Zurück zur Kindheit in Oldenburg: Erwachsener im Rückwärtsgang

Ermahnt die Eltern und bestärkt die Kinder: „Die große Entwunderung des Wilbur Whittaker“ gerät in Oldenburg zu anregendem Familientheater.

Szenenbild aus "Die große Entwunderung des Wilbur Whittaker"

Auf dem Weg zum Kind: Wilbur Whittaker Foto: Stephan Walzl

OLDENBURG taz | Kindern können gar nicht früh genug davor gewarnt werden – davor, im Erwachsenenleben nicht zu verspießern. Sie sind also nachdrücklich zu animieren, die neugierige Haltung des Staunens, Fragens und Ahnens beizubehalten.

Schon damit Erwachsene später nicht daran erinnert werden müssen, ihren vernünftig-tristen Alltag noch einmal aus der Perspektive der kindlichen Träume, Sehnsüchte und Vorstellungskraft zu überdenken. Und das gerade auch angesichts des rasenden Stillstands einer Gegenwart, deren Sinnressourcen nahezu aufgebraucht sind.

Durch die ganze Welt gestreift ist die Suche von Matthias Grön, Leiter des „Jungen Staatstheaters“ in Oldenburg, nach einem passenden Stoff für diesen Themenkomplex. Fündig wurde er in Australien – und machte sich gleich selbst ans Übersetzen von Dan Giovannonis „Die große Entwunderung des Wilbur Whittaker“, uraufgeführt 2022 am Heath Ledger Theatre in Perth.

Um dem moralischen Märchen noch mehr Gewicht zu verleihen, inszeniert es nun Ebru Tartıcı Borchers, die mit dem Intendantenwechsel zur nächsten Spielzeit fest ans Staatstheater kommt.

Science-Fiction-Nostalgie-Spaß

Für „Wilbur“ setzt die künftige Hausregisseurin auf Stand-up-Comedy-Gestus in temporeich-dichter Szenenfolge mit farbenprächtigem Lichtdesign und fantasievollen Kostümen. Der Science-Fiction-Nostalgie-Spaß der Vorlage und seine Möglichkeiten zu opulenten Theatereffekten werden nur angedeutet, wohl um möglichst wenig vom Handlungskern abzulenken: der Umkehr des Erwachsenwerdens. Allerdings gehen immer wieder üble Synthesizer-Plastikschlagersounds der 1980er-Jahre aufs Geschehen nieder.

Der Titelheld stellt sich mit Biedermann-Anzug, -Scheitel, -Brille und -Schlips als 41-Jähriger vor. Aus einem aufgeweckten Hans-guck-in-die-Luft, der Weltraumreisen geplant und Bauanleitungen für einen Raketenrucksack entworfen hatte, ist kein Astrophysiker, Astronaut oder Flugzeugkapitän geworden, sondern nur ein Reisepassstempler am Flughafen. Die „dunkle Art von Leere“ in seinem Inneren ist ihm durchaus bewusst.

Daheim in einer roten Kiste versteckt, schlummern weiterhin „die Wunderungen seines Herzens und seines Verstandes – all seine Hoffnungen und Wünsche, seine kostbaren Fundstücke, seine Kritzeleien von heute und Pläne für morgen“. Dem so lange schon Ungenutzten rücken bereits Recycling-Beamte auf den Pelz: „Sie verwerfen, wir verwerten“, erklären sie Wilbur – und entsorgen die Kiste.

Traumblau sind die Szenen nun eingefärbt, Planetenkugeln werden enthüllt, und aus dem Königreich der Sterne gesellt sich Prinzessin Fantastic (Anna Seeberger) zu Wilbur (Konstantin Gries). Beide düsen durch Galaxien, um die Kindheitserinnerungen zurückholen. Denn ohne sie zerfällt Wilbur peu à peu, aber auch das Universum gerät aus dem Gleichgewicht.

Die Aben­teu­re­r:in­nen begegnen auf ihrer Reise extraterrestrischen Figuren (mit feinem Humor verkörpert von Julia Friede und Matthias Kleinert) und auch einen noch im freien Fall durch Raum und Zeit die Mülleimer leerfutternden Fuchs: eine amüsante Puppenspieleinlage.

Die Regisseurin setzt auf temporeichen Comedy-Gestus, Farbenpracht und fantasievolle Kostüme

In diesem Theater für Menschen ab neun Jahren gibt es auch Extra-Gags für die Älteren, etwa ein Shakespeare-Zitat, eine Anspielung auf Wilburs Krawattenfarbe („Deine Persönlichkeit ist braun?“) und seinen Versuch, nochmal kreativ zu sein, wobei ihm kaum mehr einfällt als die, Parkplätze müssten größer werden – wohl für SUV-Panzer.

Das Ensemble tobt durchs Bühnenbild wie Kinder, geradezu überbordend agieren die Hauptfiguren: Mit Hauptdarsteller Gries ist es der Regisseurin aber nicht gelungen, eine Figur differenziert zu entwickeln, die in der Midlife-Crisis entdeckt, noch nicht am Ende des Wollens angelangt zu sein; einen Wilbur, der sich also wieder wundern, die Welt freudig hinterfragen möchte und mit neuer Daseins-Euphorie und alter Verspieltheit nochmal frisch loslegen.

Autor Giovannoni schickt seinen Protagonisten auf den Weg der poetischen Verwandlung zur lebenslangen Jungenhaftigkeit. In Oldenburg hat er nur wenig von diesem Identifikationsangebot, bietet den Text vielmehr lauthals in rasend einförmigem Tonfall dar, ergänzt von einer zappeligen Körpersprache. Und wirkt dadurch eher wie die Parodie aufs Kind im Manne denn wie seine Ehrenrettung, die ja gleich auch noch die der ganzen Welt sein soll.

So geht der magische Realismus unter mit seinem Ansatz, Wunder in allen und allem zu entdecken. Aber vielleicht ist das auch die legitime Infragestellung eines Textes, der schon mal mit Sinnsprüchen wuchert wie: „Manchmal ist der Weg, dem du folgen musst, der, von dem du es am wenigsten erwartest.“

Alles in allem erwächst aus der Kritik an der großen „Entwunderung“ der Erwachsenen aber eine Familienproduktion (empfohlen ab 9), geeignet für den anschließenden Austausch zwischen ermahnten Eltern und bestärkten Kindern: Um Lebenswege könnte es da etwa gehen, die noch so verbogen oder mehrfach geknickt sein können – nur bitte ihren Anfang nicht verleugnen.

Nächste Vorstellungen: 3., 5., 9. + 11. 4., 10.30 Uhr; 6. 4., 16 Uhr, Oldenburg, Exhalle

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.