Schreibworkshop „Wortshift“: Worte suchen im Grünen

Was macht man aus alter Literatur? Neue! 22 Nach­wuchs­au­to­r*in­nen hatte der Literaturverein Osnabrück dafür zum Workshop „Wortshift“ eingeladen.

Zwei junge Männer sitzen auf einer Terasse hinter Laptops.

Wortshift: Schreiben kann ein geselliger Prozess im Grünen sein Foto: Christa Henke/Literaturverein Osnabrück

Warum produziert ein Mensch Literatur? Woher nimmt er den Mut, „die eigenen Gedanken ungeschützt hinausschreiben zu wollen“, fragt Alissa Geffert in ihrem Essay „Aus Neigung. Schreiben als Existenzform“. In ihre Antwort schreibt sie ein großes, nicht nur dunkles Wort: „Angstlust“.

Geffert war eine der 22 TeilnehmerInnen des dreitägigen Schreibworkshops „Wortshift – Literatur neu denken“ des Literaturvereins Osnabrück. Mitte September 2023 waren sie aus Deutschland und Österreich im niedersächsischen Bad Iburg zusammengekommen, ausgewählt aus 55 BewerberInnen zwischen 16 und 30 Jahren.

Ihre Aufgabe: Texte aus der Epoche der klassischen Moderne in heutige Werke zu transformieren. Unterstützt wurden sie dabei von vier Schreibprofis, der freischaffenden Autorin Gitta Edelmann, Kommunikationstrainerin Sabine Reins, tazler Benno Schirrmeister und Songwriter Fabian von Wegen.

Ausgangspunkt waren AutorInnen von Franz Kafka bis Vicki Baum, von Arthur Schnitzler bis Lou Andreas-Salomé, von Virginia Woolf bis Oscar Wilde. Im Anschluss gab es eine sechswöchige digitale Nachbegleitung bis zur Druckreife: Die 22 entstandenen Texte erscheinen nun im Osnabrücker Secolo-Verlag als Anthologie, manche in gekürzter Form. Vollständig sind sie auf der Projekt-Website abrufbar.

Claudia Lowin, Dramaturgin und Mitglied der Jury

„Die Auswahl ist natürlich sehr subjektiv“

„Das Projekt war ein Wagnis“, sagt Manuela Lagemann, Verlegerin und erste Vorsitzende des Literaturvereins. „In dieser Form hatte es das ja noch nicht gegeben. Aber der Austausch unter den Teilnehmenden war sehr offen, das gemeinsame Arbeiten intensiv.“ Die drei Tage in Bad Iburg beschreibt sie als „wundervoll entspannt“.

Dass der Bewerbungsflyer ankündigt, dass am Ende „die drei besten Texte“ prämiert würden, habe nicht zu Konkurrenzdenken geführt, glaubt Lagemann: „Niemand hat nur teilgenommen, um zu gewinnen.“ Die Preise seien ein Anreiz und „als Talentförderung wichtig, aber im Grunde nur das Sahnehäubchen“. Entscheidend sei der Prozess gewesen, „das Miteinander“. Es ging um Methoden-Input, von der Schreibstrategie bis zur Lesetechnik. Es ging um Kleingruppen-Arbeit und Individual-Schreibzeit. Es ging um die Komprimierung der Zwischenergebnisse zu Elevator-Pitches.

„Das Miteinander war sehr solidarisch“, bestätigt Alissa Geffert der taz. Man habe tolle, sehr unterschiedliche Leute kennengelernt. „Das war eine gute Erfahrung.“ Aber natürlich sei zu spüren gewesen, dass dem Ganzen ein Wettbewerb zugrunde liegt. Sie sieht die Jurierung kritisch. „Zumal in den Pitches war klar: Man konkurriert miteinander.“

Der Abgeschiedenheit des „Landidyll“-Gasthofs von Bad Iburg gleich am Saum des Teutoburger Waldes und mit Trampolin im Garten, attestiert sie eine gewisse Absurdität, Skurrilität: „Zuweilen war das ein Gefühl, als sei die Zeit stehengeblieben.“ Aber das trügt natürlich, und drei Tage sind kurz. Für Geffert hatten sie gereicht, „ein Gerüst anzulegen“. Wirklich ins Schreiben gekommen sei sie aber erst hinterher. „Gut war die große Freiheit bei der Form“, sagt sie. „Alle hatten von Zeit zu Zeit dieselbe Angst, ihre Ansprüche an sich selbst nicht erfüllen zu können.“ Angst: Da ist das Wort wieder.

Ein Autor, der als Inspirationsquelle gedient hatte, ist Stefan Zweig, sodass das Salzburger Stefan-Zweig-Zentrum guten Gewissens ins Projekt einsteigen konnte. Dessen Direktor, der Literaturwissenschaftler Arturo Larcati, fragt Mitte April im Festvortrag, wenn alle Schreibenden zum Buch-Launch mit gemeinsamer Lesung zusammenkommen: „Was macht lesenswerte Literatur aus?“

Das passt, denn Larcati gehört zur Jury, musste also das Bessere vom Weniger-Guten trennen. Das ist schwer, denn die Ergebnisse haben sehr unterschiedliche Formen, Prosa, Lyrik, Szenische Entwürfe, Roman, alles mit dabei. Ein Text liest sich wie ein Patientenbericht, einer wie Social-Media-Posts, ein anderer beginnt wie ein Drehbuch. Es gibt Musikalisches, Illustriertes. „Die Auswahl ist natürlich sehr subjektiv“, sagt Claudia Lowin, Dramaturgin am Theater Osnabrück, auch sie in der Jury.

Buch-Launch mit Lesung, Vortrag, Preisverleihung: Sa, 13. 4., 16.30 Uhr, Bühne 11, Spichernstr. 11, Osnabrück

Buch „Wortshift – Die Anthologie“. Secolo, Osnabrück, 154 S., 12 Euro

Kriterien hat die sich allerdings schon gegeben. Die JurorInnen haben auf äußere wie innere Logik geachtet, auf die Glaubwürdigkeit der Figuren, und die Atmosphäre, die dem Text entströmt. Auch haben sie die Autonomie des Textes gegenüber der Vorlage bewertet. Denn die Entstehung von Neuem war das Ziel, nicht die Fortsetzung von Altem. Und das sei gelungen, sagt Reins: „Natürlich sind die Wurzeln wichtig. Aber wichtiger ist, was heute aus ihnen erwächst.“

„Wir wollten einen Ort erschaffen, an dem etwas geschehen kann, einen Ort gegenseitiger Wertschätzung“, sagt Dorit Schleissing-Stengel, Repräsentantin der Osnabrücker Felicitas-und-Werner-Egerland-Stiftung, die „Wortshift“ unterstützt hat. „Also haben wir einen breiten Teppich ausgerollt.“ Lagemann sieht in „Wortshift“ einen Hoffnungsboten: „Die Wortlosigkeit vieler Menschen ist ja erschreckend.“ Die 22 von Bad Iburg leiden nicht an ihr.

Einer von ihnen ist Lukas Nünnerich. „Ich glaube, dass die Wirkung des Workshops sehr nachhaltig ist“, sagt er. „Er hat das Handwerkszeug verbessert, auch für kommende Texte. Und er hat gezeigt, wie gut es manchmal ist, verschiedene Herangehensweisen zu erproben“, so sein Resümee. Nünnerich ist in der Wortshift-Anthologie mit der Kurzgeschichte „Spiegelbild“ vertreten. „Da bin ich, und der Rest“, beginnt sie.“ Der Bahnhofsplatz am Abend: eine Mischung aus Pisse- und Grasgeruch, feine Regenstreifen, die sich mit Achselschweiß vermischen.“ Ein Anfang, der Lust macht, bis zum Ende zu lesen.

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