Mentale Gesundheit im Journalismus: Arbeit im Haifischbecken

An der Helpline von Netzwerk Recherche helfen Jour­na­lis­t*in­nen ihren Kolleg*innen. Das verbessert aber nicht die mentale Gesundheit am Arbeitsplatz.

Männer stehen und hocken mit Kameras.

AfD-Veranstaltungen wie diese können große Anspannung erzeugen. Vor allem Männer reden selten darüber Foto: Karsten Thielker

Hallo, hier ist die Helpline. Schön, dass du anrufst. Worüber möchtest du reden? So beginnt ein Gespräch am ersten anonymen und kostenlosen Telefonberatung für mental belastete Journalist:innen. Das Besondere: Am Hörer sitzen Journalist:innen. „Das Peer-Support-Konzept ist ein ganz neuer Ansatz im Journalismus“, sagt Projektleiter Malte Werner.

Die Helpline ist ein Projekt vom Journalismusverein Netzwerk Recherche e. V. und dem Dart Center for Trauma and Journalism der Cambridge University New York, einem Informations-Hub zu den Themen Journalismus und Trauma. Was im November 2023 als Testphase begonnen hat, geht in diesem Frühjahr in den Regelbetrieb, gefördert von der Bundesregierung.

Ute Korinth ist eine von 14 Peers, die mehrmals im Monat eine Schicht übernehmen. „Der Austausch mit Menschen aus dem gleichen Berufsfeld ist sehr wichtig“, sagt die Journalistin und Resilienztrainerin. Zur Vorbereitung wurden die Peers im aktiven Zuhören, Fragenstellen und psychologischer Erste Hilfe geschult.

Die meisten An­ru­fe­r:in­nen fangen direkt an zu erzählen. „Da merkt man, dass das Thema schon lange unter den Nägeln brennt“, sagt Korinth. Viele seien froh, wenn jemand mal aufmerksam zuhört. Zwar werde mittlerweile mehr über mentale Gesundheit berichtet, dennoch seien psychische Erkrankungen noch immer mit einem Stigma belegt. „Viele befürchten, ihr Problem sei nicht wichtig genug oder sie würden anderen die Zeit wegnehmen“, betont der Projekteiter. Man müsse aber nicht erst traumatisiert aus einem Kriegsgebiet kommen, um bei der Helpline anrufen zu dürfen.

Fehlende Wertschätzung

Ein Drittel der Anrufe bisher waren Freie, die meisten An­ru­fe­r:in­nen weiblich. Als Gründe nennen die meisten beruflichem Stress. „Als Berufsgruppe, die in der Öffentlichkeit steht, stehen wir unter besonderem Druck“, sagt Korinth. Laut einer Studie des Hans-Bredow-Instituts aus dem Jahr 2023 leidet nahezu je­de:r zweite Jour­na­lis­t:in in Deutschland oft oder sehr oft unter Stress bei der Arbeit, insbesondere im Privatfernsehen und Agenturjournalismus.

Dies erklärt sich Korinth mit dem steigenden Workload, fehlender Wertschätzung aus der Gesellschaft und Sorge vor künstlicher Intelligenz. „Leider wird das in Zukunft nicht besser. Das geht natürlich auf die Gesundheit“, sagt Korinth.

Der Projektleiter der Helpline sieht die Stressursache in der großen Medienkrise der Jahrtausendwende. „Durch das Internet kamen viele neue Aufgaben hinzu“, sagt er. Waren es zunächst „nur“ Texte für die Website, die Jour­na­lis­t:in­nen erstellen mussten, kam vor ein paar Jahren Social Media hinzu. Gleichzeitig wurden viele Stellen abgebaut.

Mehr Arbeit, weniger Personal

Das merkt auch Katharina Hamm. Die Journalistin möchte aus Angst vor beruflichen Konsequenzen anonym bleiben, die taz hat deshalb ihren Namen geändert. „Es liegt immer mehr Arbeit auf dem Rücken weniger Arbeitenden. Da bleibt keine Zeit für Freundlichkeit“, erzählt sie. Die 32-Jährige arbeitet als Social-Media-Redakteurin für eine TV-Nachrichtensendung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ihr Arbeitsklima beschreibt sie als „Haifischbecken“.

Dazu kommen ihre Depressionen. Die habe sie zwar nicht durch den Beruf bekommen, aber durch ihn würden sie verstärkt. „An manchen Tagen geht der Job echt auf mein Selbstbewusstsein“, sagt sie. Sie habe sich zum Teil damit abgefunden, dass sich im Journalismus eben viel um Egos und Hierarchien drehe. „Es wird viel hinter dem Rücken über andere Kol­le­g:in­nen geredet, in einem sehr herablassenden Ton. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie auch schlecht über mich reden“, sagt die Journalistin. Damit wäre sie nicht die einzige: Laut der Hans-Bredow-Studie sind knapp 16 Prozent der Befragten von Mobbing am Arbeitsplatz betroffen.

Als Social-Media-Redakteurin sieht sich Hamm als „unterstes Glied der Nahrungskette“. Manche Re­dak­teu­r:in­nen behandelten sie wie Luft. „Obwohl ich seit zwei Jahren dort arbeite, haben sich einige Kol­le­g:in­nen nicht mal meinen Namen gemerkt“, sagt sie. Das sei aber auch ein strukturelles Problem: Die Redaktion ist groß, es wird viel rotiert. Laut Otto-Brenner-Studie von 2022 haben fast 60 Prozent aller Befragten – insbesondere Nach­wuchs­jour­na­lis­t:in­nen – wiederholt darüber nachgedacht, ihren Job aufzugeben. Warum sie trotzdem bleibt? „Der Job ist gut bezahlt und gibt mir Stabilität“, sagt sie.

Hatespeech und Angriffe

Weitere Stressfaktoren im Journalismus sind laut der Hans-Bredow-Studie sexuelle Belästigung und Hass im Netz. Seit 2018 haben fast 60 Prozent der Befragten erniedrigende oder hasserfüllte Äußerungen in Bezug auf ihre Arbeit erlebt, 26 Prozent wurden bedroht oder eingeschüchtert.

Für solche Beispiele muss man etwa auf X nicht lang suchen. Dort schreibt zum Beispiel die Reporterin Sophia Maier, dass „Journalist:innen, die sichtbar und meinungsstark sind, [immer wieder] öffentlich herabgewürdigt“ würden. Nach einem Interview mit einem AfD-Abgeordneten wurde sie Opfer mehrerer Shitstorms, inklusive Diskreditierung ihrer Arbeit in einer AfD-Pressemitteilung.

Jour­na­lis­t:in­nen sorgen sich auch um ihr körperliches Wohl. „Als ich noch zur Uni ging, sollte man auf keinen Fall Security zur Demo mitnehmen, weil es eine Barriere schafft“, erinnert sich Helpline-Projektleiter Werner. Mittlerweile sei ein Sicherheitsteam oft Standard. Laut Hans-Bredow-Studie fürchten zudem 41 Prozent, dass ein Angriff gegen Medienschaffende in Deutschland nicht bestraft werde.

Insbesondere bei Kriegs­be­richt­erstat­te­r:in­nen und mexikanischen Journalist:innen, die über den Drogenhandel berichten, bestünde laut Dart Center ein hohes Risiko für psychische Erkrankungen – vor allem, wenn die äußeren Stressoren auf bereits vorhandene Burn-out-Symptome, Ängste oder Depressionen treffen.

Kein Therapieersatz

Kann eine Telefonberatung da Abhilfe schaffen? „Unser Anspruch ist es nicht, eine Therapie zu ersetzen, sondern ein unverbindliches Gespräch unter Kol­le­g:in­nen anzubieten“, sagt der Projektleiter. Durch die Helpline können unangenehme Gefühle wahrgenommen und ausgesprochen werden. „Die kollegiale Unterstützung kann mögliche Scham- und Schuldgefühle verringern“, betont Tabea Grzeszyk vom Dart Center.

Dass auch nicht je­de:r Jour­na­lis­t:in aus einem Kriegsgebiet automatisch psychisch krank wird, hat einen Grund. Wir können an unserer Resilienz arbeiten. „Über ihre Berichterstattung nehmen Medienschaffende eine aktive Rolle ein, durch die sie das Erlebte besser verarbeiten können“, sagt Grzeszyk.

Dadurch bekommt der Beruf einen Sinn – ein wichtiger Faktor für die mentale Gesundheit. Während man äußere Belastungsfaktoren nur bedingt ändern kann, kann man Einfluss auf die eigenen Schutzfaktoren nehmen. Insbesondere soziale Beziehungen wirken der Einsamkeit und Isolation entgegen und stärken die Resilienz.

Zur Selbstfürsorge empfiehlt das Dart Center Sport, spazieren, meditieren, Austausch mit Freun­d:in­nen und Familie, ausgewogene Ernährung und ausreichend Schlaf. Leichter gesagt als getan. Eine gesunde Abgrenzung vom Job kann nämlich auch missverstanden werden. „Wer erlaubt sich eine Mittagspause außerhalb der Redaktion, wenn der Rest sein aufgewärmtes Essen am Arbeitsplatz bei laufendem Nachrichtenticker zu sich nimmt?“, fragt Grzeszyk vom Dart Center.

Über Depressionen berichten

Martin Gommel ist Reporter für psychische Gesundheit bei Krautreporter. „Wenn du krank bist, ist das eine andere Realität, die sich nicht mit Badezusätzen und einem Wellnesswochenende gut machen lässt“, sagt er. Dass „irgendwas nicht stimmt“, das wusste er eigentlich schon immer. Das erste Mal diagnostiziert wurde ihm seine Depression 2010 in der Psychiatrie. Zu dem Zeitpunkt war Gommel noch als Fotograf und Blogger tätig.

Acht Jahre und zahlreiche Krankenhausaufenthalte später veröffentlichte er zum ersten Mal einen Text über seine Depressionen. „Ich fand es wichtig, der Öffentlichkeit zu zeigen, wie das so ist, wenn man depressiv wird und in die Klinik muss. Insbesondere als Mann, weil sich Männer tendenziell bei Depressionen eher zurückziehen“, erzählt er. Mehr Berichterstattung führe nur leider nicht zu mehr Therapieplätzen.

Mit seinen Texten will er Menschen ins Gespräch bringen, die nicht gesehen werden. Gerade im Journalismus, wo viel Druck herrscht, lassen sich viele psychische Krankheiten nicht anmerken. „Zu Hause brechen sie dann zusammen“, sagt er. Manchmal stellt sich Martin Gommel vor, wie es wäre, wenn Menschen ihre Krankheiten nicht mehr auf der Arbeit verheimlichen müssten. „Es macht einsam, wenn du krank bist und an dem Ort, wo du viel Zeit verbringst, nicht mal darüber sprechen kannst“, sagt er. Und selbst wenn Betroffene offen darüber reden, seien sie nicht vor dummen Sprüchen geschützt à la „aber die Sonne scheint doch“.

Gommel selbst habe noch nie ein Krisentelefon wie die Helpline angerufen. „Die Hemmschwelle ist extrem groß“, sagt er. Aber es sei ein Kanal für Menschen, die sonst niemanden in ihrem Umfeld haben. So sehr er das Angebot schätzt, wünscht er sich, dass es die Helpline nicht bräuchte. „Dass man eine externe Nummer braucht, zeigt, dass man innerhalb der Arbeit nicht reden kann. Das ist ein Problem“, sagt er. „Aber allein die Tatsache, dass es meinen Job gibt, ist ein gutes Zeichen, dass sich etwas ändert, eine Form der Anerkennung“, sagt er.

Die Helpline ist Montag und Dienstag von 18–20 Uhr, Donnerstag von 16–18 Uhr und Freitag von 8–10 Uhr unter der (0 30) 75 43 76 33 erreichbar. Mehr Infos zur Selbstfürsorge: Dart Center www.jtsn.org/dart-center

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