Erinnern an die Todesmärsche: „Eine brutale Bewachung“

In Bremen werden zwei Gedenkstelen zur Erinnerung an die „Todesmärsche“ der KZ-Häftlinge im April 1945 enthüllt. Etliche überlebten nicht.

KZ-Häftlinge und Wachleute auf einem Todesmarsch. Zeichnung des Überlebenden W. Petrow

Scharf bewacht: Geschwächte wurden, solange es ging, beim „Todesmarsch“ von Mithäftlingen getragen Foto: W. Petrow / Archiv KZ-Gedenkstätte Neuengamme

taz: Frau Dirolf, warum wurden KZ-Häftlinge kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs auf ­„Todesmärsche“ gezwungen?

Ines Dirolf: Weil die SS beschlossen hatte, die Konzentrationslager und ihre Außenlager zu „evakuieren“. Sie sollten nicht den vorrückenden Alliierten als Tatzeugen in die Hände fallen. Da die Alliierten von Osten, Süden und Westen näher rückten, trieb die SS die Häftlinge immer weiter nach Norden. Die Bezeichnung „Todesmarsch“ verweist auf die vielen Todesopfer der tage- bis wochenlangen Zugtransporte und Fußmärsche der durch die KZ-Haft entkräfteten, unterernährten, oft kranken Menschen.

Welche Rolle spielten die KZs Bremen-Bahrsplate und Bremen-Farge, wo jetzt ­Gedenkstelen enthüllt werden?

Beide waren Außenlager des KZ Neuengamme und Stationen eines großen norddeutschen „Todesmarschs“ Anfang April 1945. Häftlinge aus den anderen Bremer Außenlagern – Schützenhof, Blumenthal und Osterort – sowie aus Meppen-Versen und Wilhelmshaven wurden zunächst nach Farge getrieben. Das KZ Bremen-Farge diente ab April 1945 als Durchgangslager für evakuierte KZ-Häftlinge aus den norddeutschen Außenlagern. Einen Teil von ihnen brachte die SS auf Todesmärsche mit dem Ziel KZ Neuengamme. Ein anderer Teil kam in das „Auffanglager“ im Kriegsgefangenenlager Sandbostel. Die SS brachte etwa 9.500 KZ-Häftlinge nach Sandbostel, von denen nur ein Teil die Befreiung durch britische Truppen Ende April erlebte.

Und wie erging es den Häftlingen, die von Farge nach Neuengamme verschleppt wurden?

Diese fast 3.000 Menschen erwartete ein weiterer „Todesmarsch“, als auch das KZ Neuengamme geräumt wurde. Allein 10.000 Häftlinge wurden zur Lübecker Bucht und dort auf die Schiffe „Cap Arcona“, „Thielbek“ und „Athen“ gebracht. Beim Beschuss der Schiffe durch die britische Luftwaffe am 3. Mai 1945 starben etwa 7.000 Häftlinge.

Was hatten sie auf den „Todesmärschen“ erlebt?

Katastrophale Verpflegung und eine brutale Bewachung: Wer nicht mehr gehen konnte, wurde erschossen. Viele begrub man am Straßenrand oder neben den Bahngleisen. Andere wurden auf den Friedhöfen der Dörfer bestattet, durch die der „Todesmarsch“ zog. In vielen Dörfern lassen sich solche Gräber finden, und Dokumente berichten von entsprechenden Bestattungen.

Diese Märsche Tausender KZ-Häftlinge passierten also vor aller Augen.

Jahrgang 1983, Historikerin, ist stellvertretende Leiterin der Gedenkstätte Lager Sandbostel

Ja, sicher. Ein Zug von mehreren Hundert KZ-Häftlingen konnte einem kaum entgehen. Das Wissen darüber in den Dörfern ist allerdings oft gering. Nur wenige sprachen darüber. Viele von ihnen waren damals Kinder, die am Straßenrand standen. Heutzutage sind die Gemeinden bei der Aufstellung der Gedenk­stelen sehr kooperativ – auch darin, das Wissen um die „Todesmärsche“ bekannter zu machen und daran zu erinnern.

Wie viele Gedenkstelen planen Sie?

Acht der geplanten 13 Stelen stehen schon. Wir möchten so die Route dieses „Todesmarschs“ von Bremen bis Sandbostel kennzeichnen, damit Interessierte sie erwandern oder mit dem Fahrrad abfahren könnten.

Was steht auf den Stelen?

Auf einer Seite „Todesmarsch“, auf der anderen „April 1945“.

Mehr nicht?

Leider nein. Es wäre wünschenswert, einen QR-Code für weitere Information dort anzubringen. Das Projekt ist Teil des von der Landesregierung finanzierten Programms „75 Jahre Demokratie in Niedersachsen – Alles klar?!“ Mehr ließ der finanzielle Rahmen nicht zu.

Einweihung von Gedenk­stelen an der Gedenkstätte Bahrsplate, 13. 4., 11 Uhr, Weserstrandstraße, Bremen, und in Farge, 13. 4., 12 Uhr, Bahnhof Farge, Bremen

Wurden die SS-Männer, die die „Todesmärsche“ kommandierten, nach 1945 zur Rechenschaft gezogen?

Oft kamen sie mit milden Strafen davon. Johann Reese, stellvertretender Lagerkommandant in Farge, wurde allerdings 1946 in Hameln hingerichtet. Und Ulrich Wahl, der letzte Kommandant in Farge, starb vermutlich bei der Versenkung der „Thielbek“ in der Lübecker Bucht.

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