Feiertage in Israel: Frustration statt Hoffnung

Israelis neigen derzeit dazu, sich von der Welt abzuschotten. Negative Stimmungen verdrängen den optimistischen Gedanken des Pessach-Festes.

Traditionelle jüdische koschere Matzo mit Blumen.

Pessach: das „Fest der ungesäuerten Brote“ Foto: imago

Das gerade zu Ende gegangene Osterfest dreht sich um das Leid und die Not von Jesus, doch es endet in einem Happy End hollywoodscher Machart: Auferstehung, Wiedergeburt, Hoffnung und sogar Freude. So begleicht die spätere christliche Geschichte ihre Rechnung mit der früheren heidnischen Version des Festes, bei der es um den Abschied vom kalten, dunklen Winter und den Frühlingsbeginn geht. Die scheinbar tote Natur schafft das Unmögliche und erwacht zu neuem Leben. Die gesamte Welt blüht auf, und die Menschen laufen von der Sonne betrunken umher.

Auch das jüdische Pessachfest, das zu Jesu Lebzeiten schon ein wichtiges Fest war, dreht sich um eine Art Auferstehung – heraus aus der Sklaverei zum Leben in Freiheit. Diese Befreiung wird zum Teil als mythisch-historische Geschichte dargestellt, zum Teil als Prozess, der sich dauerhaft fortsetzt und erst in der Zukunft vollendet sein wird: „Dieses Jahr seid ihr Sklaven; nächstes Jahr werdet ihr frei sein.“

Beide Feste werden überschattet von Misstönen, die die optimistischen Botschaften trüben. Wer aufmerksam Bachs Matthäuspassion zuhört, deren christliche Quelle bekanntermaßen das Neue Testament ist, wird die unverhohlen antijüdischen Untertöne erkennen, die sich durch den gesamten Text ziehen. Und auch der Haggada, die am Pessachabend von jüdischen Familien gelesen wird, mangelt es nicht an feindseligen Botschaften und Racherufen allen gegenüber, die nicht jüdisch sind.

In modernen Bearbeitungen der Haggada sind diese feindseligen Textstellen gestrichen. Es sind versöhnlichere, universellere Texte, die manche liberale Familien lesen und die auch in vielen Kibbuzim gelesen werden. Doch die meisten Juden und Jüdinnen halten sich an das im Mittelalter verfasste Original, egal ob sie sich letztendlich damit identifizieren oder nicht.

Das Israel vor dem bevorstehenden Pessachfest ist ein erstickender Ort

In diesen düsteren Kriegstagen neigen Jüdinnen und Israelis dazu, sich von der Welt abzuschotten und an das Ethos des Separatismus zu klammern. In der Haggada heißt es: Viele wollten uns ausrotten, aber Gott hat uns vor ihnen gerettet. Alle sind also gegen uns, aber Gott ist auf unserer Seite. Wir müssen nur auf ihn vertrauen und den Rest der Welt ignorieren.

Das ist das Denken von Leuten wie Bezalel Smotrich, Israels rechtsextremem Finanzminister, und in diesen Tagen scheint auch Regierungschef Benjamin Netanjahu so zu denken, obwohl er gar nicht fromm ist. Auch die liberale Öffentlichkeit in Israel, die endlich aus der Lähmung des Winters aufwacht und wieder massenhaft gegen die Regierung demonstriert, denkt und fühlt nicht in Begriffen wie Frühling, Hoffnung und Freude oder Glaube. An ihrer Stelle stehen Wut und Frustration. Die Wut ersetzt die Verzweiflung vom Oktober.

Wut ersetzt Verzweiflung

Vielleicht ist Wut eine Voraussetzung, um sich aus der Sklaverei zu befreien. Wut sprengt Ketten und stürzt Tyrannen. Diese Lektion haben wir spätestens 1789 mit der Französischen Revolution gelernt. Wut ist notwendig in der Türkei, in Russland, im Iran; die Liste lässt sich fortsetzen.

Das Israel vor dem bevorstehenden Pessachfest ist ein verbrannter, erstickender Ort, der ein Brennen verursacht in Hals und Lunge. Ein Ort, an dem niemand der aufblühenden Natur Aufmerksamkeit schenkt. Aber das Blühen darf nicht vergessen werden. Aufblühen als Vision, als Möglichkeit, als Utopie, als Aufbruch. Wie in einem sehr bekannten israelischen Lied, in dem davon die Rede ist, dass eines Tages Blumen aus Panzerrohren wachsen werden. Das ist das Besondere an Pessach in diesem Jahr: über die Barrikaden klettern und sich den Frühling vorstellen.

Aus dem Hebräischen von Susanne Knaul

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