Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Prognosen

Wettervorhersagen erinnern nicht nur daran, die Regenjacke einzupacken, sie können das Leben auch sicherer machen – wenn denn genügend Daten erhoben werden

Für manche Menschen ist die Sache klar: Hat ma den Schirm dabei, regnet es nicht, steht er zu Hause, kommt garantiert was runter. Doch in der Praxis ist es mit der Wettervorhersage ähnlich kompliziert wie mit dem Wetter. Denn während das Wetter einfach das macht, was ihm die physikalischen Gesetzmäßigkeiten vorschreiben – zum Beispiel Wolken abhängig von Faktoren wie Tropfengröße, Sinkgeschwindigkeit und Geschwindigkeit der aufsteigenden Luftmasse abregnen – müssen Wissenschaftler:innen, die Vorhersagen treffen, solche Vorgänge mit ihren Modellen möglichst gut nachstellen. Mehr noch: Sie sollen möglichst wissen, was das Wetter vor hat, noch bevor es das selbst weiß.

Die klassische, sogenannte numerische Vorhersage, beruht auf den physikalischen Gesetzmäßigkeiten, nach denen das Wetter funktioniert. Solche Modelle überziehen ihre Vorhersageregion, zum Beispiel die ganze Welt, ein einzelnes Land oder eine bestimmte Region, mit einem dreidimensionalen Gitternetz. Für jeden Punkt des Netzes werden dann Wetterparameter wie Temperatur und Luftdruck errechnet. Basis dafür sind mathematische Gleichungen und die aktuellen Messdaten aus den Wetterstationen. Von diesen numerischen Vorhersagemodellen gibt es mehrere. Bei globalen Modellen sind die Maschen des Netzes eher grob, ein Punkt innerhalb einer Masche lässt sich damit weniger genau vorhersagen. Bei den regionalen Modellen ist die Auflösung höher, die Netzmaschen also kleiner und die Vorhersagegenauigkeit für einen konkreten Punkt größer. Über die Jahrzehnte ist dieses Vorgehen immer besser geworden. So zeigen Wetter-Apps beispielsweise heute schon recht präzise, ob und wann es an unserem Aufenthaltsort in den nächsten Stunden regnen wird.

Auf der Weltkarte befinden sich gerade 16 rote Punkte. Sie liegen unter anderem in der brasilianischen Gemeinde Xapuri, am Songwe, dem Grenzfluss zwischen Tansania und Malawi, und nahe der südschwedischen Stadt Karlshamn. Mit diesen Punkten sollen die Pegelstände von Flüssen vorausgesagt werden. 1.800 in der Nähe von Flüssen gelegene Orte in 79 Ländern sind derzeit Teil des Projekts Floodhub, hinter dem der IT-Konzern Google steht. Die künstliche Intelligenz von Floodhub wertet laut dem Unternehmen für ihre Vorhersagen öffentlich zugängliche Datenquellen aus. Darunter sind vorhandene Wettervorhersagen, beispielsweise vom Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage, sowie Satellitenbilder. Der Vorhersagewert für einen Ort entsteht dabei aus einer Kombination von zwei verschiedenen Wettermodellen. Eines sagt die fließende Wassermenge eines Flusses vorher, und ein anderes prognostiziert den Pegelstand in einem bestimmten Gebiet. Diese Vorhersage reicht sieben Tage in die Zukunft. Je nach Warnstufe erscheint ein gelber (erhöht), roter (hoch) oder brauner (extrem) Punkt auf der Karte.

Aber warum lohnt sich das eigentlich? Wettervorhersagen sind einerseits ein Wirtschaftszweig. Nicht nur Menschen, die ungerne im Regen stehen, zahlen für eine gute Wetter-App, die in kleinteiligen Waben anzeigt, ob es bald schüttet. In der Landwirtschaft kann eine Vorhersage über die Arbeitsplanung der nächsten Tage oder Wochen entscheiden, und gleiches gilt für bei Dach­de­cke­r:in­nen oder die Festivalplanung.

Und natürlich geht es auch um den Klimawandel, durch den Extremwetterereignisse häufiger werden. Gab es eine bestimmte Form von Starkregen, Überschwemmung, Dürre oder Orkan in der Vergangenheit noch alle paar Jahrhunderte, kann sie nun alle paar Jahre auftreten. Die Wettervorhersage kann so zum Lebensretter werden, nämlich dann, wenn frühzeitig klar ist, dass eine bestimmte Region evakuiert werden muss. Oder, wenn es sinnvoll ist, die Besiedelung eines Ort grundsätzlich aufzugeben – weil Extremwetter das Leben dort zu gefährlich macht.

Niederschlag gilt als sehr schwierig zu vorhersagendes Wetterereignis, weil die dahinter liegenden physikalischen Prozesse so komplex sind. Ein Team von Wissenschaftler:innen der Pekinger Tsinghua University, der chinesischen Meterologiebehörde und der kalifornischen Universität Berkely hat es dennoch versucht.

Das von ihnen entwickelte KI-Modell heißt Nowcastnet. Es sagt die lokalen Niederschläge für die nächsten maximal drei Stunden vorher. Während andere KI-Wettermodelle ausschließlich mit vorhandenen Messdaten trainiert wurden, haben die Forscher:innen bei Nowcastnet diese um physikalische Gleichungen ergänzt. In der zugehörigen Science-Studie berichten die Autoren, dass das KI-Modell in 71 Prozent der untersuchten Vorhersagefälle besser als die führenden konventionellen Vorhersagen abschneide.

Doch Wetterdaten gibt es längst nicht aus allen Regionen der Welt. Wie sich das auswirkt, zeigt eine Studie, die das Fachmagazin Nature Climate Changeim Jahr 2020 veröffentlicht hat, und an der unter anderem die renommierte Klimaforscherin Friederike Otto beteiligt war. Demnach sind für Afrika südlich der Sahara seit Beginn des 20. Jahrhunderts lediglich zwei Hitzewellen verzeichnet worden, die zu 71 vorzeitigen Todesfällen führten. In Europa sind derweil Hitzewellen die tödlichsten Extremwetterlagen. Hier seien im selben Zeitraum 83 Hitzewellen registriert worden, die zu mehr als 140.000 Todesfällen führten. Das liegt daran, dass in Europa deutlich mehr Daten erhoben werden.

Im Winter löste das Modell Graphcast von Googles KI-Schmiede Deepmind einen kleinen Hype aus. Das Versprechen: Wettervorhersagen für die kommenden zehn Tage innerhalb von weniger als einer Minute und mit einer vom Unternehmen beworbenen „nie dagewesenen Genauigkeit“. Die KI wurde dafür mit historischen Wetterdaten aus den Jahren 1979 bis 2017 vom Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage trainiert. In einer Science-Studie, in der Graphcast mit einem renommierten konventionellen Modell verglichen wurde, schlug sich die KI gut. In 90 Prozent der Fälle sagte sie diverse Parameter wie Temperatur und Wind genauer vorher als das konventionelle Modell, und auch bei der Vorhersage von Extremwetterlagen schnitt die KI besser ab.

Allerdings weist Christian Herold, Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst, darauf hin, dass Graphcast mit einer gröberen Auflösung arbeite. In der Praxis führe das dazu, dass kleinteilige Wetterphänomene nicht richtig oder gar nicht erfasst werden. Außerdem, so Herold, schneide es bei unsicheren Wetterlagen, in denen klassischerweise Ensembles benutzt werden, schlechter ab. Bei Ensembles gibt es mehrere Durchläufe eines Wettermodells mit jeweils leicht unterschiedlichen Ausgangsbedingungen, aus denen sich dann ein Mittel bilden lässt. Graphcast habe zwar besser abgeschnitten als jeder Einzellauf, aber schlechter als das Mittel.

„Um zu verstehen, wie sich extreme Wetterereignisse im Zuge des Klimawandels verändern, braucht man Wetterstationen, die Daten sammeln. Aufgrund mangelnder Kapazitäten und Finanzierung sind die sich verändernden Wetterextreme im globalen Süden, insbesondere in Afrika, nur unzureichend bekannt“, sagt Otto. Der afrikanische Kontinent habe am wenigsten zu den globalen Treibhausgasemissionen beigetragen, sei aber am stärksten betroffen. Die Expertin fordert deshalb die Länder des globalen Nordens auf, Verantwortung zu übernehmen: „Aus Gründen der historischen Gerechtigkeit ist der entwickelte Norden verpflichtet, für Klimaschäden und -verluste in Afrika aufzukommen und Mittel zur Finanzierung der Wetterüberwachung und der Klimawissenschaft bereitzustellen.“