Ex-Spieler Ramelow über Meisterkusen: „Leverkusen ist hübscher geworden“

Carsten Ramelow war einst ein prägender Spieler des ewigen Zweiten Bayer Leverkusen. Er erklärt, warum das Werksteam nun Fußball-Meister wird.

Ramelow liegt am Boden

Bereitschaft, alles reinzuhauen: Carsten Ramelow war bei Leverkusen als Abräumer im Mittelfeld geschätzt Foto: imago

taz: Herr Ramelow, sind Sie denn am Sonntag im Stadion, wenn Bayer Leverkusen gegen Werder Bremen seine erste Deutsche Meisterschaft feiern kann?

Carsten Ramelow: Nein, ich war schon lange nicht mehr im Stadion. Das letzte Mal war ich beim Pokalspiel gegen den VfB Stuttgart nach langer Zeit wieder einmal da.

Sind Sie nicht eingeladen worden?

Nein. Aber das ist auch nicht so wichtig. Der Kontakt ist nicht mehr so da, eigentlich nur noch über die Traditionsmannschaft, für die ich aber nicht mehr so oft spiele. Ich habe mich ein bisschen zurückgezogen. Ich bin ja auch schon wieder 16 Jahre raus, und der Verein hat sich weiterentwickelt.

50, spielte 13 Jahre für Bayer Lever­kusen. Er wurde ein Mal Vizeweltmeister, ein Mal Vize-Cham­pions-League-Sieger, zwei Mal Vize­pokalsieger und vier Mal Vizemeister. Heute arbeitet er in einer Marketing­firma und ist Vizepräsident der Spieler­gewerkschaft VDV.

Am letzten Spieltag sind Sie dann vermutlich dabei.

Man wird sehen, aber das ist auch nicht so wesentlich. Der Verein hat momentan eine schöne Phase, und da gibt’s dann wahrscheinlich genügend zu feiern. Ob wir dann dabei sind, das ist nicht so wichtig.

Mit den entsprechenden TV-Abos schauen Sie doch bestimmt die Spiele von Bayer Leverkusen?

Nein, das mache ich schon länger nicht mehr. Ich habe relativ früh nach meinem Kar­rie­re­ende gemerkt, dass es noch viele andere schöne Sachen gibt. Natürlich kann auch ich den Fußball nicht ganz aus meinem Leben streichen. Ich schaue auch immer mit einem Auge, was die Hertha macht, weil ich dort gespielt habe und Berliner bin. Aber ich habe für mich meinen Abstand gefunden. Andere ticken da anders, das ist auch völlig okay. Die sollen in Ruhe feiern mit allen Mitarbeitern und allen Angestellten. Das ist wunderbar, was dieses Jahre dort geleistet wurde.

Der greifbare Meistertitel ist so besonders, weil der Verein während Ihrer aktiven Kar­riere zu einer Marke namens Vizekusen geworden ist. Ist die Häufung dieser zweiten Plätze bloßer Zufall, oder hat sich damals auch etwas in den Köpfen festgesetzt, was den ganz großen Erfolg schwer gemacht hat?

Nein, natürlich ist man im Moment einer Finalniederlage enttäuscht und traurig. Bei mir hielt das aber allenfalls ein paar Wochen an, dann muss man den Kopf wieder aufrichten und nach vorne schauen. Das haben wir immer versucht. Der Eindruck, den man hinterlässt, ist entscheidend. Den Leuten hat das gefallen, sie sind heute noch begeistert von unseren Spielen damals. Vizekusen war für die Medien ein ganz toller Begriff. Ich gebe zu, am Anfang hat man sich ein bisschen darüber geärgert, aber dann standen wir drüber. Was sollst du dagegen auch ankämpfen? Wir haben alles reingeworfen, was ging, aber letztlich hat vielleicht ein bisschen das Können gefehlt, auch das Quäntchen Glück. Das ist anders diese Saison mit dieser Wahnsinnsserie.

Bei der letzten Titelfeier von Bayer Leverkusen waren Sie hautnah dabei.

Als Spieler der Hertha-Amateure beim Pokalfinale 1993 …

Das hat schon fast eine tragische Note. Den ersten Ihrer acht Vize-Titel haben Sie ausgerechnet im Duell gegen das spätere Vizekusen „gefeiert“.

Das hat für mich nichts mit Tragik zu tun. Für mich war die Amateurzeit in Berlin mit die schönste Zeit. Dieses Wir-Gefühl, dieser Teamgeist in der Gruppe, das habe ich danach nie wieder erlebt. Und wir haben so gefeiert, als wären wir Pokalsieger geworden. Das war auch total schön, dieses Entspannte, was ich in der Bundesliga so nicht mehr erlebt habe. Deshalb bin ich überhaupt nicht traurig, dass wir damals verloren haben.

Was war denn der schönste Vize-Titel in Ihrer Karriere?

Schwierig zu sagen. Jeder Wettbewerb hat was für sich. Aber die Weltmeisterschaft 2002 würde ich schon hervorheben. In so einem Kader dabei zu sein, zu den besten Spielern Deutschlands zu gehören, in Japan und Südkorea zu spielen und dann Zweiter zu werden in einem Endspiel gegen Brasilien – das war eine superschöne Erfahrung, etwas Einzigartiges. Und ganz generell, wenn wir jetzt über Vizekusen reden: Wer kann schon von sich behaupten, in einem Finale gestanden zu haben. Ich glaube, viele würden gern mit mir tauschen.

Warum läuft bei Bayer Leverkusen jetzt alles anders, gewinnt das Team selbst Spiele, die schon verloren schienen?

Im Pokalspiel gegen Stuttgart war ich schon längst aus dem Stadion, dann haben sie es doch noch gedreht. So viele Spiele, auch international, in letzter Sekunde zu gewinnen, das zeugt schon von großer Qualität und auch von Leidenschaft. Dazu brauchst du auch die entsprechenden Typen. Und ausschlaggebend ist, dass das Xabi Alonso als Trainer auch vorlebt. Aber wie sie es dann umgesetzt und konstant beibehalten haben, das ist wirklich sensationell!

Wie tragfähig ist das für die nähere Zukunft?

Es ist etwas Schönes aufgebaut worden, die Mannschaft hat sich weiterentwickelt, und super ist natürlich auch, dass der Trainer bleibt. Wenn man den Kader zusammenhält, kann man vielleicht den nächsten Schritt machen und die nächsten zwei, drei Jahre stabil um die Meisterschaft mitspielen. Also, die Chancen sind sehr gut.

Haben Sie einen Lieblingsspieler im derzeitigen Bayer-Team?

Wirtz wird immer gern genannt. Mich überzeugt vor allem das Kollektiv. Das funk­tio­niert einfach von vorne bis hinten. Diese Bereitschaft, alles reinzuschmeißen und kein Spiel aufzugeben. Wer selbst mal gespielt hat, der weiß: Das macht richtig Bock, wenn sich alle vor, hinter und neben dir einbringen. Die sind auch taktisch gut aufgestellt. Aber wenn du nicht alles probierst und nicht alles gibt, dann bringt dir auch die ganze Taktik nichts.

Leidenschaftlich geht es in Leverkusen nun auch auf den Tribünen zu.

Da haben auch die Fans Spaß. Ich spreche ja mit vielen Leuten, die regelmäßig ins Stadion gehen, und die sind einfach nur begeistert. Seit Monaten ist es sehr schwierig, Karten zu bekommen. Das gab es ja auch selten in Leverkusen. Das ist alles schon irre.

Was hat Sie damals als 20-Jähriger von Berlin nach Leverkusen gezogen?

Bayer zählte schon zu meiner Zeit zu den Top-5-Klubs in der Liga. Ich wäre gern in Berlin geblieben, aber die haben auch damals Zweite Liga gespielt. Leverkusen war gut aufgestellt. Die ersten Gespräche mit Reiner Calmund und Andreas Rettig waren beeindruckend.

Als Standort ist Leverkusen nicht besonders attraktiv.

Das war klar, dass Leverkusen jetzt nicht besonders sexy ist. Für mich war das aber nicht wichtig. Aber Leverkusen ist in den letzten Jahren schöner und hübscher geworden. Wenn der Name fällt, denken viele an Qualm und Schornsteine, aber es gibt auch sehr schöne, ruhige, ländliche Ecken.

Waren Sie abends mit Teamkollegen in Leverkusen unterwegs?

Das hat man schon auch mal gemacht. Wir sind auch mittags mal gemeinsam zwischen den Einheiten in der Stadt etwas essen gegangen, das gibt’s ja heute gar nicht mehr. Das Gemeinschaftliche ist ziemlich verloren gegangen. Das finde ich schade.

Sie haben schon gesagt, Sie sind am Sonntag nicht im Stadion. Aber schauen Sie es sich dieses eine Mal ausnahmsweise im Fernsehen an?

Nein, ich bin jetzt ein paar Tage im Ausland. Aber ich habe wieder zurückgefunden zum Radio. Das ist toll, und gerade wenn schönes Wetter ist, sitze ich draußen und mache das Radio an. Das wird auch am Sonntag so sein.

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