Restitutionsverfahren reformiert: Gerechtigkeit für Nachfahren

Die Restitution von NS-Raubkunst an die Erben der Bestohlenen wird leichter. Verfahren können gegen den Willen der Besitzer eingeleitet werden.

Besucher:innen in einer Ausstellung.

Das Bild Madame Soler von Picasso in der Pinakothek der Moderne in München 2012 Foto: Felix Hörhager/dpa/picture alliance

Nach jahrelangem zähem Ringen will die Bundesrepublik den Erben von während der NS-Zeit geraubten Kunstwerken eine Rückgabe ganz wesentlich erleichtern. Das beschloss am Mittwochnachmittag eine Bund-Länder-Runde unter Beteiligung kommunaler Spitzenverbände in Berlin.

Die Landeskulturminister und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) verständigten sich dabei auf ein entscheidendes Detail. Bisher können Verfahren zur Restitution von mutmaßlicher NS-Raubkunst in öffentlichem Besitz nur dann in Gang kommen, wenn nicht nur die Erben, sondern auch der jetzige Besitzer – also beispielsweise ein Museum – dem zustimmen. Damit ist es dem möglichen Profiteur eines Nazi-Diebstahls möglich, eine Eigentumsüberprüfung durch die Beratende Kommission NS-Raubkunst zu blockieren.

Dementsprechend sind Verfahren vor der Kommission höchst selten – in den knapp 21 Jahren seit deren Existenz kam es nur zu gut zwei Dutzend Entscheidungen. Zwischen 1933 und 1945 entzogen die Nazis aber in hunderttausenden Fällen durch Raub und Diebstahl insbesondere Jüdinnen und Juden ihre Kunstgegenstände und wertvolle Bücher.

Künftig soll es möglich sein, ein solches Verfahren auch gegen den Willen des jetzigen Besitzers in Gang zu bringen. Der Profiteur des Diebstahls kann eine Rückgabe also nicht mehr verhindern. Bayern hatte sich lange gegen eine solche Neuregelung gesperrt. Dort ist ein Restitutionsverfahren um das Picasso-Gemälde „Madame Soler“ bisher nicht in Gang gekommen, weil sich die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen dem Verfahren vor der Kommission NS-Raubkunst widersetzten.

Erklärungen sollen bindend werden

Die Verfahren sollen zudem rechtssicher gemacht werden. Bis dato sind die Entscheidungen der Kommission NS-Raubkunst nur Empfehlungen, denen nicht zwingend gefolgt werden muss. In Zukunft sollen diese Erklärungen einen bindenden Charakter haben. Bei Konfliktfällen kann eine Berufungsinstanz ein endgültiges Urteil fällen. Die Möglichkeiten der Provenienzforschung in den Verfahren sollen zudem gestärkt werden.

In der Koalitionsvereinbarung versprach die rot-grün-gelbe Bundesregierung noch eine Stärkung der Beratenden Kommission NS-Raubkunst. Nun soll diese zehnköpfige Kommission aufgelöst und durch ein Schiedsgericht ersetzt werden, dessen personelle Zusammensetzung unklar bleibt. Insider vermuten, dass diese Entscheidung mit der Unzufriedenheit besonders konservativer Politiker mit einzelnen Entscheidungen der Kommission zusammenhängt.

Für besonderen Unmut sorgte 2021 die Empfehlung, das Gemälde „Die Füchse“ von Franz Marc an die Erben des früheren Besitzers zu restituieren, obwohl dieser, ein jüdischer Bankier, das Bild auf einer Versteigerung in New York zu einem angemessenen Preis verkaufen konnte – ein Raub durch die Nazis lag also nicht vor. Die Kommission argumentierte jedoch, der Verkauf sei verfolgungsbedingt erfolgt. Kritiker sahen mit dieser Entscheidung die Eigentumsrechte heutiger Besitzer tangiert. Die Neuregelung der Restitution von NS-Raubgut soll schon zum Jahresende 2024 in Kraft treten.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) nannte den Beschluss einen „großen und wichtigen Fortschritt, um die Rückgabe von NS-Raubkunst sehr deutlich zu verbessern“. Der hessische Kulturminister Timon Gremmels (SPD) sprach von einem „wichtigen Schritt für ein beschleunigtes und transparentes Restitutionsverfahren“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.