die ortsbegehung: Was vom Berliner Müll übrig bleibt

Im Müllheizkraftwerk Ruhleben landen angebrochene Milchtüten genauso wie verschimmelte Kühlschränke. Wie es damit weitergeht und was übrigbleibt.

Stilisierte Zeichnung einer Eisenkralle, die nach einer Milchtüte greift.

Plastik, Papier und verschimmelte Milch? Das landet mit hoher Wahrscheinlichkeit in Ruhleben Foto: Jeong Hwa Min

BERLIN-RUHLEBEN taz | Mit dem Müll ist es wie mit dem Denken. Da geht es in erster Linie um das Trennen. Deshalb gibt es auf dem Recyclinghof Brunsbütteler Damm im Westen Berlins auch so viele Wannen. Da gibt’s zum Beispiel Kühl- und Gefriergeräte und Laubsäcke, und da gibt’s Sachen, die da reingehören, zum Beispiel ein Kühlschrank oder eben Laub.

Und Sachen, die da nicht reingehören, zum Beispiel der verschimmelte Inhalt des Kühlschranks. Wobei der Kühlschrank vielleicht auch nicht reingehört hätte, wenn nicht der eklige Inhalt gewesen wäre.

Nur ein paar Kilometer vom Recyclinghof entfernt kommt all das an, was die Berlinerinnen und Berliner nicht mehr getrennt bekommen haben. Ein süßlicher Geruch liegt hier in der Luft. Adresse: Freiheit 24–25. Und Befreiung ist hier auch das Motto. Denn das Müllheizkraftwerk Ruhleben befreit Berlin von seinem Müll.

Deine angebrochene Milchtüte kommt nach Ruhleben

580.000 Tonnen Restmüll werden hier jährlich verbrannt. Das sind über acht Millionen Kühlschränke oder elfmal die „Titanic“. Dabei ist das nur der Restmüll aus Privathaushalten. Und nicht einmal der ganze. Die übrigen 420.000 Tonnen wandern entweder in die mechanisch-physikalische Stabilisierungsanlage in Pankow (wo sie zu Brennstoff verarbeitet werden) oder zu privaten Unternehmen.

Aber wenn du in Berlin deine angebrochene Milchtüte in den Restmüll wirfst, weil irgendwie nicht ganz klar ist, ob Plastik oder Papier, zumal ja noch verschimmelte Milch drin ist, dann landet sie mit hoher Wahrscheinlichkeit in Ruhleben.

Das heißt, natürlich landet sie erst mal in der Tonne vor dem Haus. Dann wird sie in aller Frühe abgeholt. Wahrscheinlich von einem Müllmann, denn bei der Berliner Stadtreinigung (BSR) sind über 80 Prozent Männer. In einer langen Schlange stehen die Müllabfuhren aus der ganzen Stadt dann mittags vor den Toren zu den Müllgruben.

Eisenkralle über Müllbergen

Wenn sie einem Tor zugeordnet worden sind, können sie vorfahren, Hinterteil zuerst. Der Fahrer lässt das Heck herunter, und dann purzelt die Milchtüte, zusammen mit ihren Tütengenossen, in die gigantische Halle. Rundherum Beton und Berge über Berge von Müll. Zwanzig Meter über ihr schwebt dann eine Kralle aus Eisen. Der Kranpilot, oben in seinem Glashaus, hebt immer mehrere Tonnen Müll gleichzeitig weg vom Eingangstor und schließlich in die Luke zum Verbrenner.

Durch die dicken, verkratzten Scheiben in einem handgroßen Eisenkasten an der Wand sieht man die Flammen. Hier brennt, was Berlin nicht mehr braucht. Auf Walzenrosten wandert die Milchtüte eineinhalb Stunden lang durch einen von vier über tausend Grad heißen Kesseln.

„Schönes Feuerungsbild“, murmelt man in der Zentrale, wenn über die sechzig Tonnen Müll – heißt über 800 Kühlschränke – gleichmäßig rote Flammen züngeln. Die Milchtüte verwandelt sich mit dem meisten Restmüll zu Asche und Glut. Wobei sich das natürlich leicht hätte verhindern lassen, hätte man sie in die gelbe Tonne geworfen.

Tag und Nacht brennt es in den Kesseln. Tag und Nacht wird auch Müll nachgeschüttet. Nur einmal im Jahr werden die Kessel einzeln zur Wartung abgeschaltet. Die Hitze erzeugt Wasserdampf, der in großen Rohren über eine Hecke weiter an das Vattenfall-Werk nebenan geleitet wird. Fünf Prozent der Berliner Haushalte werden mit dieser Energie versorgt. Die Erlöse verringern die Abgaben für die Müllabfuhr.

Was am Ende der eineinhalb Stunden noch übrig ist, kann nicht mehr auf gefährliche Weise chemisch reagieren. Man dürfte es vergraben, wenn man wollte. Aber jetzt setzt die Trennung doch noch ein. Die ascheartigen Reste werden verwendet, um die Mülldeponien zu formen, die die BSR rund um Berlin schließen und abdichten muss. Davon getrennt wird der Eisenschrott. Und der wiederum in gute und schlechte Metalle unterteilt und verkauft.

Der letzte Rest ist Filterstaub

Aber nicht alles ist kreislauftauglich. Unentwegt quillt Rauch aus dem Schornstein, der aus dem Fabrikgelände ragt. Wie viel CO2 im Jahr ausgestoßen werden, wollten weder Vattenfall noch die Berliner Stadtreinigung mitteilen. Früher sind mit diesem Rauch auch noch alle möglichen Giftstoffe in die Atmosphäre gewabert.

Seit 1986 wird er allerdings gefiltert. Ganz am Ende der Kette bleibt neben dem unbeliebten CO2 also noch ein Rest, der sich dem Kreislauf widersetzt. An den Filtern, durch die der Rauch zieht, lagert sich gelber Staub ab. Es sind Giftstoffe. Von 580.000 Tonnen Restmüll bleiben jährlich 11.000 Tonnen Filterstaub.

Diese 11.000 Tonnen sind die konzentrierte Ausscheidung unserer Hauptstadt. Sie werden in Salzminen in Sachsen-Anhalt vergraben. Jedes Jahr 200 Kühlschränke.

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