Wer hat den Längeren?

Die GDL ruft erneut zum Streik auf – diesmal buchstäblich von heute auf morgen. Die Bahn klagt dagegen

Von Pascal Beucker

Die Fronten sind verhärtet, die Umgangsformen ruppig. Im Tarifkonflikt der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) mit der Deutschen Bahn (DB) ist weiter keine Einigung in Sicht. Eine „blanke Zumutung“ sei es, dass an diesem Dienstag schon wieder der Zugverkehr ganztägig bestreikt wird, empört sich DB‑Personalvorstand Martin Seiler. Der erneute Ausstand sei unverhältnismäßig, grundlos und rechtswidrig. Schließlich sei die DB ja bereit, auf Grundlage des Vorschlags der Moderatoren Daniel Günther und Thomas de ­Mai­zière weiter zu verhandeln. „Wer eine Arbeitszeitreduzierung von 38 auf 35 Stunden fordert und in einem Gesamtpaket 36 Stunden bekommen könnte, der darf nicht das ganze Land lahmlegen“, so Seiler. Die DB ist deswegen am Montag vor das Frankfurter Arbeitsgericht gezogen, um den Streik verbieten zu lassen. Eine Entscheidung des Gerichts stand zu Redaktionsschluss noch aus.

Die Sicht von GDL-Chef Claus Weselsky ist naturgemäß eine völlig andere. Statt, wie von der Gewerkschaft verlangt, ein eigenes verhandlungsfähiges Angebot vorzulegen, würde der Bahnvorstand lieber die Bevölkerung doppelt belasten, „weil einerseits immer wieder Streiks provoziert und unverantwortlich, fast unbeirrt, Steuergelder der Bürger verbrannt werden“. Es sei „nicht zu entschuldigen“, dass die DB weiterhin ablehne, „was bereits im Eisenbahnmarkt bei 28 Eisenbahnverkehrsunternehmen für über 15.000 Eisenbahner Anwendung findet“.

Seit November vergangenen Jahres laufen bereits die Tarifverhandlungen der GDL mit der DB. Hauptstreitpunkt ist bis heute die von der GDL geforderte stufenweise Reduzierung der Wochenarbeitszeit für Schicht­ar­bei­te­r:in­nen von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Der Ende Februar unterbreitete Moderatorenvorschlag sieht hingegen nur eine Reduzierung auf 36 Stunden vor, ebenfalls bei vollem Lohnausgleich, aber dafür sollen unter anderem zwei beliebte Urlaubswahlmodelle wegfallen, mit denen die Beschäftigten ohne Lohneinbußen auf bis zu 42 freie Tage kommen können.

Differenzen gibt es auch nach wie vor bei der von der GDL geforderten Lohnerhöhung. Dabei ist die Gewerkschaft zwar schon von ihrer Ursprungsforderung von 555 Euro abgerückt, besteht jedoch bislang auf einer Erhöhung um 420 Euro, wie sie sie mit den 28 kleineren Verkehrsunternehmen vereinbart hat. Demgegenüber sieht der Vorschlag der Moderatoren eine Entgeltsteigerung um 410 Euro vor – wobei die GDL allerdings angibt, es handele sich real nur um 383,55 Euro.

Will der Bahn­vorstand die Sparten­gewerkschaft endgültig kleinkriegen?

Gleichwohl wären unter normalen Umständen die Unterschiede zwischen dem Moderatorenvorschlag und den GDL-Forderungen nicht mehr so groß, dass sie sich nicht in neuerlichen Verhandlungen lösen ließen. Dazu bedürfte es allerdings einer vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre – und daran fehlt es. So geht die GDL wohl nicht ganz zu Unrecht davon aus, dass der Bahnvorstand die renitente Spartenge­werk­schaft in dieser Tarifauseinandersetzung endgültig kleinkriegen will, da er mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), der größeren Konkurrenz, besser klarkommt.

Außerdem befindet sich die GDL in einem Dilemma: Bei ihren Vereinbarungen mit den kleineren Verkehrsunternehmen hat sie einer Wettbewerbsklausel zugestimmt. Falls der DB-Abschluss schlechter ausfällt, verschlechtern sich auch die bereits ausgehandelten Verträge entsprechend. Genau darauf hoffen die im Interessenverband mofair zusammengeschlossenen Privatbahnen. Nach ihren Angaben hätten sie sich nur deswegen mit der GDL auf eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden geeinigt, weil sie mögliche Streiks ökonomisch „nur wenige Tage“ hätten durchhalten können. Als „ein schädliches Tarifdiktat der Gewerkschaft“ bezeichnete das mofair-Präsident Martin Becker-Rethmann in einer am Montag veröffentlichten Erklärung.