berliner szenen
: Ein Streik, der sich ge­waschen hat

Unser Land ist im Aufruhr. Alle arbeiten zu viel und verdienen zu wenig, kämpfen tagtäglich mit absurder Bürokratie und bekommen doch nicht die Anerkennung, die ihnen gebührt. Das gilt nicht nur für Werktätige, sondern auch für RentnerInnen. Seit Jahren bin ich einer. Wir Rentner haben es satt und planen einen Streik, der sich gewaschen hat.

Neulich ging ich mit meinen Enkelkindern im Monbijoupark spazieren. Die Eltern waren anderweitig beschäftigt. Auf einer Bank saß ein Gleichaltriger und wir kamen ins Gespräch. Er hatte zwei Hunde dabei, von Nachbarn, die sich gerade nicht kümmern konnten. Auch er leidet wie ich unter dem Rentnerparadox. Das heißt, wir Rentner und Rentnerinnen haben offiziell nichts zu tun, aber trotzdem nie Zeit. Wir sind immer verfügbar, sind zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit, andern helfend zur Seite zu stehen. Enkelkinder müssen behütet werden, der Pfirsichbaum der Nichte beschnitten, ein tropfender Wasserhahn gewechselt, Lisas Kühlschrank von A nach B transportiert, Schokokekse für Joels Geburtstag gebacken, bei Heidi der Rasen gemäht, Mutter mit Baby zum Arzt gefahren und wir holen auch schon mal mitten in der Nacht den Neffen vom Bahnhof ab. Wir haben keine Zeit mehr für uns selbst.

Das muss ein Ende haben. Wir müssen streiken. Unsere Demonstration wird riesig sein. Zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor wird es kein Durchkommen geben. Alle sind wir da mit unseren Kinderwägen, Wasserrohrzangen und Rasenmähern. Die Republik wird erstarren. Unsere Forderungen stehen noch nicht fest, aber sie werden gewaltig sein. Ich persönlich plane, unsere Verjüngung um mindestens 15 Jahre zu fordern. Meine Frau hält das zwar für ausgemachten Blödsinn, aber bisher habe ich sie am Ende immer überzeugen können. Detlef Wittenberg