Experten über Wetterprognosen und KI: Hätte eine KI das Ahrtal gerettet?

Künstliche Intelligenz analysiert Daten in Sekunden und kann das Wetter präziser voraussagen. Wie Wissenschaftler die Zukunft von Vorhersagen beurteilen.

Blick durch die regennasse Scheibe eines Fahrzeugs auf eine überschwemmte Straße

Wetter! Foto: Bernd März/imago

wochentaz: Wie verändert künstliche Intelligenz (KI) die Wettervorhersage?

Markus Reichstein: Schon die klassische Wettervorhersage ist im Laufe der vergangenen Jahrzehnte immer besser geworden. Heute können wir das Wetter sieben Tage im Voraus so präzise vorhersagen, wie es in den 70er Jahren nur drei Tage im Voraus möglich war – eine stille Revolution. Jetzt, mit KI, kommt eine rapide Revolution dazu: Wir können auf einmal weitaus mehr Daten in deutlich weniger Zeit verarbeiten. Das führt dazu, dass die Vorhersagen präziser werden und dass sich in gleicher Zeit mehr Wetterlagen oder mehr Details über eine Wetterlage prognostizieren lassen.

Warum kann die KI das besser?

Vitus Benson: Die klassische Vorhersage beruht auf physikalischen Modellen, die über Jahrzehnte entwickelt wurden. Die sind im Laufe der Zeit immer präziser geworden. Allerdings können wir nicht alle Prozesse der Atmosphäre perfekt in mathematische Gleichungen packen und simulieren.

Woran liegt das?

Benson: Nehmen wir zum Beispiel Wolken – da laufen unheimlich komplexe Prozesse ab. Wie groß sind die Tropfen, wie schnell wachsen sie? Wie sind die Temperaturen und die Windverhältnisse? Das ist alles sehr kleinteilig. Aber bei Wettermodellen können wir die Welt nicht Eins zu Eins abbilden, sondern müssen notwendigerweise mit größeren Auflösungen arbeiten.

ist Direktor der Abteilung Biogeochemische Integration am Max-Planck-Institut für Biogeochemie. Schwerpunkt seiner Forschung ist die Reaktion und Rückkopplung von Ökosystemen wie Vegetation und Böden auf Klimaschwankungen aus einer Erdsystemperspektive.

Also wie bei einem Foto, das etwas pixeliger ist als die Realität?

Benson: So in etwa. Und diese beiden Pole lassen sich nicht gut zusammenbringen. Hier ist die KI im Vorteil. Sie lernt anhand von Beobachtungsdaten, also Daten, die Wetterstationen gemessen haben. Dass das wirklich so gut funktioniert, wusste man auch nicht, bevor man es ausprobiert hat, aber die Studienergebnisse sind eindeutig.

Wo hat denn eine KI eine Vorhersage gemacht, die auf konventionellem Weg nicht so präzise ausgefallen wäre?

ist Doktorand am Max-Planck-Institut für Biogeochemie und der ETH Zürich. Er arbeitet an der Schnittstelle von künstlicher Intelligenz und Klimaforschung, insbesondere zu Frühwarnsystemen.

Benson: Momentan sind diese Modelle noch nicht im Praxiseinsatz. Das wird aber voraussichtlich noch in diesem Jahr der Fall sein. Was sie schon jetzt gezeigt haben: Gerade bei tropischen Stürmen, wie sie etwa auf den Philippinen oder in den USA auftreten, können KI-Modelle die Entwicklung, die diese Wirbelstürme nehmen, deutlich besser vorhersagen.

Praxiseinsatz bedeutet, dass wir so was dann zum Beispiel in unserer Wetter-App sehen?

Benson: Das kann ich nicht voraussagen, weil es davon abhängt, was die Wetterdienstleister machen – und das hängt wiederum davon ab, ob es sich für sie wirtschaftlich lohnt.

Reichstein: Aber das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage hat zum Beispiel ein KI-System, das sich zwar noch im Experimentierstadium befindet, aber auf der Webseite steht. Dort kann sich jeder anschauen, was die KI vorhersagt.

Benson: Gerade bei Extremwetterereignissen geht es nicht nur um das, was über der Erde stattfindet, sondern auch um die Prozesse am und im Boden. Zum Beispiel: Wie schnell versickert Wasser? Da gibt es aktuell ein Projekt von Google, es heißt Floodhub, das mithilfe von KI die Pegelstände vorhersagt. Auch das kann man sich schon jetzt angucken.

Für manche Menschen ist die Sache klar: Hat man den Schirm dabei, regnet es nicht, steht er zu Hause, kommt garantiert was runter. Doch in der Praxis ist es mit der Wettervorhersage ähnlich kompliziert wie mit dem Wetter. Denn während das Wetter einfach das macht, was ihm die physikalischen Gesetzmäßigkeiten vorschreiben – zum Beispiel Wolken abhängig von Faktoren wie Tropfengröße, Sinkgeschwindigkeit und Geschwindigkeit der aufsteigenden Luftmasse abregnen – müssen Wissenschaftler:innen, die Vorhersagen treffen, solche Vorgänge mit ihren Modellen möglichst gut nachstellen. Mehr noch: Sie sollen möglichst wissen, was das Wetter vor hat, noch bevor es das selbst weiß.

Die klassische, sogenannte numerische Vorhersage, beruht auf den physikalischen Gesetzmäßigkeiten, nach denen das Wetter funktioniert. Solche Modelle überziehen ihre Vorhersageregion, zum Beispiel die ganze Welt, ein einzelnes Land oder eine bestimmte Region, mit einem dreidimensionalen Gitternetz. Für jeden Punkt des Netzes werden dann Wetterparameter wie Temperatur und Luftdruck errechnet. Basis dafür sind mathematische Gleichungen und die aktuellen Messdaten aus den Wetterstationen. Von diesen numerischen Vorhersagemodellen gibt es mehrere. Bei globalen Modellen sind die Maschen des Netzes eher grob, ein Punkt innerhalb einer Masche lässt sich damit weniger genau vorhersagen. Bei den regionalen Modellen ist die Auflösung höher, die Netzmaschen also kleiner und die Vorhersagegenauigkeit für einen konkreten Punkt größer. Über die Jahrzehnte ist dieses Vorgehen immer besser geworden. So zeigen Wetter-Apps beispielsweise heute schon recht präzise, ob und wann es an unserem Aufenthaltsort in den nächsten Stunden regnen wird.

Wettervorhersagen sind einerseits ein Wirtschaftszweig. Nicht nur Menschen, die ungerne im Regen stehen, zahlen für eine gute Wetter-App, die in kleinteiligen Waben anzeigt, ob es bald schüttet. In der Landwirtschaft kann eine Vorhersage über die Arbeitsplanung der nächsten Tage oder Wochen entscheiden, und gleiches gilt für bei Dach­de­cke­r:in­nen oder die Festivalplanung.

Und natürlich geht es auch um den Klimawandel, durch den Extremwetterereignisse häufiger werden. Gab es eine bestimmte Form von Starkregen, Überschwemmung, Dürre oder Orkan in der Vergangenheit noch alle paar Jahrhunderte, kann sie nun alle paar Jahre auftreten. Die Wettervorhersage kann so zum Lebensretter werden, nämlich dann, wenn frühzeitig klar ist, dass eine bestimmte Region evakuiert werden muss. Oder, wenn es sinnvoll ist, die Besiedelung eines Ort grundsätzlich aufzugeben – weil Extremwetter das Leben dort zu gefährlich macht.

Doch Wetterdaten gibt es längst nicht aus allen Regionen der Welt. Wie sich das auswirkt, zeigt eine Studie, die das Fachmagazin Nature Climate Change im Jahr 2020 veröffentlicht hat, und an der unter anderem die renommierte Klimaforscherin Friederike Otto beteiligt war. Demnach sind für Afrika südlich der Sahara seit Beginn des 20. Jahrhunderts lediglich zwei Hitzewellen verzeichnet worden, die zu 71 vorzeitigen Todesfällen führten. In Europa sind derweil Hitzewellen die tödlichsten Extremwetterlagen. Hier seien im selben Zeitraum 83 Hitzewellen registriert worden, die zu mehr als 140.000 Todesfällen führten. Das liegt daran, dass in Europa deutlich mehr Daten erhoben werden.

„Um zu verstehen, wie sich extreme Wetterereignisse im Zuge des Klimawandels verändern, braucht man Wetterstationen, die Daten sammeln. Aufgrund mangelnder Kapazitäten und Finanzierung sind die sich verändernden Wetterextreme im globalen Süden, insbesondere in Afrika, nur unzureichend bekannt“, sagt Otto. Der afrikanische Kontinent habe am wenigsten zu den globalen Treibhausgasemissionen beigetragen, sei aber am stärksten betroffen. Die Expertin fordert deshalb die Länder des globalen Nordens auf, Verantwortung zu übernehmen: „Aus Gründen der historischen Gerechtigkeit ist der entwickelte Norden verpflichtet, für Klimaschäden und -verluste in Afrika aufzukommen und Mittel zur Finanzierung der Wetterüberwachung und der Klimawissenschaft bereitzustellen.“

Bei der KI-Vorhersage spielen vor allem private Unternehmen eine Rolle. Google haben Sie gerade genannt, aber auch der chinesische Konzern Huawei ist vorne dabei. Ist das problematisch?

Benson: Zunächst einmal ist es gut, dass die Konzerne mitmischen, denn das zwingt die Wissenschaft dazu, auf dem neuesten Stand zu bleiben. Aber natürlich bedeutet es auch, dass die Forschung sich nicht abhängen lassen darf. Schließlich ist die Wettervorhersage und besonders die Vorhersage von Extremwetter und Naturkatastrophen ein öffentliches Interesse. Daher ist es gleichzeitig wichtig, dass die Methoden für die Vorhersage nicht nur in der Hand von privaten, gewinnorientierten Konzernen liegen.

Reichstein: Das Trainieren solcher KI-Modelle ist sehr teuer, weil es einen großen Rechenaufwand erfordert. Das kann sich nicht jeder leisten. Wir müssen daher als Gesellschaft schauen, dass wir nicht in Abhängigkeiten geraten. Aber: Sobald das Training durch ist und das Modell in die Anwendung geht, ist der Betrieb verhältnismäßig günstig. Wenn wir also für Transparenz sorgen und dafür, dass auch die Modelle von Konzernen in dieser Hinsicht öffentlich verfügbar sind, zum Beispiel als Open Source, kann das auch zu einer Demokratisierung beitragen. Denn dann könnten auch Wetterdienste, die nicht so gut finanziert sind, wie etwa der Deutsche Wetterdienst, die Modelle nutzen und mit ihnen Vorhersagen in besserer Qualität und Geschwindigkeit machen.

Geschwindigkeit wird als großer Vorteil der KI-Vorhersage im Vergleich zu etablierten Modellen gehandelt. Um welche Dimensionen geht es da?

Wie können KI-Anwendungen die Wettervorhersagen verbessern? Drei Beispiele

Auf der Weltkarte befinden sich gerade 16 rote Punkte. Sie liegen unter anderem in der brasilianischen Gemeinde Xapuri, am Songwe, dem Grenzfluss zwischen Tansania und Malawi, und nahe der südschwedischen Stadt Karlshamn. Mit diesen Punkten sollen die Pegelstände von Flüssen vorausgesagt werden. 1.800 in der Nähe von Flüssen gelegene Orte in 79 Ländern sind derzeit Teil des Projekts Floodhub, hinter dem der IT-Konzern Google steht. Die künstliche Intelligenz von Floodhub wertet laut dem Unternehmen für ihre Vorhersagen öffentlich zugängliche Datenquellen aus. Darunter sind vorhandene Wettervorhersagen, beispielsweise vom Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage, sowie Satellitenbilder. Der Vorhersagewert für einen Ort entsteht dabei aus einer Kombination von zwei verschiedenen Wettermodellen. Eines sagt die fließende Wassermenge eines Flusses vorher, und ein anderes prognostiziert den Pegelstand in einem bestimmten Gebiet. Diese Vorhersage reicht sieben Tage in die Zukunft. Je nach Warnstufe erscheint ein gelber (erhöht), roter (hoch) oder brauner (extrem) Punkt auf der Karte.

Niederschlag gilt als sehr schwierig zu vorhersagendes Wetterereignis, weil die dahinter liegenden physikalischen Prozesse so komplex sind. Ein Team von Wis­sen­schaft­le­r:in­nen der Pekinger Tsinghua University, der chinesischen Meterologiebehörde und der kalifornischen Universität Berkely hat es dennoch versucht.

Das von ihnen entwickelte KI-Modell heißt Nowcastnet. Es sagt die lokalen Niederschläge für die nächsten maximal drei Stunden vorher. Während andere KI-Wettermodelle ausschließlich mit vorhandenen Messdaten trainiert wurden, haben die For­sche­r:in­nen bei Nowcastnet diese um physikalische Gleichungen ergänzt. In der zugehörigen Science-Studie berichten die Autoren, dass das KI-Modell in 71 Prozent der untersuchten Vorhersagefälle besser als die führenden konventionellen Vorhersagen abschneide.

Im Winter löste das Modell Graphcast von Googles KI-Schmiede Deepmind einen kleinen Hype aus. Das Versprechen: Wettervorhersagen für die kommenden zehn Tage innerhalb von weniger als einer Minute und mit einer vom Unternehmen beworbenen „nie dagewesenen Genauigkeit“. Die KI wurde dafür mit historischen Wetterdaten aus den Jahren 1979 bis 2017 vom Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage trainiert. In einer Science-Studie, in der Graphcast mit einem renommierten konventionellen Modell verglichen wurde, schlug sich die KI gut. In 90 Prozent der Fälle sagte sie diverse Parameter wie Temperatur und Wind genauer vorher als das konventionelle Modell, und auch bei der Vorhersage von Extremwetterlagen schnitt die KI besser ab.

Allerdings weist Christian Herold, Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst, darauf hin, dass Graphcast mit einer gröberen Auflösung arbeite. In der Praxis führe das dazu, dass kleinteilige Wetterphänomene nicht richtig oder gar nicht erfasst werden. Außerdem, so Herold, schneide es bei unsicheren Wetterlagen, in denen klassischerweise Ensembles benutzt werden, schlechter ab. Bei Ensembles gibt es mehrere Durchläufe eines Wettermodells mit jeweils leicht unterschiedlichen Ausgangsbedingungen, aus denen sich dann ein Mittel bilden lässt. Graphcast habe zwar besser abgeschnitten als jeder Einzellauf, aber schlechter als das Mittel.

Reichstein: Den aktuellen Publikationen zufolge ist die KI zwischen 100 und 10.000 Mal schneller, wobei ich Letzteres für sehr optimistisch halte. Wahrscheinlich ist die realistische Größenordnung: etwa 1.000 Mal schneller als die klassische Vorhersage.

Was genau bedeutet das in der Praxis?

Reichstein: Es bedeutet, dass eine Vorhersage, die eine Stunde gedauert hat, in fünf Sekunden fertig ist. Oder, und das ist noch relevanter: Eine Vorhersage, die Supercomputer brauchte, kann nun auf einem guten Gaming-PC durchgeführt werden.

Und was sind die Nachteile der KI-Modelle?

Reichstein: Es ist definitiv ein Problem, dass es sich um statistische Modelle handelt. Diese lernen aus vergangenen Wetterereignissen. Steckt also in den Beobachtungsdaten, mit denen die KI trainiert wurde, kein Extremwetterereignis, wird es auch schwierig, eines vorherzusagen. Trotzdem schlägt die KI sich bislang ziemlich gut. Wahrscheinlich kann sie zum Beispiel für die Vorhersage von Extremereignissen in Deutschland ausnutzen, dass sie woanders auf der Welt schon mal ähnliche Situationen gesehen hat – aber perfekt muss das auch nicht sein. KI kann darüber hinaus auch helfen, Prozesse zu beschreiben, für die es weniger klare Theorien gibt als für die Physik der Atmosphäre, beispielsweise biologische und ökologische Abläufe. Werden diese besser berücksichtigt, könnten die Modelle der Realität deutlich näherkommen. Dann wird die Vorhersagbarkeit deutlich besser, auch über mehrere Wochen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Sie plädieren dafür, die Technologie nicht nur zu nutzen, um Wetter und Extremwetter vorherzusagen, sondern auch, um zu berechnen, wie vulnerabel die Menschen vor Ort gegenüber solchen Wetterereignissen sind oder sein werden. Wie muss man sich das vorstellen?

Reichstein: Das gleiche Wetter kann sehr unterschiedliche Auswirkungen haben, je nachdem, wo man ist. Nehmen wir zum Beispiel die Flutkatastrophe im Ahrtal 2021. Dabei sind zweihundert Millimeter Niederschlag heruntergeregnet. Was den Niederschlag angeht, hatte ein sehr ähnliches Ereignis einige Zeit vorher in der Uckermark im Nordosten Deutschlands stattgefunden. Dort ist nichts passiert. Das hängt damit zusammen, dass die Landschaft in der Uckermark anders ist: Die Böden sind sandig, die Topografie ist flach und so kann das Wasser gemächlich abfließen. Solche Effekte muss man berücksichtigen, wenn man die Auswirkungen von Wetter auf bestimmte Orte ermitteln will.

Sind die Auswirkungen auch bei anderen Wetterlagen derart unterschiedlich?

Reichstein: Trockenheit wird mit dem Klimawandel in Deutschland zunehmend zum Thema. Um zu beantworten, welche Regionen, Wälder oder Äcker besonders gefährdet sind, gilt es, nicht nur die Zahl der niederschlagsfreien Tage zu zählen, sondern auch zu analysieren: Wie weit ist das nächste Gewässer entfernt? Wie hoch ist der Grundwasserspiegel? Sind wir auf der Süd- oder auf der Nordseite eines Gebirges? Was ist die Geländeform: Hügel, Senke oder flach? Diese Zusammenhänge sind sehr komplex und es gibt kein physikalisches Modell, das sie alle abbildet. KI dagegen kann all diese Punkte berücksichtigen.

Und woher nimmt man all diese Daten?

Reichstein: Viele dieser Fragen lassen sich mithilfe von Satellitendaten beantworten. Die sind ein echter Schatz.

Benson: Ein Schatz auch deshalb, weil wir mit Aussagen über die Vulnerabilität von Orten und Gesellschaften das Konzept der vorausschauenden humanitären Hilfe neu denken können. Die Idee dabei ist, schon im Vorfeld von Naturkatastrophen eine Region zu unterstützen, um widerstandsfähiger zu werden – zum Beispiel durch die Verwendung dürreresistenten Saatguts.

Hätte eine Katastrophe wie im Ahrtal mit einer guten KI-Vorhersage vermieden werden können?

Benson: Ob das im konkreten Fall vermeidbar gewesen wäre, ist schwer zu sagen. Im Ahrtal sind schließlich verschiedene Dinge zusammengekommen, es gab auch Defizite bei der Kommunikation und beim Katastrophenschutz. Aber ich denke, dass KI-Vorhersagen auf jeden Fall dabei helfen, künftig besser und detaillierter informiert zu sein.

Reichstein: Es gibt in solchen Fällen immer zwei Aspekte, der eine ist die meteorologische Vorhersage an sich. Tritt das Wetter wirklich so ein, wie es prognostiziert wurde? Das Ahrtal ist sehr klein. Weil die Vorhersagemodelle aber nicht so fein aufgelöst sind,ist eine genaue Vorhersage schwierig. Hier gibt es die Chance, das mit KI besser zu machen.

Und der zweite Aspekt?

Reichstein: Da geht es um Kommunikation. Was geschieht, wenn die Vorhersage genau so eintrifft? Da bekommen wir mit KI ganz neue Möglichkeiten. Wir könnten zum Beispiel auf Basis einer Vorhersage Luftaufnahmen generieren, die zeigen, welche potenziellen Folgen es hat, wenn sich die Wetterlage in die eine oder andere Richtung entwickelt.

Also: Wie hoch steht das Wasser, wenn es im Zeitraum X hundert Millimeter Niederschlag gibt? Und wie hoch bei zweihundert Millimetern? Wenn die Menschen anhand solcher Bilder besser verstehen, was eine Wetterlage für Auswirkungen hat, können sie besser vorsorgen. Das betrifft sowohl die Entscheidungsträger als auch die Bevölkerung.

KI hat oft ein Blackbox-Problem: Man trainiert ein Modell mit bestimmten Daten, weiß aber hinterher nicht genau, wie das Modell warum entscheidet.

Reichstein: Das ist definitiv ein großes Thema. Zum Glück gibt es auch schon Lösungsansätze dafür, zum Beispiel die sogenannte Explainable KI. Das ist KI, die erklärt, auf welcher Basis sie ein Ergebnis generiert hat. Die Ansätze davon sind bei den KI-Wettermodellen schon zu sehen.

Es ist sehr wichtig, diesen Weg konsequent weiter zu verfolgen. Eine andere Strategie ist es, die KI-Modelle nicht nur mit Beobachtungsdaten zu trainieren, sondern ihnen auch die physikalischen Grundlagen des Wetters beizubringen. Also genau die Gleichungen, die von der konventionellen Vorhersage genutzt werden. Welche Strategie langfristig die besten Ergebnisse bringt, werden wir noch erforschen müssen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.