Graphic Novels über Franz Kafka: Dunkle Anziehungskräfte

Kafka zu interpretieren, ist für Zeichner herausfordernd. Im Jubiläumsjahr versuchen es der Cartoonist Mahler und der Comiczeichner Danijel Žeželj.

Eine abstrakte Comiczeichnung eines Meeres. Auf der linken Bildseite ist ein Boot zu sehen, dort steht augenscheinlich ein Mensch an Deck.

aus „Komplett Kafka“ Illustration: Nicolas Mahler

„Als Franz Kafka eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seiner Gruft in eine groteske Comicfigur verwandelt.“ Mit dieser leichten Abwandlung der Anfangssätze von Franz Kafkas „Die Verwandlung“ könnte man das schmale Büchlein beschreiben, das gerade zum 100-jährigen Todestag des Schriftstellers bei Suhrkamp erschienen ist.

„Komplett Kafka“, so der Titel, wurde von Nicolas Mahler, einem bekannten österreichischen Cartoonisten und Comic­zeichner verfasst. Seit einigen Jahren ist „Mahler“, wie er sich selbst verkürzt nennt, auch als Autor von Gedichten hervorgetreten. Anfang des Jahres wurde er zum künstlerischen Leiter der Schule für Dichtung in Wien berufen.

Sein Interesse an der literarischen Moderne hat Mahler bereits in vielen zeichnerischen Arbeiten dokumentiert. So hat er Marcel Prousts monumentalen Romanzyklus, „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, James Joyces „Ulysses“ und Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ in auffallend kompakte Comics verwandelt.

Vorlieben und Obsessionen

Ob diese nun als Graphic Novels bezeichnet werden sollten, oder doch eher als gezeichnete Hommagen, ist eine spitzfindige Frage. Ein satirischer Ansatz ist bei jedem neuen Mahler nicht zu leugnen, denn seine mit reduziertem Strich gezeichneten Comics stellen ihren Gegenstand stets auch auf den Prüfstand. Sie legen Konstruktionen und Vorlieben, wenn nicht gar Obsessionen der jeweiligen „Großschriftsteller“ bloß. Zugleich vermeidet er, die Werke platt zu veralbern, betrachtet sie stattdessen durchaus analytisch.

Nicolas Mahler: „Komplett Kafka“. Suhrkamp Verlag, Berlin, 2024, 127 Seiten, gebunden, 18 Euro

ders.: „Kafka für Boshafte: Handreichung zum Gemeinsein.“ Insel Verlag, Berlin, 2024, 127 Seiten, Broschur, 12 Euro

Danijel Žeželj: „Wie ein Hund“. Avant Verlag, Berlin, 2024, 104 Seiten, Softcover, 22 Euro

Nun also Kafka. Mahler skizziert sein ganzes Leben, vom Aufwachsen im bürgerlichen Milieu Prags, als Teil der deutschsprachigen jüdischen Gemeinschaft. Hermann Kafka, Franz’ autoritärer Vater, zeichnet Mahler als monströsen Golem, eine bekannte mythologisch-literarische jüdische Figur, die dem jungen Kafka viel Angst einjagt, ihn geradezu traumatisiert und zum berühmten „Brief an den Vater“ inspirieren wird.

Der junge Schriftsteller wird als dünner Strich mit Mittelscheitel und Segelohren gezeichnet, ein zerbrechliches Wesen, das zeitlebens unter Selbstzweifeln leidet. Mahler hat seine Comicbiografie als knappen Text angelegt, den er mit ausgesuchten Zitaten Kafkas (und gelegentlich von Max Brod, Kafkas Freund und erstem Nachlassverwalter) versieht.

Aufs Äußerste reduziert
Eine Zeichnung zwei-geteilte Zeichnung. In der oberen Bildhälfte ist ein Mann in der Nahaufnahme zu sehen, er wendet sein Gesicht nach oben und fängt mit seinen Händen Regentropfen auf. In der unteren Bildhälfte ist der Mann aus größerer Distanz abgebildet, er steht auf einer Wiese, mit ausgestreckten Armen und erhobenen Gesicht gegen den herabfallenden Regen gewandt.

aus: Wie ein Hund Illustration: Danijel Zezelj

In seine Erzählung bindet er pointierte Illustrationen ein, die Kafkas Leben darstellen, sowie Comicsequenzen, die in wichtige Werke des Schriftstellers einführen. „Die Verwandlung“ und „Ein Hungerkünstler“ erzählt er knapp und aufs Äußerste reduziert, sodass ein eigener Witz entsteht, das Wesen der Erzählungen aber erhalten bleibt.

Ebenso verfährt er mit den Romanfragmenten wie „Der Prozess“ und gibt dabei Hinweise zur Interpretation oder zur Entstehungszeit. So vergleicht er „Das Schloss“ mit dem ebenso dominanten Schloss in Friedrich Wilhelm Murnaus Vampir­film „Nosferatu“, der etwa zur selben Zeit um 1922 entstand.

Auch macht er auf die Rezep-tion zu Kafkas Lebzeiten aufmerksam, in der viele Zeitgenossen zum Beispiel das heute unstrittige Meisterwerk „Die Verwandlung“ als „phantasielos und langweilig“ einschätzten. Besonderes Augenmerk legt Mahler auch auf den Beziehungsmenschen Kafka, der jahrelang mit Felice Bauer verlobt war und dessen Briefe Aufschluss über seine Gedanken gaben.

Breiter Pinselstrich

Nicht zuletzt ist Mahlers zeichnerisch-essayistischer Versuch über Kafka auch eine Reminiszenz an den Zeichner Franz Kafka. Erst 2022 veröffentlichte Andreas Kilcher im Verlag C. H. Beck eine umfangreiche Würdigung dessen zeichnerischen Schaffens. Mahlers eigener Stil, ein breiter Pinselstrich mit vorwiegend schwarzer Tusche, zitiert ikonische Zeichnungen Kafkas – meist vereinzelte, stark abstrahierte Figuren – geschickt, ohne sie zu kopieren.

In einem weiteren neuen Band – „Kafka für Boshafte“ (Insel Verlag) – trägt Mahler Zitate Kafkas aus den Briefen und Tagebüchern zusammen, die vor allem viele selbstquälerische Einsichten enthalten, und illustriert sie ebenso prägnant.

Wie vielleicht kein anderer Autor der Moderne inspirierte Kafka Comiczeichnerinnen und -zeichner zu Adaptionen seiner Erzählungen. Vielleicht liegt es am Verrätselten, Mehrdeutigen seiner Prosa, die die künstlerische Fantasie anstachelt. Doch sind viele daran gescheitert, dass sich Kafkas bildstarke Erzählungen beim Lesen des Textes im Kopf entfalten, und gezeichnete Versionen oft doch rein illustrativ ausfallen.

Collage mehrerer Texte

Der kroatische Comiczeichner und Multimediakünstler Da­ni­jel Žeželj hat sich für seine im Avant Verlag erschienene Graphic Novel „Wie ein Hund“ Kafkas Erzählung „Ein Hungerkünstler“ vorgenommen, sie aber nicht ein zu eins adaptiert, sondern als Collage mehrerer Texte Kafkas angelegt.

Dabei verzichtet er wie die meisten Kafka-Illustratoren gänzlich auf Farbe und setzt auf kontrastreiche schwarz-weiße Tusche. Die Zeichnungen er­innern so an scharfkantige Scherenschnitte und an Siebdrucke.

Žeželj steht ästhetisch der Urban Art nahe, und ihm gelingt eine düstere Schilderung des Lebens im Zirkus, der ihm als Folie für ein erbarmungsloses Gesellschaftsbild dient. Der Hungerkünstler wird so zum Tode Verurteilten im Käfig.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.