Straßenumfrage zum Einbürgerungstest: Und wer wird diesmal ausgebürgert?

Vor dem Erwerb der Staatsbürgerschaft wird künftig Wissen zu jüdischer Geschichte und Israel abgefragt. Hilft das, Antisemiten draußen zu halten?

Eine Straßenansicht mit der Kuppel einer Synagoge

Die Oranienbuger Straße in Berlin mit der Kuppel der Neuen Synagoge Foto: Jürgen Ritter/imago

Das jüdische Gebetshaus heißt Synagoge, die größten jüdischen Gemeinden in Deutschland gibt es in Berlin und München, und zur Vernichtung Israels aufzurufen, ist hierzulande verboten. Nur, dass Sie Bescheid wissen: Das sind die richtigen Antworten auf einige der Fragen, die das Bundesinnenministerium für den neuen Katalog des Einbürgerungstests entworfen hat.

Mit den zehn neuen Fragen zu jüdischer Geschichte, Israel und Antisemitismus will die Politik im Lichte des Hamas-Massakers am 7. Oktober und vermehrten antisemitischen Übergriffen Judenhasser ausfindig machen, bevor sie eingebürgert werden. Der Spiegel, der als Erstes über den neuen Katalog berichtete, schrieb in seiner Dachzeile: „Schutz vor Antisemiten“. Ähnlich äußerte sich auch Innenministerin Nancy Faeser: „Wer unsere Werte nicht teilt, kann keinen deutschen Pass bekommen.“ Und weiter: „Antisemitismus, Rassismus und andere Formen der Menschenverachtung schließen eine Einbürgerung aus.“

Nun lässt sich sicherlich anzweifeln, ob das Abfragen von Tatsachen in Bezug auf Israel und Jüdinnen wirklich davor schützen kann, dass Antisemiten den deutschen Pass erhalten. Ich würde annehmen, dass Menschen mit einem antisemitischen Weltbild wahrscheinlich überdurchschnittlich gut Bescheid wissen, wann etwa der Staat Israel gegründet wurde.

Aber eins nach dem anderen. Zunächst wollte ich wissen, wie gut die Menschen in Berlin die neuen Wissensfragen beantworten können. Die geschäftigen Passantinnen an der Friedrichstraße zum Reden zu bekommen war dabei gar nicht so einfach. Eine ältere Dame möchte nichts mit Einbürgerungstests zu tun haben. „Hören Sie mal, ick wohn seit vierzig Jahren in Berlin, da brauchen sie mich nicht einbürgern“, schimpft sie. „Ick halte von der Scheiße nichts.“ Ob sie Einbürgerungen an sich oder die dafür notwendigen Tests meinte, ließ sich auf die Schnelle nicht mehr klären.

Entglittene Gesichtszüge

Ein älterer Herr dagegen ist etwas zu gesprächsbereit. Er will lieber über die großen Menschheitsfragen wie Umwelt und Religion sprechen, anstatt meine langweiligen Quizfragen zu beantworten. Als er dann vom „sogenannten Holocaust“ redet, ordne ich meine entglittenen Gesichtszüge neu, berichte von meinem neuerlichen Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau und sage, ich muss jetzt wirklich mit meiner Umfrage weitermachen.

Bei der kam raus: Trotz vorgegebener Multiple-Choice-Antworten wusste keiner der zehn von mir Befragten, vor wie vielen Jahren es erstmals eine jüdische Gemeinde auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands gab (richtig: vor etwa 1.700 Jahren). Sechs Passanten konnten mir hingegen sagen, auf welcher rechtlichen Grundlage der Staat Israel gegründet wurde: einer Resolution der Vereinten Nationen. Und auf das richtige Strafmaß für Holocaustleugnung hierzulande – Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe – tippte die Hälfte der zehn Teilnehmerinnen.

Trotz teilweiser Wissenslücken (und einem dringenden Antisemitismusverdacht) habe ich von keinem der Befragten den Pass eingefordert: Auch wegen der Erfahrungen der Nazizeit liegen die Hürden für eine Ausbürgerung hoch. Gleichzeitig wird der Einbürgerungstest auch keine Hürde für Antisemiten sein, egal was Nancy Faeser sagt. Der neue Vorstoß zeigt nur einmal mehr die bürokratische Behäbigkeit und Selbstgefälligkeit des deutschen Staates im Umgang mit Antisemitismus. Ein Umgang, der im schlimmsten Fall dazu führt, dass er Migrantinnen unter Generalverdacht stellt.

Ein solches Beigeschmäckle hat der neue Einbürgerungskatalog auch, wenngleich er bei Weitem nicht das eklatanteste Beispiel ist. Sachsen-Anhalt etwa fordert Migranten vor der Einbürgerung nun auf, sich zum „Existenzrecht“ Israels zu bekennen – ohnehin ein merkwürdiges Konzept, das anzunehmen scheint, dass Staaten für sich selbst ein Daseinsrecht hätten und nicht vielmehr Völker ein Selbstbestimmungsrecht, was einzig Sinn ergibt.

Denken Sie auch an die reihenweise Verbote propalästinensischer Kundgebungen in Deutschland, übrigens auch schon vor dem 7. Oktober. Aus meinem Bekanntenkreis habe ich von Syrern mit palästinensischen Wurzeln gehört, die demonstrieren wollten, aber nicht gingen, weil sie Angst hatten, abgeschoben zu werden. Diese Angst ist zum Glück noch unbegründet. Doch sie wird sicherlich angeheizt durch die völkischen Forderungen aus der AfD, Staats­bür­ge­r:in­nen mit nicht-deutschem Hintergrund massenhaft zu deportieren, sowie durch den härteren Migrationskurs, mit dem auch die etablierten Parteien jetzt kokettieren.

Bei dieser Gemengelage wundert es kaum, dass sich viele arabischstämmige Menschen derzeit von Deutschland entfremden. Auch diese Entwicklung sollte die Gesellschaft ernst nehmen – was den Kampf gegen­ Antisemitismus nicht in Abrede stellt, im Gegenteil. Der neue Fragenkatalog tut leider nichts davon. Aber immerhin können die Verantwortlichen so tun, als ob.

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Jahrgang 1996, Studium der Politikwissenschaft und Nordamerikastudien in Berlin und Paris. Seit April 2023 Volontär der taz Panter Stiftung. Schreibt über internationale Politik, Klima & Energie, und Kultur.

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