Der Kanzler und der Ramadan: Die Türen bleiben zu

Zum Beginn der muslimischen Fastenzeit hat Olaf Scholz sich zum Gazakrieg geäußert. Zu einer angemessenen Ansprache hätte Ehrlichkeit gehört.

Ein Mädchen hängt Laternen an eine Schnur, die zwischen Zelten gespannt ist. Eine Frau stützt sie, ein Junge im Hintergrund ruft aufgeregt. Der Himmel ist blau.

Pa­läs­ti­nen­se­rin­nen in Deir al-Balah im zentralen Gazastreifen schmücken ihre Zelte im Vorfeld des Ramadan mit Laternen Foto: Majdi Fathi/NurPhoto/picture alliance

Auf Instagram heißt die Video-Rubrik, in der Olaf Scholz regelmäßig zu einer bestimmten Frage eine Rede hält: „Kanzler kompakt“. Diesmal war das Thema der Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan. Kompakt zusammengefasst war diese Rede etwas fade, eine Durststrecke an Empathie und politischen Visionen. Denn nachdem Olaf Scholz darauf hinwies, wie schön er es immer fand, an Zeremonien des Fastenbrechens teilzunehmen – also lecker und reichlich zu essen –, ging er direkt auf die Lage in Israel und Palästina ein. Und genau darin lag das Problem dieser Rede.

„Musliminnen und Muslime sind in diesen Tagen mit ihren Gedanken und Gefühlen sicherlich besonders bei den Frauen und Männern und Kindern im Nahen Osten“, sagte Scholz vor der Kamera. Das stimmt. Schaut man sich die Stimmung in vielen muslimischen Communitys an, kann man sie als betrübt, traurig und besorgt beschreiben. Die Menschen sind wütend und ratlos, fragen sich, wie das Leid in Israel und Palästina, insbesondere im zerbombten Gazastreifen gestoppt werden kann. Die besinnliche Zeit im Ramadan könnte diese Emotionen in den Communitys verstärken.

Nach mehr als 30.000 Toten in Gaza wäre es als Kanzler auch seltsam gewesen, diese Trauer nicht anzusprechen. Nur klafft zwischen der betonten Empathie in „Kanzler kompakt“ und der konkreten Außenpolitik der Bundesregierung eine große Lücke:

In der Rede behauptet Olaf Scholz, vieles dafür zu tun, um den Menschen in Gaza zu helfen. Doch nicht nur Musliminnen und Muslime sehen, dass dies nicht der Fall ist. Nur ein aktuelles Beispiel: Deutschland und die Europäische Union unterstützen Pläne für Hilfslieferung nach Gaza über den Seeweg. Diese Pläne sind laut Ex­per­t*in­nen aufwendig, langsam und ineffektiv. Die USA haben angekündigt, einen temporären Hafen vor der Küste von Gaza errichten zu lassen. Wenn es gut läuft, würden diese Arbeiten zwei Monate in Anspruch nehmen. Dabei brauchen die schutzlosen Be­woh­ne­r*in­nen des Gazastreifens jetzt und unverzüglich die nötigen Hilfsgüter.

Wenig außenpolitisches Gewicht

Es gibt sogar einen effektiven anderen Weg, um schnell Hilfe zu leisten: den Landweg über Ägypten und Israel. Es wird auch von der Bundesregierung so getan, als wäre die Rettung der Menschen in Gaza eine technische Frage. Dabei zählt hier allein der politische Wille und Druck auf die Regierungen in Ägypten, um den Grenzübergang Rafah zu öffnen, auf die Hamas, um alle noch lebenden israelischen Geiseln unverzüglich freizulassen, und besonders auf Benjamin Netanjahu und seine rechtsextremen Koalitionspartner in Israel, um endlich den Krieg zu beenden und koordinierte, humanitäre Hilfe zuzulassen. Die deutsche Bundesregierung hat diesen politischen Willen in den vergangenen Wochen und Monaten nicht gezeigt. Auch wenn der Kanzler behauptet, sich mit Nachdruck für einen Waffenstillstand und mehr humanitäre Hilfe einzusetzen.

Zur Wahrheit gehört auch, dass Deutschland nur wenig außenpolitisches Gewicht im Nahen Osten besitzt. Der Kern des Fastenmonats Ramadan ist Ehrlichkeit und (Selbst-)Reflexion. Wenn sich Scholz schon für so eine Rede entschieden hat, wäre es angemessen gewesen, sich eben ehrlich zu machen und festzustellen: Deutschland hat bisher zu wenig getan, um die Zi­vi­lis­t*in­nen im Gazastreifen zu schützen.

Die Bilder von abgemagerten Kindern, von zerfetzten Körpern von Zivilist*innen, von verzweifelten Menschen, die sich im Gazastreifen auf der Flucht im Kreis drehen, weil ihnen nichts anders übrig bleibt, sind auch ein Ergebnis des Scheiterns der internationalen Diplomatie. Diese verstörenden Bilder werden den Ramadan dieses Jahr prägen. Deutschland hat seinen Anteil an diesem politischen Scheitern.

Olaf Scholz verurteilte zum Ende seiner Rede erneut die Deportationsfantasien und den Rassismus deutscher Rechtsextremisten und bewunderte zugleich in „Kanzler kompakt“, dass viele Mus­li­m*in­nen im Ramadan „ihre Wohnungen für Gäste“ öffnen würden. Eine angemessene Ramadan-Ansprache hätte auch darin bestehen können, dass Olaf Scholz eine humanitäre Evakuierung des Gazastreifens für Kinder, Frauen, Senior*innen, Zivilist*innen, für all jene, die sich in Sicherheit bringen müssen und wollen, angekündigt hätte.

Scholz hätte im von ihm beschriebenen Ramadan-Spirit die Türen Deutschlands öffnen können, um Menschenleben zu retten. Er hat es nicht getan, weil zwischen „Kanzler kompakt“ und der politischen Realität dieser Bundesregierung nun mal diese eine riesige Lücke klafft.

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Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Bei Twitter schreibt er unter dem Handle @mamjahid, bei Instagram @m_amjahid. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen.

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