Wald-Besetzung gegen Tesla: Die Utopie wächst im Kiefernwald

Be­set­ze­r:in­nen im Tesla-Wald wollen Rodung verhindern und Visionen für ein „anderes“ Leben entwickeln. Ein Oster-Besuch mit Übernachtung.

Ein Baumhaus der Waldbesetzer von "Tesla stoppen" in schwindelnder Höhe

Zugang nur über ein Seil: Eines der Baumhäuser der Initiative „Tesla stoppen“ Foto: Florian Boillot

Unübersehbar stehen die Pavillons an der Landstraße L23 zwischen dem Bahnhof Fangschleuse bei Erkner und der Bushaltestelle zum Tesla-Werk. Dahinter halten Ak­ti­vis­t*in­nen seit Ende Februar ein Stück Wald neben der Tesla-Fabrik besetzt, das für die geplante Erweiterung der Autofabrik gerodet werden soll. Ein Großteil des Werksgeländes liegt in einem Trinkwasserschutzgebiet und Um­welt­schüt­ze­r*in­nen befürchten, dass der Ausbau der Fabrik die Wasserversorgung in der Region gefährdet. Daher bezeichnen die Ak­ti­vis­t*in­nen ihr Gelände auch als „Wasserbesetzung“.

Die Mahnwache an der Landstraße ist das logistische Herz. Hier gibt es neben Info-, Küchen- und Sani-Zelt einen Stromgenerator und Dixi-Klos – und direkt gegenüber die Polizei, die in regelmäßigen Abständen am Eingang des Geländes auftaucht. Zahlreiche Transparente weisen auf die Besetzung hin und solidarisieren sich gleichzeitig mit den Tesla-Arbeiter*innen.

Im Kiefernwald ist es ruhig, nur von Westen schallt die nahe Autobahn herüber. Ein Transparent weist die Be­su­che­r*in­nen darauf hin, dass man nun die „Utopien-Gigafactory“ betrete. Das Camp ist weitläufiger als erwartet: Neben zahlreichen professionell aussehenden Baumhäusern stehen Dutzende Unterstände und Zelte in dem Waldstück. Die Wege dazwischen sind sorgfältig mit kleinen Ästen begrenzt, eine Fotoausstellung thematisiert die negativen Seiten des Lithiumabbaus – des wichtigsten Stoffes in E-Auto-Batterien. Es gibt ein Materiallager, einen selbst gebauten Fahrradständer, einen „Müllmitnahmeplatz“, eine kleine Bibliothek und sogar ein Klavier. Die einzelnen Häuser und Plateaus haben Namen wie Chillkröte, Moosmonster oder Glashaus.

Die Gruppe besteht aus 60 bis 80 Besetzer*innen, aber nicht alle sind jeden Tag anwesend. „Unsere Vorstellung eines guten Lebens für alle ist nicht vereinbar mit dieser Fabrik – und mit vielen anderen Sachen in dieser Welt“, erklärt eine Be­set­ze­r*in mit grünen Haaren, die sich Zwiebel nennt, der taz. „Aber der erste Schritt wäre, dass der Wald nicht gerodet wird und wir hier bleiben dürfen.“ Zwiebel ist seit dem Beginn der Besetzung dabei.

Je­de*r hilft, wie er*­sie kann

Die Atmosphäre im Camp ist entspannt: Die größtenteils sehr jungen Be­set­ze­r*in­nen malen Transparente, kochen, diskutieren, machen Kletterübungen oder lesen. Eine Person schaukelt in gut zehn Metern Höhe, andere sitzen einfach rum, jeder und jede wird gegrüßt. „Es ist wirklich eine ganz andere Atmosphäre“, sagt Zwiebel. „Wir versuchen, Hierarchien so gut wie möglich abzubauen. Es gibt kostenloses Essen und Trinken, man bezahlt nicht mit Geld, sondern hilft mit, wenn man kann. Natürlich sind wir nicht vollkommen von den kapitalistischen Zwängen befreit, aber die Besetzung ist ein Stück Utopie.“

Das Verhältnis zu den An­woh­ne­r*in­nen sei „gemischt“, gibt Zwiebel zu, viele seien aber solidarisch und besuchten das Camp. Auch der Kontakt zu den Tesla-Arbeiter*innen sei nicht einfach. „Viele stehen uns positiv gegenüber und reden mit uns, wenn sie auf dem Weg zur Arbeit vorbeilaufen“, sagt Zwiebel: „Für einige ist es jedoch schwierig, weil sie unter Druck gesetzt werden, nicht über die schlechten Bedingungen bei Tesla zu reden“, vermutet Zwiebel. Die meisten müssten von der Besetzung mitbekommen haben, aber viele hätten wohl kaum Zeit, sich genauer zu informieren. „Wir stehen auf jeden Fall hinter den Mitarbeiter*innen.“ Schwieriger ist das Verhältnis zur Polizei. Zwiebel: „Sie akzeptiert unser Bleiben nicht und versucht Gründe vorzuschieben, um uns räumen zu können.“

Aktivistin Zwiebel ist von Anfang an dabei Foto: Florian Boillot

Die Waldbesetzung ist als politische Versammlung angemeldet und unterliegt dem Versammlungsrecht. Als die Polizei Mitte März mit Auflagen untersagte, die Baumhäuser betreten zu dürfen, schien eine Räumung des Camps kurz bevorzustehen. Doch die Ak­ti­vis­t*in­nen klagten und bekamen vor dem Verwaltungsgericht Potsdam recht. Damit dürfen sie zunächst bis zum 20. Mai bleiben, doch die Polizei hat gegen die Entscheidung Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. „Im Moment sind wir nicht konkret räumungsbedroht, aber das kann passieren, falls ein entsprechendes Gerichtsurteil kommt“, sagt Zwiebel dazu. „Wir wollen natürlich so lange wie möglich hier bleiben. “

Nachdem sich am Abend doch noch kurz die Sonne blicken lässt, wird es dunkel und ziemlich frisch im Wald. Lichterketten und Akkulämpchen werden angemacht, pünktlich um 19 Uhr bringt die Kochgruppe das Essen: Kartoffeln und Bohneneintopf an Salat. An dem anschließenden Plenum nehmen rund 50 Leute teil, auf dem die Schichten für den kommenden Tag verteilt werden. Auch hier bleibt die Atmosphäre fokussiert und entspannt.

Plenum, Musik, Karten spielen

Nach dem Plenum finden meist noch Veranstaltungen statt. An diesem Gründonnerstagabend ist „Flash Tarzan“ aus Berlin angereist, um – verstärkt durch eine powerbankbetriebene Box – über toxische Männlichkeit, Flieder und Lützerath zu rappen. Danach klettern die Be­set­ze­r*in­nen auf ihre Baumhäuser oder legen sich ins Zelt, andere spielen Karten oder lernen Knoten zu machen, jemand spielt Gitarre.

Einige schlafen in dieser Nacht zum ersten Mal in einem Baumhaus. Die etwa 20 Baumhäuser sind nur über ein Seil zugänglich, an dem man sich hochziehen und selbst abseilen muss. Dazu finden regelmäßig „Skillsharing“-Workshops statt. Die zweistöckige Küchenplattform ist das einzige Baumhaus mit einer Treppe, es ist mit Gurten stabil zwischen drei Bäumen befestigt und knarzt wie ein altes Segelschiff. Ganz dunkel wird es nicht in dieser Nacht, die weißen Strahler der Gigafactory leuchten heller als die Sterne über dem Kiefernwald. Akustisch machen sich Bahnstrecke, Autobahn und Einflugschneise bemerkbar.

„Ich bin sehr gespannt auf die nächste Zeit“, sagt Zwiebel zuversichtlich. „Die Räumung ist vorerst abgewendet, es wird wärmer und mehr Menschen sind draußen. Der Wald sprüht nur so vor Leben.“

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