CDU-Politiker über Polizeiarbeit: „Neue Option, Kriminelle zu fassen“

Jahrelang fahndete die Polizei erfolglos nach Ex-RAF-Terrorist:innen. CDU-Politiker Thorsten Frei fordert Systeme zur Gesichtserkennung für die Polizei.

Eine Computergrafik zum Thema gesichtserkennung (l), eine Darstellung einer DNA-Doppelhelix (M) und ein symbolischer Fingerabdruck (im Hintergrund)

Ein Nachteil der Gesichtserkennung: Auch unschuldige Personen könnten ins Raster geraten Foto: Sven Hoppe/dpa

taz: Herr Frei, als die ehemalige RAF-Terroristin Daniela Klette vor drei Wochen verhaftet wurde, sprach die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens von einem Meilenstein der Kriminalgeschichte. Sie sind nicht ganz so begeistert. Warum?

Thorsten Frei: Die Polizei hat gute Arbeit geleistet. Aber die Wirkmächtigkeit der Polizei hängt von ihrem Werkzeugkasten ab. Der Fall „Daniela Klette“ hat gezeigt, dass der Polizei wichtige Instrumente fehlen. Ein Journalist hat innerhalb kürzester Zeit über eine Gesichtserkennungssoftware entscheidende Fotos und Spuren von Daniela Klette im Internet gefunden, der Polizei ist das untersagt. Das hinterlässt bei mir persönlich ein ungutes Gefühl. Wir dürfen nicht vergessen: Daniela Klette war gefährlich, sie hatte Kriegswaffen in ihrem Besitz. Hätte die Polizei sie früher gefasst, wäre das ein hoher Gewinn an Sicherheit gewesen.

Der Journalist benutzte die Software PimEyes, soll die Polizei das auch dürfen?

gehört seit 2013 als direkt gewählter Abgeordneter dem Bundestag an und ist seit 2021 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion.

Ich persönlich hätte damit kein Problem. Aber selbstverständlich müsste man zunächst die rechtlichen Gegebenheiten prüfen.

PimEyes vergleicht ein Foto, im Fall von Klette das Fahndungsfoto, mit allen verfügbaren Fotos im Internet, an denen das Unternehmen keine Rechte hat – was Datenschützer kritisieren. Die Polizei kann bereits Gesichtserkennung mit ihrer Inpol-Datenbank nutzen, dort auf 5 bis 6 Millionen gespeicherte Fotos von Straftätern zurückgreifen. Das reicht Ihnen nicht?

Es geht mir nicht um die Daten von PimEyes. Meine Kritik richtet sich zuallererst gegen die Untätigkeit der Ampel. Sie weigert sich, die bestehenden Möglichkeiten zur Bekämpfung von Kriminalität, Extremismus und Terrorismus auszuschöpfen. Der gerade beschlossene europäische „AI-Act“ eröffnet neue Optionen, um Schwerkriminelle zu fassen. Diese Möglichkeiten sollten wir nutzen.

Der AI-Act der EU regelt erstmals Künstliche Intelligenz und verbietet Echtzeitüberwachung grundsätzlich als „unannehmbares Risiko“. Erlaubt sind nur wenige Ausnahmen bei schweren Straftaten.

Genau diese Ausnahmen sind wesentlich und wichtig. Die Ampel will diese Ermittlungsmethoden zum Schaden unserer Sicherheit nicht nutzen. Das ist zu kritisieren. Wir sprechen im Übrigen nicht über ein gänzlich neues Thema.

Es gab bereits 2017/2018 einen Pilotversuch zur biometrischen Gesichtserkennung am Bahnhof Berlin-Südkreuz, der sehr erfolgreich verlaufen ist. Wenn man unterschiedliche Systeme zur Gesichtserkennung kombinierte, kam man schon damals zu der sehr, sehr geringen Falschtrefferrate von 0,00018 Prozent Das heißt: Auf eine Million Abgleiche waren zwei Falschtreffer zu verzeichnen. Wir sollten diese Technik deshalb an Kriminalitätsschwerpunkten einsetzen.

Das Pilotprojekt verglich Echtzeitfotos mit Fotos einer Polizeidatei. Wie erfolgreich es war, da gehen die Einschätzungen sehr auseinander. Der Chaos Computer Club sprach von geschönten Ergebnissen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber warnte, das Projekt gefährde die Anonymität im öffentlichen Raum, die Software genüge den Ansprüchen „bei Weitem nicht“.

Ihr Einsatz ist grundrechtssensibel, aber verfassungsrechtlich möglich. Die Daten des Abgleichs werden umgehend aus dem System gelöscht, wenn sie nicht zur gesuchten Zielpersonen passen. Die biometrische Gesichtserkennung wäre ein wichtiges Instrument, nicht nur im Bereich der Strafverfolgung, sondern auch der präventiven Polizeiarbeit.

Es bliebe ein Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung, denn in der konkreten Situation würden alle gefilmt. Und die Software macht eben auch Fehler: Personen würden unschuldig ins Raster geraten – was etwa bei Terrorvorwürfen schwere Folgen haben kann.

Natürlich sind Fehler schwerwiegend, aber solche Fehler geschehen auch ohne den Einsatz dieser Technologie. So wurden auch bei der jüngsten Suche nach RAF-Terroristen Personen festgenommen, überprüft und dann wieder freigelassen. Dagegen würde die Software die erfassten Gesichter lediglich mit einer klar definierten Referenzdatenbank der Polizei abgleichen. Darüber hinaus wollen wir diese Technik nur an Kriminalitätsschwerpunkten und nur zur Verfolgung von gewichtigen Straftaten einsetzen. Das Raster bliebe entsprechend klein. Der Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung wäre gering und vertretbar.

Das Südkreuz-Projekt haben weder der damalige CSU-Innenminister Seehofer noch seine SPD-Nachfolgerin Faeser umgesetzt.

Weil es keine parlamentarischen Mehrheiten dafür gab. Es war auch in der Großen Koalition mit der SPD nicht durchsetzbar.

Auch Gerichte aber urteilten wiederholt streng zu Massendatenprojekten für die Polizei: Der EuGH kassierte weitgehend die Vorratsdatenspeicherung, das Bundesverfassungsgericht erklärte die Datenanalysesoftware der Polizei in Hamburg und Hessen für verfassungswidrig.

Aber auch da bleiben Spielräume. Das Referenzurteil ist die automatisierte Kennzeichenerfassung, die unter strengen Bedingungen zugelassen wurde. Das zeigt: Es ist primär eine politische Frage und weniger eine rechtliche.

Im Fall Daniela Klette war es aber letztlich polizeiliche Handarbeit, die zur Festnahme geführt hat. Müsste diese nicht gestärkt werden?

Man muss für unsere Sicherheit das Eine tun, ohne das Andere zu lassen. Ich glaube, dass wir an allen drei Stellschrauben drehen müssen: Erstens genügend Polizeibeamte. Zweitens eine gut ausgestattete Polizei. Und drittens braucht die Polizei das rechtliche Handwerkszeug, mit dem sie ihre Aufgaben erfüllen kann.

Einige Hinterbliebene der RAF-Opfer haben angesichts der Festnahme von Daniela Klette noch einmal formuliert, dass ihnen die Aufklärung der Morde wichtiger ist als die Verurteilung der Täter. Es gab in der Vergangenheit verschiedene Vorstöße, die für frühere RAF-Mitglieder Strafrabatte oder gar Straffreiheit vorschlugen, wenn sie ihr Wissen offenlegen. Wären Sie dafür, ein solches Angebot zu erneuern?

Wir wissen gar nicht, ob Daniela Klette zur Aufklärung der Morde der dritten Generation der RAF beitragen kann, inwieweit sie beteiligt und eingebunden war. Bisher haben Mitglieder der RAF, bis auf ganz, ganz wenige Ausnahmen, nicht zur Aufklärung beigetragen. Die „Solidarität“ untereinander ist offenbar sehr groß, und ich weiß nicht, inwieweit es überhaupt eine Bereitschaft gibt, mit der eigenen Vergangenheit aufzuräumen.

Wäre eine Offensive von staatlicher Seite sinnvoll, um das herauszufinden?

Nein, ganz sicher nicht. Es geht bei Daniela Klette um versuchten Mord, und Mord verjährt nicht. Deswegen muss man mit den Instrumenten der Justiz arbeiten, die es gibt.

Verstehen Sie die Perspektive der Angehörigen?

Wir sollten immer auch die Perspektive der Opfer einnehmen und bedenken. Aber das ist nicht der Kern des Strafrechts. Im Zuge einer Güterabwägung sind die Interessen der Rechtsgemeinschaft höher zu bewerten als die des Einzelnen.

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