Tarifverhandlungen bei der BVG: Tempo, Tempo, Herr Kaya!

Bei den BVG-Tarifverhandlungen geht es auch um die Wendezeiten für Bus­fah­re­r*in­nen. Die reicht allzu häufig kaum aus, um auf Toilette zu gehen.

Ein gelber BVG-Bus fährt durch die Stadt.

„Die Arbeitsbedingungen sind Stück für Stück schlechter geworden. Man macht sich kaputt“, sagt Busfahrer Erdogan Kaya Foto: Jörg Carstensen/dpa

BERLIN taz | Die Straßenlaternen am Kurt-Schumacher-Platz in Reinickendorf gehen aus. Eine zierliche Frau mit roten Haaren zieht an ihrer E-Zigarette und bläst süßen Dampf in die Luft. Der M21 kommt zu spät. Busfahrer Erdogan Kaya öffnet die vordere Tür, die Frau steigt ein. Sein graues Haar hat er zu einem Zopf gebunden. Ein schneller Blick auf die Uhr, und er fährt los. Die Busspur musste einem Fahrradstreifen weichen. Bei seinen ausgedehnten Sonntags-Radtouren profitiert Kaya davon, bei der Arbeit bremst es ihn aus.

Die Gewerkschaft Verdi und die BVG verhandeln nach wie vor über einen Manteltarifvertrag. „Es geht um alles außer Geld. Wir fordern Entlastung“, sagt Gordon Günther, Gewerkschaftssekretär für den Fachbereich Busse und Bahnen bei Verdi. Die Regelung zur Wendezeit ist dabei ein zentrales Element. Schließlich sind die Bus­fah­re­r*in­nen die größte Berufsgruppe innerhalb des Unternehmens. An der Endhaltestelle angekommen, haben sie im kürzesten Fall vier Minuten Zeit, um den Bus zu wenden und zur ersten Haltestelle zu fahren. Verdi fordert zehn Minuten, damit die Bus­fah­re­r*in­nen „einmal kurz durchatmen können“.

Eine Frau mit Rollator steigt bei Erdogan Kaya ein. Sie geht langsam, setzt sich vorsichtig hin, zieht die Bremse am Rollator an. Sie kennt den Zeitplan nicht. Klapp, Knall, dann Geschrei – ein kleiner Junge ist von den hochklappbaren Sitzen auf den Boden gefallen. Kaya fragt, ob etwas passiert sei. Die Mutter winkt ab.

Die Fahrt geht weiter. Hier sind die Straßen eng. „Für den Job braucht man Konzentration, man muss fit sein“, sagt Kaya. An dieser Kreuzung hätten sich einmal zwei Busse beim Abbiegen ineinander verkeilt.

Darum geht’s: Verhandelt wird lediglich der Manteltarifvertrag. Darin sind die Arbeitsbedingungen geregelt wie Pausenzeiten, Urlaubsanspruch, Schichtmodelle und Ruhezeiten. Verdi fordert in allen Bereichen eine Verbesserung, insbesondere aber auch eine Erhöhung der Wendezeiten auf zehn Minuten auf allen Linien.

Stand der Verhandlungen: Nach dem zweiten Warnstreik Ende Februar kommen die Verhandlungen voran. Einigen konnte man sich bei Punkten, die keinen Personalmehraufwand bedeuten: sechste Entgeltstufe, bezahlte Pausenzeiten, Urlaubsgeld, Zulagen. Die nächste Verhandlungsrunde ist für den 28. März vorgesehen.

Acht Minuten Wendezeit

Der letzte Fahrgast ist ausgestiegen. Kaya fährt zur Wendeschleife. Er schaltet den Motor aus, nimmt einen Kugelschreiber und ein kleines Blatt Papier zur Hand. Wendezeit sind hier acht Minuten. Die Ankunftszeit ist sechs Minuten hinter Plan. Bleiben ihm noch zwei Minuten bis zur geplanten Abfahrt. Kaya steht auf, läuft von vorn nach hinten durch den Bus und schaut, ob alles in Ordnung ist. Danach wendet er den Bus und beginnt eine neue Fahrt.

Ende Februar stand Kaya in gelber Warnweste vor der BVG-Zentrale an der Holzmarktstraße in Mitte. Verdi hatte zum Streik aufgerufen, die Tarifverhandlungen waren nicht vorangekommen. Hier ein Händeschütteln, da eine Umarmung: „Wie geht es dir? Was machst du?“ Seit 35 Jahren arbeitet er als Busfahrer.

Kaya ist Teil der Koffergeneration: Jahrelang reiste er in den Sommerferien aus der Türkei nach Deutschland. Erst mit 14 zog er aus der Obhut seines Onkels nach Berlin zu seinen Eltern. Im Juni 1989 fing er bei der BVG an, im November fiel die Mauer. „Das war eine tolle Zeit. Auf einmal war die Stadt voller Menschen“, sagt er. „Mir wurde gesagt, ich solle nicht die Fahrkarten kontrollieren und alle Menschen mitfahren lassen. Das habe ich getan.“

Acht Jahre bis zur Rente

Damals hatte Kaya zwischen den Touren Zeit, um sich mit seinen Kol­le­gen*­in­nen zu unterhalten. Heute ist die Wendezeit für Kaya ein Problem. „Du kommst schon zu spät an und hast dann Stress, den Bus zu wenden und eine pünktliche Abfahrt zu schaffen.“ Kaya bleiben noch acht Jahre bis zur Rente. Er überlegt, seine Arbeitszeit zu reduzieren. „Die Arbeitsbedingungen sind Stück für Stück schlechter geworden. Man macht sich kaputt.“

Laut BVG waren 1990 bei der BVG (West) und den Berliner Verkehrsbetrieben BVB (Ost) zusammen 27.400 Angestellte beschäftigt. Nachdem das Personal bis 2010 auf 12.650 geschrumpft war, stieg die Zahl bis Ende 2023 auf immerhin 16.100 Mitarbeitende wieder an. Der Altersdurchschnitt der Bus­fah­re­r*in­nen liegt bei 48 Jahren. In den kommenden Jahren werden viele Babyboomer in Rente gehen. Die Bundesagentur für Arbeit listet den Beruf der Bus- und Tramfah­re­r*in­nen in einer Analyse für das Jahr 2022 als Engpassberuf.

Nach eigener Aussage hat die BVG im vergangenen Jahr rund 650 Bus­fah­re­r*in­nen eingestellt. „Das Problem ist nicht, dass keine neuen Busfahrer eingestellt werden. Das Problem ist, dass sie sofort wieder kündigen“, berichtet Kaya.

Fachkräftemangel ist bereits deutlich zu spüren

„Die Akzeptanz für die Streiks ist da, auch gerade angesichts der Inflation“, sagt der Gewerkschaftsexperte Bernhard Ebbinghaus von der Universität Mannheim. „Was sich natürlich ändern könnte, wenn die Streiks zu lange dauern.“ Während der Coronapandemie habe es einen „angestauten Bedarf“ nach Tarifverhandlungen gegeben. „Der Fachkräftemangel ist bereits deutlich zu spüren, das stärkt die Arbeitnehmerseite. Andererseits ist es dadurch aber auch schwer, die Arbeitszeit für die bestehenden Angestellten zu verkürzen“, beschreibt er das Dilemma.

Für Kaya geht es weiter auf der Linie 125. Noch weiter raus aus der Stadt. Die Haltestellen heißen Jägerstieg und Am Amseltal. Hohe Bäume säumen die frei stehenden Häuser mit ihren großzügigen Grundstücken. Am S-Bahnhof Frohnau gibt es eine Umleitung. Das bedeutet zwei Minuten Umweg, die im Zeitplan nicht berücksichtigt sind.

Nach der letzten Station biegt Kaya zur Wendeschleife in einen Waldweg ab. Er parkt den Bus und steigt aus. Die Wipfel der Kiefern bewegen sich im Wind. Die Luft ist klar. Die Vögel zwitschern. Er stapft eilig durch schlammige dunkle Erde zum grünen Toilettenhäuschen. Viel Zeit hat er nicht: Die Wendezeit reicht eigentlich nicht aus, um auf die Toilette zu gehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.