Borussia Dortmund vor dem Umbruch: Auf der Suche nach Ideen

Im Machtgefüge des BVB stehen Umbau­arbeiten an, weil der Klub in der Liga an Boden verliert. Das Duell gegen Atlético Madrid ist schöne Ablenkung.

Terzic, Watzke und Kehl beobachten nebeneinander und stehend das Training

Terzic, Watzke und Kehl (v. l.) grübeln über die Zukunft des BVB Foto: Bernd Thissen/dpa

Nüchtern betrachtet sind die bevorstehenden Duelle von Borussia Dortmund im Viertelfinale der Champions League mit ­Atlético Madrid zuallererst ein schönes Abenteuer, eine Art Bonuserlebnis inmitten einer schwierigen Saison. Sogar die erste Halbfinalteilnahme seit dem legendären Jahr 2013, als der BVB erst im Endspiel gegen den FC Bayern verlor, ist möglich.

Schon während der gesamten Saison dient die europäische Bühne als Erholungsort für die im Ligaalltag geplagten Dortmunder, wo es um viel mehr geht als um ein paar tolle Spiele im hellen Licht der Weltöffentlichkeit. Auf dem Spiel steht die mittelfristige Zukunft des Vereins, der nicht nur erstmals seit 2015 die Champions League verpassen könnte. Denkbar ist eine Veränderung im Machtgefüge der deutschen Fußballkonzerne, die Borussia Dortmund hart treffen würde.

Die aufblühenden Leverkusener haben in dieser fabelhaften Saison genug Substanz geschaffen, um auch wirtschaftlich ernsthafter mitzuhalten. RB Leipzig agiert ohnehin längst in ähnlichen Sphären, und die Stuttgarter könnten ihre laufende Erfolgsphase in Verbindung mit dem Einstieg von Porsche ebenfalls zu einer Art Dauerzustand werden lassen. Deshalb sind die Umbauarbeiten, die in der Sportlichen Leitung beim BVB bevorstehen, von wegweisender Bedeutung. Der Klub braucht Innovationen.

Das laufende Spieljahr hat nämlich eine Schwäche sichtbar gemacht: Während Leverkusen (Xhaka, Grimaldo, Boniface), Leipzig (Openda, Xavi) und Stuttgart (Leweling, Mittelstädt, Nübel, Undav) tragende Säulen ihrer Teams von der Resterampe oder aus anderen Ligen nach Deutschland holten, haben die Dortmunder im vergangenen Sommer vor allen Dingen Spieler unter Vertrag genommen, auf die jeder halbwegs gut informierte Fan hätte kommen können: Niclas Füllkrug (Bremen), Felix Nmecha (Wolfsburg), Marcel Sabitzer (FC Bayern), Ramy Bensebaini (Gladbach).

Mislintat vor der Rückkehr

Die alte Entdeckerkraft, die den Verein einst groß machte, ist verloren gegangen, seit Sebastian Kehl das Sportdirektorenamt von Michael Zorc übernommen hat. Das liegt zwar nicht nur an Kehl, sondern auch an wirtschaftlichen Zwängen und einem komplizierter werdenden Markt. Klar ist aber, dass Umstrukturierungsmaßnahmen bevorstehen. Zumal der für den Sport zuständige Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke angekündigt hat, sich im Sommer aus dem sportlichen Bereich und ein Jahr später endgültig aus dem operativen Geschäft des BVB zurückzuziehen.

Nachdem Sondierungsgespräche mit Frankfurts Sportvorstand Markus Krösche in dessen Vertragsverlängerung bei der Eintracht endeten, steht nun eine Rückkehr von Sven Mislintat in die sportliche Leitung beim BVB bevor. „Wir haben in den vergangenen Wochen einige Gespräche geführt“, sagte Kehl zuletzt, ohne konkreter zu werden, als er auf entsprechende Überlegungen angesprochen wurde. Aber die Grundidee liegt auf der Hand: Mislintat, der zwischen 2006 und 2017 in verschiedenen Positionen sehr erfolgreich für den BVB arbeitete, soll die Kaderplanung mitgestalten, die derzeit von Kehl verantwortet wird.

Denn der 51 Jahre alte Fachmann gilt als Entdecker von Spielern wie Shinji Kagawa, Robert Lewandowski, Pierre-Emerick Aubameyang, Jadon Sancho oder Ousmane Dembélé. Er stammt aus Dortmund, hat ein Haus in der Stadt und sagte einmal: „Einen Verein, in dessen Region ich geboren bin und der in meinem Herzen ist, schließe ich nie aus für eine erneute Tätigkeit.“

Mislintat ist zwar im Herbst krachend als technischer Direktor von Ajax Amsterdam gescheitert, der Anfang April ebenfalls entlassene Amsterdamer Vorstandschef Alex Kroes warf dem Deutschen später vor, für „die schlechteste Transferphase in der Geschichte“ des Klubs verantwortlich zu sein. Dafür trägt der erfolgreiche Kader des VfB Stuttgart Mislintats Handschrift. Von Mai 2019 bis Dezember 2022 arbeitete er für die Schwaben und verpflichtete Leute wie Waldemar Anton, Chris Führich, Serhou Guirassy, Josha Vagnoman oder Dan-Axel Zagadou. Die große Frage ist nur, was mit Kehl passiert, wenn Mislintat kommt.

Einerseits ist Kehls Arbeit nicht unumstritten, zugleich verkörpert der langjährige Kapitän viele Eigenschaften, die erwünscht sind: Engagement, Verbundenheit, Eloquenz und eine Kenntnis der BVB-Innenwelt. Dass Kehl im Organigramm unterhalb von Mislintat arbeitet, ist kaum vorstellbar. Aber auch Mislintat würde sich kaum mit der Rolle eines Ideengebers für den Chef Kehl zufriedengeben.

Es gibt daher Überlegungen, Kehl als Watzkes Nachfolger aufzubauen, der alte Klubchef könnte 2025 ins Präsidentenamt wechseln, um im Stile seines alten Münchner Manager-Rivalen Uli Hoeneß aus dem Hintergrund mitzuregieren. Aber es gibt Zweifel, ob Kehl bereits das Format hat, um das um seinen Status als Deutschlands Nummer zwei kämpfende Fußballunternehmen in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Offen ist zudem die Frage, welchen Platz Matthias Sammer künftig einnehmen soll. Als Berater der Geschäftsführung bringt er schließlich viel Kompetenz ein, die besser nicht verloren gehen sollte. Nicht nur auf dem Rasen geht es also um viel für den BVB in diesem Frühjahr.

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