-Stalinisten vom New Musical Express, von Sounds oder Spex hätten an „Pitchfork“ ohnehin kein gutes Haar gelassen. Rezis mit Punktewertung? Mit selten mehr als 2.000 Zeichen? Direktlinks zu finsteren Handelsketten, wo die so formatiert bewerteten Produkte sogleich nach Hause zu ordern sind? Ein stromlinienförmiges industriefreundliches Mega-Festival? Die Stalinistenfraktion hätte schon für ein weit weniger fettes Sündenregister Höchststrafen für alle Verantwortlichen (und die Le­se­r*in­nen am besten gleich mit) angeordnet.

Kulturjournalismus hatte schon immer das Problem der Verflechtung von Inhalten und Diskursen mit Kapitalismus und Markt. Balzac beschrieb in „Illusions perdues“ bereits 1843, wie sich sein ambitioniert gestarteter Protagonist aufgrund existenzieller Nöte darauf einlässt, gegen weiterveräußerbare Rezensionsexemplare und Theaterkarten, Gefälligkeitsbesprechungen einzureichen. Den verlegerischen Geldgebern ist die Korrumpierbarkeit der Mitarbeiter meist gar nicht so unrecht: Letztlich ist eine eskapistische Wohlfühlkultur weit besser bei Le­se­r*in­nen und An­zei­gen­kun­d*in­nen zu platzieren als ein womöglich engagiert, schwierig und zornig geführter Diskurs.

Detlef Diederichsen, Journalist und Musiker, lebt in Hamburg.

Den man im deutschsprachigen Musikjournalismus ohnehin kaum noch pflegt, bzw. der aus den professionellen Medien in die unendlichen Weiten des Netzes weitergezogen ist. Die interessanteren Auseinandersetzungen zu den Topics, denen sich Pitchfork widmete, finden sich als User-Generated Content in Threads auf Social Media, in Podcasts, Newslettern, wo sie sicher sind vor der permanenten Bedrohung durch Anzeigenkunden, Sponsoren oder verängstigte Gatekeeper.

Die Spex-Stalinisten hätten an Pitchfork ohnehin kein gutes Haar gelassen

Was allerdings heißt: Geld ist damit nicht zu verdienen. Da geht es den Schreiberlingen allerdings nicht anders als den Mu­si­ke­r*in­nen oder Labelbetreiber*innen. Für alle, die ihre Seele und ihre geistige Gesundheit nicht an das Urböse (vulgo: Marketing) verscherbeln wollen, gilt der Rat der Silhouettes aus dem Jahr 1957: „Get A Job“.