Unabhängige Kandidaten im US-Wahlkampf: Die unterschätzte Figur des Dritten

Im Zweiparteiensystem der USA haben unabhängige Kandidaten keine Chance. Im Duell Biden-Trump könnten sie dennoch die entscheidende Rolle spielen.

Porträt von Robert F. Kennedy jr. - er sieht ziemlich humorlos aus

Unabhängiger Kandidat mit berühmtem Nachnamen: Robert F. Kennedy jr Foto: Mike Blake/reuters

Jill Stein spricht vor einem Mikrofon während einer Demonstration

Jill Stein von der Green Party tritt wieder an Foto: Rebecca Cook/reuters

Cornel West posiert für ein gemeinsames Foto mit einer älteren Anhängerin

Philosoph im Wahlkampf: Cornel West Foto: John Arthur Brown/imago

BERLIN taz | Die Wahlniederlage ihres Präsidentschaftskandidaten Al Gore gegen den Republikaner George W. Bush im Jahr 2000 ist ein Trauma der Demokratischen Partei in den USA. Im letztlich alles entscheidenden Bundesstaat Florida versagten die mechanischen Wahlmaschinen, so dass deren Stanzlöcher auf Zehntausenden von Wahlzetteln nicht eindeutig zu identifizieren waren. Am Ende stoppte der Oberste Gerichtshof die Neuauszählung und George W. Bush wurde mit 537 Stimmen Vorsprung zum Wahlsieger und neuen Präsidenten erklärt.

Aber Wut und Ärger der De­mo­kra­t*in­nen richteten sich nur zum Teil gegen die Obersten Richter*innen. Für viele war klar, wer ihnen den Sieg gestohlen hatte: Der Verbraucheranwalt Ralph Nader, der für die Green Party angetreten war, hatte in Florida 97.421 Stimmen erhalten. Nader stand damals in 43 der 50 Bundesstaaten auf dem Stimmzettel, und obwohl er keinen einzigen Delegierten für das Wahlleutegremium gewinnen konnte, schien es doch so, dass seine Kandidatur die Wahl entschieden hatte.

Denn auch in New Hampshire und Oregon hatte Nader mehr Stimmen erhalten, als George W. Bush Vorsprung vor Al Gore hatte. Bei Siegen in beiden Bundesstaaten hätte Gore Florida gar nicht mehr gebraucht. Was folgte, waren acht Jahre aggressive Neocon-Politik und der Beginn der Kriege in Afghanistan und Irak. In diesem Jahr, so befürchten viele Demokrat*innen, könnte sich ein solches Drama wiederholen und letztlich Donald Trump ins Weiße Haus bringen.

Wer jenseits von Republikanischer und Demokratischer Partei für die Präsidentschaftswahl antritt, heißt in den USA „Third Party Candidate“. Wobei das mit der „Dritten Partei“ nicht immer stimmt, denn mitunter gibt es Kandidat*innen, die es ganz ohne Partei als Unabhängige versuchen. Geklappt hat das in der US-amerikanischen Geschichte praktisch noch nie. Der einzige Präsident, der nicht auf dem Ticket einer etablierten Partei gewählt wurde, war auch der allererste: George Washington.

Wie viel Macht haben Third Party Candidates?

Dennoch haben Third Party Candidates immer mal wieder eine Rolle gespielt. Neben Ralph Naders möglichem Anteil an Al Gores Wahlniederlage im Jahr 2000 wird oft auch der Wahlsieg Bill Clintons gegen George H. W. Bush 1992 dem Einfluss eines Dritten zugeschrieben. Der Unternehmer Ross Perot, der damals für die Reform Party antrat, erhielt bundesweit circa 19 Prozent der Stimmen – die eher an Bush als an Clinton gegangen wären, wie die meisten glauben. Und 2016, als Donald Trump überraschend gegen Hillary Clinton gewann, gab es zumindest ein paar Bundesstaaten, in denen die Grüne Kandidatin Jill Stein mehr Stimmen erhielt als Trump an Vorsprung auf Clinton hatte.

Auch in diesem Jahr tritt Stein wieder an. Es ist die dritte Kandidatur der heute 73-jährigen Ärztin und Aktivistin für die Green Party nach 2012 und 2016. Zu ihren schon traditionellen Themen – Kapitalismuskritik, Umwelt, Rassismus, soziale Gerechtigkeit – kommt in diesem Jahr ein weiteres dazu: Sie steht dafür ein, die US-amerikanische Unterstützung des israelischen „Völkermords“ in Palästina zu beenden. Damit zielt sie direkt auf das progressive Wäh­le­r*in­nen­kli­en­tel der Demokrat*innen, das sich in einigen der Vorwahlen als Protest gegen Bidens Israel-Politik als „uncommitted“ erklärt hatte – unentschieden.

Jill Stein ist nicht die einzige Third-Party-Kandidatin, vor deren möglichem Einfluss Bidens Wahl­kämp­fe­r*in­nen Sorgen haben. Für Aufsehen sorgt auch Robert F. Kennedy Jr.. Der heute 70-jährige Spross der Kennedy-Familie – Neffe des ermordeten Präsidenten John F. Kennedy und Sohn seines ebenfalls bei einem Attentat getöteten Bruders Robert – hat allein aufgrund seines Namens einen hohen Wiedererkennungswert. Seinen Versuch, Joe Biden die demokratische Präsidentschaftskandidatur in den Vorwahlen streitig zu machen, beendete Kennedy schon vor deren Beginn und erklärte seine unabhängige Kandidatur.

Zunächst als Umweltanwalt aktiv, wurde Kennedy politisch vor allem bekannt als verschwurbelter Impfgegner, und während der Coronapandemie zudem als Maskengegner. Als solcher trat er auch bei Querdenken-Demonstrationen in Deutschland auf. Kennedy verbreitet bis heute die längst ­widerlegte These eines Zusammenhangs zwischen Impfungen und Autismus. ­Donald Trump lobte ihn bereits während seiner Präsidentschaft als klugen Kopf, fragte ihn 2017 sogar, ob er den Vorsitz eines Komitees zur Untersuchung von Impfwirkungen übernehmen wollte.

Kennedy hat Störpotenzial

In dieser Woche benannte Kennedy seine Vizepräsidentschaftskandidatin: die 38-jährige Anwältin und Silicon-Valley-Unternehmerin Nicole Shanahan, die seine Kampagne mit bislang 4,5 Millionen US-Dollar unterstützt hat, damit er während der Übertragung des Super Bowl einen Fernsehspot ausstrahlen lassen konnte.

Noch hat es Kennedy erst in einem einzigen Bundesstaat, dem bei Präsidentschaftswahlen unwichtigen Utah, geschafft, auf den Stimmzettel zu kommen. Dabei liegt er in Umfragen, in denen die Demoskopen seinen Namen in die Kandidatenliste aufnehmen, landesweit bei 10 bis 13 Prozent. Das hat Störpotenzial, weshalb die Demokraten vorige Woche eine Juristenkommission gebildet haben. Sie soll verhindern, dass Kennedy – und nach Möglichkeit Third-Party-Kandidaten generell – auf die Stimmzettel kommen, oder wenigstens nicht in den Bundesstaaten, die diese Wahl voraussichtlich entscheiden werden: Pennsylvania, Michigan, Wisconsin, Nevada, Arizona und Georgia, eventuell noch New Hampshire und South Carolina.

Am Wahltag auf den Stimmzetteln eines Bundesstaates zu erscheinen, ist für unabhängige Kandidaten ein kompliziertes und mitunter auch kostspieliges Unterfangen. Die Regeln sind von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich, es gibt Fristen, notwendige beizubringende Unterschriften, mal auch nur eine zu zahlende Gebühr. Am einfachsten ist es, entweder auf dem Ticket einer schon länger bestehenden Partei zu kandidieren oder eine neue zu gründen.

So soll Kennedy derzeit in Gesprächen mit der Libertarian Party sein, die in vielen Bundesstaaten einen gesicherten Zugang zu den Wahlzetteln hat, aber für 2024 noch keinen Kandidaten. Das passt ideologisch zwar nur so halb – könnte aber dennoch für beide ein Gewinn sein.

Flexibel in Parteifragen ist Cornel West, der dritte bislang bekannte unabhängige Kandidat von einer gewissen nationalen Reichweite. West kandidiert in Oregon für die Progressive Party, in South Carolina für die United Citizens Party, in Alaska für die Aurora Party und in Utah als parteiloser Unabhängiger. Auch der 70-jährige linke afroamerikanische Philosoph und Theologe argumentiert nicht zuletzt mit seinem Widerstand gegen den israelischen „Völkermord“ in Gaza.

Demokraten durch Stein, West und Kennedy in Sorge

Vollkommen unklar ist derzeit, ob die Gruppierung No Labels es noch schafft, ein Kan­di­da­t*in­nen­paar aufzustellen. Die 2010 gegründete Organisation hat sich vorgenommen, mit zentristischen Kan­di­da­t*in­nen der immer stärkeren Polarisierung der USA entgegenzuwirken. Aber alle Versuche, konservative De­mo­kra­t*in­nen oder moderate Re­pu­bli­ka­ne­r*in­nen für eine No-Labels-Kandidatur 2024 zu gewinnen, sind bislang gescheitert.

Und so machen sich zum jetzigen Zeitpunkt vor allem Bidens De­mo­kra­t*in­nen Sorgen darüber, ob sich ihr Debakel vom Jahr 2000 wiederholen könnte, und Robert F. Kennedy jr., Jill Stein oder Cornel West womöglich die entscheidenden Stimmen holen, die Biden zum Sieg fehlen.

Wie berechtigt die Sorge ist, bleibt spekulativ: Kennedy könnte nach Umfragen recht gleichmäßig Joe Biden und Donald Trump ein paar Stimmen kosten, auch wenn Trump vor Kurzem erklärte, Kennedy sei ein ganz besonders radikaler Linker. Und wer Stein oder West wählt (Umfragen derzeit: 2 bis 4 Prozent), würde womöglich lieber gar nicht zur Wahl gehen, als Joe Biden zu wählen.

Doch wer weiß schon, ob es am Ende nicht wieder auf 537 Stimmen ankommt. Bei einem engen Rennen kann alles relevant sein.

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Am 3. November 2020 haben die USA einen neuen Präsidenten gewählt: Der Demokrat Joe Biden, langjähriger Senator und von 2009 bis 2017 Vize unter Barack Obama, hat sich gegen Amtsinhaber Donald Trump durchgesetzt.

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